Yes – Fragile (1971)

 

Freilich war ich mit einigen Stücken von Yes schon früh in Berührung gekommen, jedoch befand ich mich damals gerade in einer puristischen Folk-Phase, was erklärt, warum sie keinen bleibenden Eindruck hinterließen. 1983 veröffentlichte Amiga dann eine Lizenzausgabe des 1981 erschienenen Samplers „Classic Yes“ (ohne die dazugehörige Live-Single natürlich). Nach der ersten offiziellen Auflösung der Band im März 1981 hatte die Plattenfirma versucht, noch etwas Geld zu verdienen. Die Platte enthielt Songs von „The Yes Album“, „Fragile“, „Close To The Edge“ und „Going For The One“. Das alles wußte ich damals natürlich noch nicht. Es hätte mich auch wenig interessiert. Da mich aber vor allem „Heart Of The Sunrise“ begeisterte, beschloß ich, die inzwischen wieder existierende Band im Auge zu behalten, was aber gerade in den 1980ern nicht eben ein Vergnügen darstellte. Als Nächstes kam ein Radio-Hit...

 

Natürlich begann die Geschichte von Yes schon viel früher, genaugenommen im Frühjahr 1968. Da stieß der junge John Anderson (das „h“ ging erst Anfang 1970, irgendwo zwischen den ersten beiden Alben, verloren), der gerade als „Hans Christian“ zwei erfolglose Singles bei Parlophone abgeliefert hatte, zur Londoner Band Mabel Greer's Toyshop. Dort spielten bereits Chris Squire (Bass) und Peter Banks (Gitarre). Im Juli kamen dann noch Tony Kaye (Keyboards) und Bill Bruford (Drums) hinzu. Die Besetzung stand, was fehlte, war ein Name. Andersons und Squires Vorschläge („Life“ bzw. „World“) wurden abgelehnt. Auf „Yes!“ (Banks' Idee) hingegen konnte man sich einigen. Nur das Ausrufezeichen überlebte nicht lange. Schon im August gab es erste Auftritte in Londoner Clubs. Das Publikum reagierte sehr wohlwollend. Und nachdem man im November als Vorgruppe beim Abschiedskonzert von Cream in der Royal Albert Hall auftreten durfte, war der Plattenvertrag mit Atlantic Records mehr oder weniger Formsache.

Das Frühwerk der Band entsprach, wie auch bei den Kollegen von Genesis, Pink Floyd oder The Moody Blues, eher dem noch vorherrschenden Zeitgeschmack, also flotte Beat-Ware im Drei-Minuten-Format (inklusive Coverversionen von Beatles- und Byrds-Songs). Der erste große Schritt in eine neue Richtung erfolgte im Juni 1970, als Peter Banks noch vor Erscheinen des zweiten Albums durch Steve Howe ersetzt wurde. Der kam von Tomorrow, wo er gemeinsam mit Keith West und der späteren Punk-Legende Twink die Rolle der Hausband im Londoner UFO-Club von Pink Floyd übernommen hatte, als diese nicht mehr zu bezahlen waren. The Nice und Jethro Tull hatten ebenfalls ein Auge auf den jungen Gitarristen geworfen, aber Yes waren wohl einfach schneller. Auf der etwas verspätet erschienenen US-Ausgabe von „Time And A Word“ ist er auf dem Bandfoto des Frontcovers schon zu sehen, obwohl er natürlich auf der Platte noch keinen Ton gespielt hatte.

 

Dafür wird auf dem im Februar 1971 veröffentlichten „The Yes Album“ sehr schnell klar, daß sich Howes Gitarrenspiel auf Anhieb neben Andersons markant hoher Stimme und Squires melodiösem, „singendem“ Bass als wichtiger (wenn nicht wichtigster) Eckpfeiler des künftigen, klassischen Yes-Sounds etabliert hatte. Auch wurden die Stücke wesentlich komplexer und näherten sich auffällig oft der 10-Minuten-Marke. Mit „Clap“ und „Würm“ (als Teil von „Starship Trooper“) fanden sich dann auch gleich zwei Howe-Kompositionen auf dem Album, das nicht von ungefähr als Yes' künstlerischer wie kommerzieller Durchbruch (Platz 4 in England, 40 in den USA) gilt.

 

Zu jener Zeit grübelte ein junger Piano- und Keyboardvirtuose darüber, wie er sein neues Haus abbezahlen sollte. Zwar hatte ihn der Melody Maker schon als „Tomorrow's superstar“ ausgerufen, zwar hatte er mit der Folkrock-Band The Strawbs ein Studio- und ein Livealbum herausgebracht, für Cat Stevens das Piano-Thema von „Morning Has Broken“ erdacht und eingespielt, für T. Rex, Elton John und David Bowie gearbeitet, aber es reichte dennoch vorn und hinten nicht. Das Haus war groß und teuer, Minimoog und Mellotron, mit denen er schon damals experimentierte, ebenfalls nicht billig, und die Session-Engagements brachten weit weniger ein, als man heute annehmen würde. Da kam das Angebot Bowies, in dessen Begleitband einzusteigen, wie gerufen. Doch auch ein gewisser Chris Squire meldete sich per Telefon. Nachdem Tony Kaye nur wenig Enthusiasmus gezeigt hatte, noch etwas anderes als Hammondorgel und Keyboard beizusteuern, war den Yes-Musikern klar geworden, daß für den Sound, den sie sich in Zukunft vorstellten, ein Personalwechsel unumgänglich wurde. Rick Wakeman willigte ein, sich im Rahmen einer Session mit der Band zu treffen. „Heart Of The Sunrise“ und „Roundabout“ standen auf dem Programm, und der Neue erkannte sofort die gewaltigen Möglichkeiten, die sich ihm hier eröffneten. Der Melody Maker hievte ihn erneut auf die Titelseite, diesmal mit der Schlagzeile „Wakeman joins Yes“!

 

Der September 1971 brachte neben der heute als „klassisch“ geltenden Besetzung den Beginn der fünfwöchigen Aufnahmesessions für „Fragile“ in den Londoner Advision Studios in der Gosfield Street. Neben einer 16-Spur-Bandmaschine gab es dort auch ein nagelneues 20-Kanal-Mischpult von Neve Electronics. Ob dieses Teil, das heute eine geradezu mystische Aura umgibt, schon für „Fragile“ verwendet wurde, ist nirgends vermerkt. Wundern würde es mich nicht!

Als das Album im November in die Läden kam, war der sogenannte „Progressive-Rock“ vor allem in England durch Bands wie Gentle Giant, Colosseum, Pink Floyd, King Crimson, ELP, Van der Graaf Generator und Yes selbst bereits etabliert und erfreute sich wachsender Beliebtheit. „Fragile“ konnte sich dann auch mit Rang 7 hervorragend in den Charts platzieren. In den USA erschien es erst Anfang 1972, wo die Band bereits im November und Dezember auf Tour gewesen war und im Frühjahr nochmals für mehr als 30 Konzerte gastierte. Ein vierter Rang in den LP-Charts war der Lohn. Als Single veröffentlichte man eine stark gekürzte Fassung von „Roundabout“ mit „Long Distance Runaround“ als B-Seite. In Amerika stieg sie bis auf Platz 13, in Holland immerhin noch auf 23. In England wurde keine Single ausgekoppelt. Erst 1973 fand sich dort der Song dann (allerdings in Albumlänge) auf der Rückseite von „And You And I“ wieder. Eine Liveversion, aufgenommen während der „Tormato“-Tour, gab es 1981 auf der „Classic Yes“ beigelegten Single zu hören.

Yes waren nie die Schnellsten, was das gemeinsame Ausarbeiten von Ideen betraf. Auch standen die nicht immer zur Verfügung, wenn sie gebraucht wurden. Um teure Studiozeit zu sparen, entschloß man sich deshalb, für „Fragile“ neben „Roundabout“, „South Side Of The Sky“, „Long Distance Runaround“ und „Heart Of The Sunrise“ noch fünf Beiträge der einzelnen Musiker einzuflechten. Es war ein bißchen wie Weihnachten. Jeder sagte ein Gedicht auf, bevor es mit der Bescherung weiterging. Über diese Geschenke konnte sich nun wirklich niemand beschweren. Aber auch die eingestreuten Miniaturen machten Sinn, auch wenn sie nie unumstritten waren. Wenn damit jedoch die fristgerechte Umsetzung des Projektes gewährleistet und nebenbei auch noch der interne Bandfrieden gewahrt werden konnte, ist mir das zehnmal lieber, als uninspirierte und nicht enden wollende Egotrips in jedem einzelnen Stück. Und vor allem Howes Einwürfe auf der akustischen Gitarre waren mir (nicht nur auf dieser Platte) immer wichtig, als kleine Inseln der Ruhe, um kurz innehalten und das Gehörte verarbeiten zu können, bevor wieder höchste Konzentration gefragt war. Wakeman beschränkte sich auf die Adaption eines Werkes von Johannes Brahms. Das lag nicht an mangelnden Einfällen, sondern hatte den gleichen Hintergrund wie das Fehlen seines Namens bei den Song-Credits auch auf den folgenden Yes-LPs: er hatte einen Solovertrag mit A&M in der Tasche, der ihm untersagte, eigene Kompositionen für andere Projekte zur Verfügung zu stellen.

Rick Wakeman war zuallererst ein Meister der Selbstinszenierung, praktisch seine eigene Marketingabteilung. Die diversen, oft parallel stattfindenden Soloprojekte deuten an, daß sein Wirken bei Yes einfach ein Job war. Daß er auch als klassisch geschulter und hervorragender Keyboarder überzeugte, erleichterte die Arbeit. Ob er nun aber besser war als - sagen wir mal - Patrick Moraz oder Geoff Downes (eine Gretchenfrage in Fan-Kreisen), wage ich bei dem Niveau, auf dem diese Herren allesamt musizierten, nicht zu entscheiden. Auffälliger war er auf jeden Fall.

 

Für die Stimme Jon Andersons gibt es keine Beliebtheitsskala. Man kann sie nicht „irgendwie ganz gut“ finden. Entweder oder, dazwischen scheint es nichts zu geben. Ich konnte mir Yes nie ohne ihn auch nur vorstellen. Deshalb habe ich auch sehr lange um „Drama“ (1980) einen sehr großen Bogen gemacht. Das war dumm, denn heute ist mir klar, daß die Platte besser ist als alle, die die Band danach mit ihrem zurückgekehrten Stammsänger noch aufnehmen sollte. Und dennoch bleibt sie für mich wider besseres Wissen ein Stiefkind in der Diskographie.

 

Ganz ehrlich, auf Andersons Texte habe ich gerade bei „Fragile“ kaum je geachtet. Was auch immer als Inspirationsquelle gedient haben mag, das alltägliche Leben war jedenfalls nicht dabei. Ich glaube, er versteht sie hier zuerst als Teil seines Instruments, der Stimme, die wiederum untrennbarer Bestandteil der gewaltigen Musikmaschine ist. Die Bilder im Kopf werden hier vom großen Ganzen erzeugt, nicht von einer erzählten oder nicht erzählten Geschichte. Vom Text wird verlangt, daß er sich einfügt, daß er klingt. Und das tut er.

 

Es ist mühsam und auch kontraproduktiv, hier zu versuchen, genauestens zu analysieren, was gerade vor sich geht, wer hier was macht, welches Rädchen wann in ein anderes greift. Für Musikwissenschaftler und Klangforscher mag das eine lohnende Aufgabe sein, allen anderen empfehle ich, sich vorbehaltlos in die Musik zu stürzen, sich fortreißen zu lassen, einfach nur zu genießen. Bei Yes fand ich es schon immer viel aufregender, zu staunen, anstatt zu wissen.

Auf „Fragile“ gelingt Yes die nahezu perfekte Balance zwischen der Befriedigung der eigenen avantgardistischen Ansprüche und purer Schönheit. Selbst in ihrem eigenen Werk, wo zum Beispiel auf „Tales From Topographic Oceans“ der Ideenreichtum durch die doppelte Spielzeit etwas verwässert wird oder wo der harmonie- und melodiesüchtige Hörer bei „Relayer“ lange Wartezeiten in Kauf nehmen muß, bis er auf seine Kosten kommt, stellt das ein Alleinstellungsmerkmal dar. Im klassischen Prog-Kontext fallen mir keine Handvoll Platten ein, die ähnlich gekonnt und verführerisch balancieren.

Für Hardcore-Fans der Band hingegen, zu denen ich mich nun wirklich nicht zähle, stellt „Fragile“ lediglich einen weiteren Schritt zur Vollkommenheit dar. Die Heilige Dreifaltigkeit setzt sich für sie aus „Close To The Edge“, „Topographic Oceans“ und „Relayer“ zusammen. Als Atheist erlaube ich mir eine etwas andere Sicht der Dinge und bemerke, daß es weder ehrenrührig ist noch von schwindender Kreativität zeugt, wenn man „Heart Of The Sunrise“ nicht mehr übertrumpfen konnte.

Wer von „Fragile“ ebenfalls nicht genug bekommen kann, dem sei noch dringend das Dreifachalbum „Yessongs“ ans Herz gelegt. Aufgenommen bei der „Fragile“- (Februar 1972) bzw. „Close To The Edge“-Tour (November 1972), bringt es mit Ausnahme des oft vernachlässigten „South Side Of The Sky“ alle drei Klassiker der LP plus Squires „The Fish“ und Howes „Mood For A Day“ in zum Teil sehr spannenden Arrangements. Und sollte sich tatsächlich jemand ernsthaft für die Feinheiten des Schlagzeugspiels interessieren, hat er hier die Möglichkeit, die Arbeit von Bill Bruford, der von den betreffenden Stücken nur „Long Distance Runaround/The Fish“ trommelt, mit der des neuen Drummers Alan White zu vergleichen. Viel Spaß!

Leider ist der Klang etwas suboptimal (gemessen an der Studiovorlage). Aber bevor ich mich diesem Thema zuwende, noch kurz ein paar einleitende Worte zum sogenannten red/plum-Label von Atlantic. Neben Islands Pink-Label und Vertigos Swirl-Label dürfte es kaum ein weiteres geben, das zumindest Sammler englischer Originale mehr in Aufregung versetzt. In Amerika (nicht nur dort eher weinrot als rot) war es zu Beginn der 60er Jahre gebräuchlich. In England erfolgte der Wechsel zum dann sehr lange verwendeten grün/orangefarbenen Label mit dem weißen Balken in der Mitte Ende 1971. „Led Zeppelin“ (IV) und das zwei Wochen später erschienene „Fragile“ dürften dort so ziemlich die letzten LPs mit red/plum gewesen sein. In Frankreich und Spanien zum Beispiel gab es das aber (wie auch Pink-Island) noch etwas länger. In Deutschland scheint man jedoch schon Ende der 60er auf grün/orange umgestiegen zu sein. Leider gibt es keine wirklich allumfassenden Diskographien von Yes. So konnten mir auch erklärte Fans nicht mit Sicherheit sagen, wie eine deutsche Erstausgabe von „Fragile“ denn nun genau aussah. Wer sich also einmal intensiv mit diesem spannenden Thema befassen möchte, sei auf diverse Berichte über die bestens dokumentierten Led Zeppelin verwiesen. Allerdings darf ich da schon mal eine ernstgemeinte Warnung aussprechen! Allein die diversen Fehler, Korrekturen, neuen Fehler und Anomalien auf den englischen red/plum-Labels der ersten vier Alben sind der reine Horror!

 

Für den Spannungsbogen ist es zwar tödlich, auch diesmal chronologisch vorzugehen und mit der englischen Erstpressung zu beginnen, aber da ich das immer so halte, will ich auch jetzt nicht davon abweichen. Diese Platte (Atlantic 2401019) ist nicht perfekt. Vor allem in den leisen Passagen ist ein leichtes Hintergrundrauschen zu vernehmen. Und je weiter sich die Nadel in Richtung Mitte bewegt, umso größer wird die Gefahr von kleineren Verzerrungen (also inner groove distortion), hauptsächlich auf der ersten Seite. Das versinkt jedoch völlig in der Bedeutungslosigkeit angesichts der unglaublichen Dynamik und Lebendigkeit, mit der die Aufnahmen (produziert von der Band und dem bewährten Eddy Offord) präsentiert werden. Mein Wohnzimmer scheint weit größer, als es der Mietvertrag hergibt, ich höre Details, nach denen ich auf den meisten anderen Platten vergeblich suchen würde. Es ist einfach ein gewaltiges Vergnügen, diese Scheibe, die mit ihrem Facettenreichtum Maßstäbe setzt, anzuhören! Lassen Sie sich nicht vom „Polydor Records Limited“ auf dem Label verwirren. Polydor war in England der Vertriebspartner von Atlantic, gepresst wurde bei Philips in Walthamstow in der Nähe Londons. Im Klappcover ist innen ein 8-seitiges Heftchen eingeheftet, nicht etwa geklebt. Das Cover ist nicht laminiert.

1967 kaufte Seven Arts Production in Amerika das kriselnde Warner Brothers und anschließend gleich noch Atlantic und Reprise Records. Zwei Jahre später übernahm die Kinney National Company, ein weitverzweigtes Firmengeflecht, das beschlossen hatte, nun auch in den Musikmarkt zu investieren, den ganzen Laden. 1970 war dann auch noch Elektra dran. Mit Warner, Elektra und Atlantic unter einem Dach lag die Umbenennung in WEA Corporation (1972) nahe. Aus dieser Zeit stammt auch die erste englische Nachauflage. Die besitzt jetzt eine Kinney-Katalogummer (K 50009) und wurde bei CBS hergestellt, wie man am charakteristischen Pressring auch schön erkennen kann. Jedoch hat sie noch eine alte (Atlantic)Matrixnummer, lediglich ergänzt durch die neue. Man hatte also neben den Rechten auch ein paar Matrizen übernommen, damals nicht unüblich. Ebenso an der Tagesordnung war, daß man übriggebliebene Cover weiter verwendete und nur mit einem weißen Sticker mit roter Schrift die alten Credits überklebte. Die Cover beider Pressungen sind also identisch (McNeill Press Ltd.). Und auch die Platten selbst nehmen sich kaum etwas. Die Nachauflage geht etwas defensiver zu Werke, der Bass trifft nicht mehr so unmittelbar in die Magengrube. Ab etwa 1975 kam bei englischen Atlantic-Produktionen das WEA-Logo in Form eines bauchigen „W“ in der arcline hinzu, die nun auch bis in das obere grüne Feld des Labels reichte.

Meine früheste deutsche Pressung (Atlantic ATL 50 009, laminiertes Klappcover, ohne Heft, ca. 1973) schlägt sich tapfer, aber ohne die faszinierende Transparenz der Engländerinnen. Ihre Schwester aus den 1980ern (K 50 009), mit dreisprachiger arcline (man produzierte jetzt auch für Frankreich) und LC-Code auf dem Label, hat dann schon größere Schwierigkeiten, die einzelnen Instrumente sauber zu staffeln. Der Bass dröhnt etwas. Die samtene Geschmeidigkeit ist verloren gegangen. Das Klappcover ist nun nicht mehr laminiert. Alle vier haben die erwähnten Probleme mit der Verzerrung, was jeweils einen halben Punkt Abzug bringt.

2006 nahm sich das von mir hochgeschätzte Label Analogue Productions der Scheibe an. Und keine Geringeren als die anerkannten Experten Kevin Gray und Steve Hoffman wurden mit dem Remastering beauftragt. Wenn nun auf dem Label „2006“ steht, bezieht sich das im Fall meiner Pressung jedoch nicht auf das aktuelle Herstellungsjahr. 2011 eröffneten Analogue Productions, die bis dahin bei Rhino hatten pressen lassen, ein eigenes Presswerk in Salina, Kansas und nannten es „Quality Record Pressings“. Ein Sticker verrät, daß meine „Fragile“ (AAPP 7211) schon dort gefertigt wurde. Außerdem ist auf dem beigelegten Promo-Faltblatt Cat Stevens' „Tea For The Tillerman“ abgebildet, die erste LP, die man 2011 in Eigenregie presste. Das heißt, daß man das Yes-Opus um diese Zeit nochmals herausbrachte, ohne das Label zu ändern. Das Cover ist sehr stabil, zum Klappen, und sogar das Heft ist in einer sehr schönen Reproduktion vorhanden. Die Platte wiegt mit 210 Gramm beinahe 70 Gramm mehr als das schon nicht leichtgewichtige Original. Und selbst die Verzerrungsprobleme hat man weitgehend in den Griff bekommen. Alles gut also? Leider nicht. Die Scheibe klingt clean bis zur vollkommenen Sterilität. Irgendwie ist es gelungen, ihr sämtliches Leben auszusaugen. „A schene Leich“, wie der Wiener sagt, wenn er ein besonders beeindruckendes Begräbnis meint. Das trifft es hier. Und mein eben noch opulentes Wohnzimmer schrumpft wieder auf Normalmaß. Mit Sicherheit gibt es Leute, die diesen Sound mögen, sogar bevorzugen würden (vorausgesetzt, sie drehen heftig am Lautstärkeregler). Ich gehöre nicht dazu. Wenn es darum geht, pure Energie und kindliche Freude beim Hören gegen ein paar scheinbar audiophile Meriten einzutauschen, bin ich raus.

Für Ende Oktober ist übrigens ein „Fragile“-Remix von Tausendsassa Steven Wilson angekündigt. Das klingt ausgesprochen spannend. Nur leider ist von einer Vinylausgabe nirgendwo die Rede.

 

Mit „Fragile“ wurde das von Roger Dean entworfene, verschlungene „Yes“-Logo eingeführt. Und auch das Cover ging erstmals auf seine Kappe. Für mich ist es auch das gelungenste. Wo künftig futuristische Felslandschaften - bevölkert von allerlei Getier und an Schutzumschläge für Fantasyromane erinnernd - dominieren sollten, strahlt uns hier ein zerbrechlicher (fragile) Planet inmitten des Alls entgegen, dem sich ein Flugobjekt Marke „Jules Verne“ nähert. Und dieses Blau! Einfach großartig, vorausgesetzt, man erwischt keine Ausgabe, bei der an der Druckqualität gespart wurde.

 

Haben wir es bei „Fragile“ also womöglich mit dem stimmigsten, harmonischsten Yes-Album zu tun? Für mich liegt die Antwort klar auf der Hand.

 

 

Musik: 9,0

Klang: 9,5 (England, 1971)

Klang: 9,0 (England, 1972)

Klang: 8,0 (Deutschland, 1973)

Klang: 7,5 (Deutschland, 1980er)

Klang: 8,0 (USA, 2011)

 

Ronald Born, Oktober 2015