Cat Stevens – Matthew & Son (1967)

 

Wer, wie ich, gegen Ende der 1970er Jahre begann, sich ernsthaft für Musik (und Mädchen) zu interessieren, kam natürlich an Cat Stevens nicht vorbei. Ich kannte die Hits, aber auch ein paar weniger geläufige Songs seiner Island-Alben. Vom Frühwerk hatte ich keine Ahnung. Auf meinem Tonband fand sich „The First Cut Is The Deepest“ sowohl von P.P.Arnold, als auch von Rod Stewart. Ich wußte zwar, daß das Original von Stevens stammte, hatte es aber bis dahin noch nie gehört. Das sollte sich erst ändern, als ein Freund „The View From The Top“ anschleppte. Größer hätte die Enttäuschung kaum ausfallen können! Eher belangloser Sixties-Pop anstelle feingeistigen Songwritings mit Kuschel-Faktor ließ mich ernsthaft daran zweifeln, es mit dem selben Künstler zu tun zu haben. Es sollten noch viele Jahre ins Land gehen, bis ich meinen Frieden mit dieser Phase machen konnte. Und „Matthew & Son“ trug den Löwenanteil dazu bei.

 

Mitte der 60er Jahre gelang es Cat Stevens' Bruder, den Produzenten Mike Hurst auf dessen offensichtliche Talente aufmerksam zu machen. Hurst war eine ernstzunehmende Person im Musik-Geschäft, hatte gemeinsam mit Dusty Springfield als The Springfields den ersten Top-20 Hit einer britischen Gesangsgruppe in den USA gelandet, danach mit Jimmy Page und Albert Lee in einer Band gespielt um anschließend ins Produzentenfach zu wechseln und für Decca die ersten Aufnahmen von Marc Bolan zu realisieren. 1966 nahm er dann Cat Stevens für das frisch gegründete Deram-Label unter Vertrag. Decca hob Deram ursprünglich aus der Taufe, um seine „Deramic Sound“-Aufnahmen zu etablieren. Bis dahin klangen Stereo-Aufnahmen aufgrund der Verwendung von 4-Spur-Bandmaschinen noch recht künstlich. Die Deram-Ingenieure benutzten nun gleich zwei dieser Aufnahmegeräte für ihre 2-Kanal-Stereo-Aufnahmen und erzeugten so einen weit natürlicheren Sound. Als ca. 1968 8-Spur-Bandmaschinen in den Studios Einzug hielten, war der technologische Vorsprung jedoch schlagartig dahin. Vor allem durch die Verpflichtung der Moody Blues und dem gigantischen Erfolg von „Days Of Future Passed“, deren erstem Album für Deram Ende 1967, hatte sich das Label jedoch bereits einen Namen als Heimstatt für „progressive“ Acts gemacht. Bands wie The Move, Ten Years After oder Frijid Pink sollten folgen. Immer jedoch war man darauf bedacht, eine gewisse Balance zum „normalen“ Pop beizubehalten. Der junge David Bowie und eben Cat Stevens schienen dafür genau die Richtigen zu sein.

 

Im Juli 1966 begannen die Aufnahmen für die Vorab-Singles. Im September erschien „I Love My Dog“ (Platz 28 in England), im Dezember „Matthew & Son“ (Platz 2 hinter „I'm A Believer“ von den Monkees) und im März 1967 noch „I'm Gonna Get Me A Gun“ (Platz 6), bevor das Album ebenfalls im März veröffentlicht wurde und Platz 7 der englischen LP-Charts erklomm. Die vier Songs der ersten beiden Singles wurden mit zehn weiteren „aufgefüllt“. Das Album beginnt mit dem Titelstück, einem Lied über einen Laden der gehobenen Preisklasse in Cambridge, in dem eine Freundin von Stevens unverhältnismäßig viel Zeit als Angestellte verbringen mußte. Das ürsprünglich recht spartanisch aufgenommene „I Love My Dog“ wurde durch Kesselpauke und Bratsche mit Instrumenten aufgemöbelt, die in der Pop-Welt bis dahin unbekannt waren. John Paul Jones, zwei Jahre später Mitbegründer von Led Zeppelin, ist hier am Bass zu hören, was allerdings auf dem Plattencover nicht erwähnt wird (genausowenig übrigens, wie die Beteiligung von Nicky Hopkins, der unter anderem das Cembalo-Intro auf dem Titelstück spielte). Absolut unverständlich bleibt mir, warum „Here Comes My Baby“, das dritte Stück der LP, nicht ebenfalls als Single ausgekoppelt wurde. So blieb es den Tremeloes vorbehalten, mit einer leicht gekürzten Fassung die Hitparaden zu stürmen. Das folgende „Bring Another Bottle Baby“ zeigt dann recht deutlich, in welche Richtung die Gedanken der Plattenfirma und auch des Produzenten, der die Nummer in den liner notes als seinen Favoriten bezeichnete, wohl gingen. Man suchte offensichtlich einen Nachfolger für in die Jahre gekommene Crooner vom Schlage Sinatras oder Dean Martins. Songs wie „I See A Road“, „Lady“ und die streicherdominierten Arrangements hauen in die selbe Kerbe. Daß das auch im Sinne des jungen, von Beatles und Folk-Rock beeinflussten Protagonisten war, darf stark bezweifelt werden. Wobei man aber anerkennen muß, daß es an der handwerklichen Umsetzung rein gar nichts auszusetzen gibt. Sowieso gibt es für Freunde gut gemachter Pop-Musik, die bei etwas zu viel Schmelz und Zuckerguß nicht gleich allergisch reagieren, hier allerhand zu entdecken. Ich brauchte, wie gesagt, etliche Jahre, um die nötige Erfahrung und Toleranz aufzubringen, die es mir heute möglich machen, dieses Album wirklich zu mögen. Drei Songs erleichterten den Prozeß ungemein: „Portobello Road“, „Hummingbird“ und „The Tramp“. Sie erlaubten schon damals einen Ausblick darauf, was ab 1970 perfektioniert werden sollte: exquisites Songwriting, ungewöhnliche Rhythmen und Rhythmuswechsel sowie eine charismatische Stimme mit extrem hohem Wiedererkennungswert. Besonders „The Tramp“ hat es mir angetan und erinnert mich mit seinen klar auf dem rechten (akustische Gitarre und einsame Trompete) bzw. linken Kanal (Baß) platzierten Instrumenten und dem Gesang in der Mitte irgendwie an Elvis' „Fever“ und begeistert ähnlich. Auf der, nur 12 Songs enthaltenden, amerikanischen Ausgabe der LP (Deram DES-18005) fehlt das Stück übrigens, genauso wie „Portobello Road“, „Granny“ und „Come On And Dance“. Dafür wurden die beiden Tracks der dritten UK-Single eingefügt. Ich muß mir um deren Erwerb also keine Gedanken machen. Womit ich bei einem ganz speziellen Thema der Vermarktung von Cat Stevens' Frühphase wäre: den unzähligen Samplern. Diese Dinger heißen „The View From The Top“, „Very Young And Early Songs“, „The Beginning“, „The Best Of Cat Stevens“, „The World Of Cat Stevens“, „20 Super Hits By Cat Stevens“, „Portrait“ oder einfach nur „Songbook“. Meist wurden sie auf Decca, Deram oder Nova veröffentlicht, und immer bringen sie die gleiche oder leicht variierte Mischung aus Songs von „Matthew & Son“, „New Masters“ und einer Handvoll Singles. Mehr gab und gibt die Rechtslage für Decca nicht her. Da die ausschließlich auf den Singles erschienen Stücke wie „A Bad Night“, „Image Of Hell“ oder „Where Are You“ nur in Mono vorlagen, wurden sie auf diesen Samplern „electronically reprocessed“, also mit Stereo-Effekten aufgeblasen. Nur hat diese Methode selten befriedigende Ergebnisse hervorgebracht (siehe frühe Elvis-LPs), und man hätte mit der Verwendung der Mono-Originale den Hörgenuß sicher weit weniger beeinträchtigt. Denn eigentlich klingen diese Platten ansonsten überraschend gut. Nach meiner Erfahrung würde ich verallgemeinernd sagen, je früher die Pressung, desto besser. Natürlich habe ich sie nicht alle gehört, geschweige denn im Regal stehen. Aber wenn ich mal von meiner deutschen „The View From The Top“ (Nova, 6.28096) aus den 70ern ausgehe, bringt diese Doppel-LP einen Querschnitt der Deram-Jahre, der weder vom Repertoirewert noch klanglich größere Wünsche offen läßt. Und Sie finden das Teil für kleines Geld an so ziemlich jeder Ecke. Was mir bei diesen Ausgaben immer sauer aufstößt, ist der Umstand (oder Tatbestand?), daß fast alle mit Coverfotos werben, auf denen Stevens schon Bart und lange Haare trägt, die also definitiv nicht aus seiner aktiven Deram-Zeit stammen, sondern uns den Superstar der frühen 70er zeigen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Wobei dem Schelm das Wort „Bauernfängerei“ schon auf der Zunge liegt. Man könnte dieses jahrzehntelange Überschwemmen des Marktes mit dem immer gleichen Material aus einem winzigen Fundus durch die Decca als beispiellos bezeichnen, gäbe es da nicht noch das äußerst lukrative Polydor-Geschäftsmodell mit den „Savage Young Beatles“...

 

Zwei Platten stehen zur Auswahl. Zuerst wäre da das englische Original (Deram SML 1004), die zweite ist eine Ausgabe des australischen World Record Club (W.R.C.-S/4745) aus dem Jahr 1970. Dieser Club veröffentlichte bis Mitte der 70er Jahre in Australien, Neuseeland und Südafrika Platten hauptsächlich aus dem Katalog von EMI und Decca. Bemerkenswert sind seine häufig komplett neu gestalteten Cover, so auch in diesem Fall. „New Masters“ gab es übrigens ebenfalls über diesen Club (S-5225) und ebenfalls mit einem völlig anderen Cover. Um es kurz zu machen, die englische Pressung von „Matthew & Son“ klingt umwerfend! Der Detailreichtum und die Präzision der Darstellung sind mustergültig. Cat Stevens kommt direkt ins Wohnzimmer. Haben Sie ein Auge auf Ihre Frau! Da ja Deram als Decca-Tochter deren System der Matrix-Nummern verwendete, kann man leicht erkennen, daß der grandiose Harry Fisher das Mastering besorgte. Die Pressung des World Record Club klingt absolut identisch. Was mich erst überraschte, erschien nach einem Blick auf die Matrix-Nummern einfach logisch. Auch die sind identisch (ZAL-7720/1-1W). Beide LPs wiegen ca. 135 Gramm. Gut möglich, daß einfach nur einer englischen Pressung das australische Label verpasst wurde. Wenn Sie möglicherweise heftige Portokosten nicht schrecken, ist es kein Problem, eine dieser Scheiben im Ausland aufzutreiben. Gelegentlich wird die englische auch hier angeboten, da wird das Ganze einfach zur Rechenaufgabe. Es existiert auch eine deutsche Pressung (Deram SML 1004) mit dem Royal-Sound-Logo auf dem Label. Da wird es schon schwieriger. Über deren Klang kann ich nichts sagen, vermute aber, daß man bei frühen Ausgaben dieser Platte einfach nichts falsch machen kann.

 

Musik: 7,0

Klang: 8,5 (England, 1967)

Klang: 8,5 (Australien, 1970)

 

Ronald Born, Mai 2013