Donovan – The Hurdy Gurdy Man (1968)

 

Es vergingen immerhin 18 Monate von Elvis Presleys erster professioneller Studiosession bis zum ersten Top-Ten-Hit in den heimatlichen Single-Charts. Die Rolling Stones benötigten dafür nur unwesentlich weniger Zeit. Bei Bob Dylan, der sich von Anfang an eher als Album-Künstler sah, gingen gar dreieinhalb Jahre ins Land. Nur bei den Beatles lagen zwischen dem ersten Studiotermin unter eigenem Namen (6. Juni 1962) und dem Charterfolg der zweiten Single „Please Please Me“ im Februar 1963 gerade einmal 8 Monate.

 

Ein 19-jähriger Schotte, der sich einfach Donovan nannte, machte Ende des Jahres 1964 erste Demoaufnahmen in London. Am 6. Februar 1965 war er bereits in der populären TV-Show „Ready Steady Go!“ zu sehen und nahm anschließend zwei Songs für seine erste Single auf. „Catch The Wind / Why Do You Treat Me Like You Do“ erschien in England am 12. März und erreichte zwei Wochen später Platz 4 der Hitparade. Selbst in unserer schnelllebigen Zeit, in der die Kids nicht einmal mehr ihr Zimmer verlassen müssen, um ihren neuesten Schwarm an die Spitze irgendwelcher Download-Charts zu klicken, würde das noch als Blitzstart durchgehen.

 

Donovan P. Leitch spielte seit seinem 14. Lebensjahr Gitarre. Als Teil der florierenden britischen Folk-Szene klapperte er bald darauf die Pubs in der Gegend von Hertfordshire ab, wo er auf Mac MacLeod traf, der sein Freund und Mentor wurde. Gemeinsam mit Gypsy Dave, einem weiteren Folkie aus Hertfordshire, tingelte er 1964 nach Manchester und verbrachte anschließend den Sommer an der englischen Südküste. Als Pye Records ihm einen Vertrag anbot, kam es zu den oben erwähnten Probeaufnahmen. Das Jahr 1965 brachte dann den Durchbruch mit vier Hit-Singles und zwei äußerst erfolgreichen LPs. Am 30. April kam Bob Dylan für acht Konzerte nach England, im Schlepptau diverse Freunde und ein Filmteam. In D.A. Pennebakers Doku „Don't Look Back“ sieht man in einer der ersten Szenen, wie Dylan eine Zeitung aufschlägt und einen groß aufgemachten Artikel über Donovan entdeckt. „Who's this Donovan?“, fragt er. Alan Price erklärt es ihm. Ob er Dylan mit den Sätzen „He's a very good guitar player. He's better than you.“ provozieren wollte, sei einmal dahingestellt. Auf jeden Fall möchte Dylan diesen Jungen treffen, und gegen Ende der kurzen Tournee kommt es dann im Londoner Savoy Hotel tatsächlich zu einer denkwürdigen Begegnung. Donovan spielt „To Sing For You“ und erntet reichlich Applaus von Dylan und seiner Entourage. Anschließend bittet der sichtlich nervöse und angespannte Newcomer den extrem selbstbewußt wirkenden Dylan um „It's All Over Now, Baby Blue“. Falls irgend jemand diesen Schlagabtausch im Vorfeld als „Königstreffen“ geplant hatte, ein funkensprühendes „Baby Blue“ stellte die Hackordnung schnell wieder her. Donovan hängt an Dylans Lippen und raucht aufgeregt. Woher kam diese Unsicherheit? Er hatte gerade in Englands Charts Dylans verspätet erschienene erste Single („The Times They Are A-Changin'“) hinter sich gelassen und gefeierte Konzerte gegeben. Was der Film nicht zeigt: der erste Song, den Donovan zum Besten gab, hieß „My Darling Tangerine Eyes“ und war ganz offensichtlich „Mr. Tambourine Man“ mit einem anderen Text. Dylan machte ihn höflich darauf aufmerksam, und Donovan erholte sich offenbar nicht mehr von diesem Fauxpas.

 

Englands Musikpresse ist seit jeher nicht nur für ihren Überschwang mit nachfolgender Hähme bekannt, sondern auch für das Konstruieren objektiv nicht vorhandener Rivalitäten. Und Donovan machte es ihnen mit seiner Art des Vortrags und seinem Outfit damals wirklich leicht, als Thronfolger deklariert zu werden. Ein nicht zu unterschätzender latenter Anti-Amerikanismus brachte ihm zusätzliches Wohlwollen ein, auch wenn nicht zu überhören war, daß selbst seine besten Songs nicht die Substanz durchschnittlicher Stücke seines „Kontrahenten“ besaßen. Ihn nun aber als dürftige Dylan-Kopie darzustellen, wie es seit Jahrzehnten Mode ist, ist einfach Unsinn. Beide schöpften aus den selben Quellen, beide waren von den selben Künstlern beeinflußt worden. Unterschiede bei den Resultaten ergaben sich völlig natürlich aus den unterschiedlichen Persönlichkeiten, einem anderen gesellschaftlichen Hintergrund und unterschiedlichen Talenten. Weder war Dylan der erste, der eigene Lieder zur Gitarre sang, noch war Donovan der letzte dieser Art. Auch war er kein Trittbrettfahrer. Am 25. Juli 1965 trat er beim Newport Folk Festival auf, sich selbst auf der akustischen Gitarre begleitend. Bei „Colours“ sang Joan Baez mit ihm im Duett. Es war der selbe Tag, an dem Bob Dylan an gleicher Stelle die Folk-Welt mit seinem legendären elektrischen Set auf den Kopf stellte. Aber Donovan ließ sich bis zum Januar 1966 Zeit, bis erstmals eine E-Gitarre zum Einsatz kam (auf „Sunshine Superman“). Andere hatten da wesentlich schneller die Pferde gewechselt. Außerdem war dieses Betreten neuer Pfade weniger Dylans geändertem Kurs als eher dem neuen Produzenten Mickie Most geschuldet. Bereits im September 1965, als seine Karriere als erfolgreicher Troubadour erst wenige Monate alt war und besser gar nicht laufen konnte, experimentierte Donovan im Studio mit Schlagzeug, Cello, Flöte und jazzigen Arrangements! Etwas wie „Sunny Goodge Street“ hatte zu diesem Zeitpunkt im Folk-Zirkus niemand zu bieten!

 

Als Donovan sich Ende 1965 von seinem Management trennte, betrat in Folge einer Kettenreaktion der schon erwähnte Mickie Most, bereits Hit-Produzent für die Animals und Herman's Hermits, die Szenerie. Als durchsickerte, daß der mit Epic Records an einem US-Deal für Donovan feilte, ging Pye Records (das in den USA mit Hickory zusammenarbeitete) auf Konfrontationskurs. Das im September 1966 in den USA erschienene Album „Sunshine Superman“ wurde für England auf Eis gelegt. Als es im Juni des darauffolgenden Jahres dann doch erschien, waren mehrere Titel gegen Aufnahmen des ebenfalls nur in Amerika erhältlichen Nachfolgers „Mellow Yellow“ ausgetauscht worden. Dieses gewaltige Durcheinander aufgrund von rechtlichen Streitereien sollte noch einige Jahre anhalten.

 

Am 10. Februar 1967 beschlossen die Beatles, die Aufnahmen für „A Day In The Life“ in den Abbey Road Studios (in denen inzwischen auch Donovan arbeitete) mit einer riesigen Party abzuschließen. Neben klassischen Musikern in Kompaniestärke waren auch Mick Jagger, Keith Richards, Marianne Faithfull, Mike Nesmith von den Monkees und Donovan, alles Freunde der Band, geladen. Paul McCartney hatte schon ein halbes Jahr zuvor auf „Mellow Yellow“ mitgesungen (später auch auf „Atlantis“), was aber aus vertragsrechtlichen Gründen unerwähnt blieb. Da die BBC „A Day In The Life“ wegen angeblicher Drogenbezüge boykottierte, wurde auch der bei der Party entstandene Promo-Clip jahrelang nicht gezeigt, bildete aber die Vorlage für das weltweite Fernsehspektakel „All You Need Is Love“ vier Monate später.

Donovan kehrte im Herbst 1967 von einer großen US-Tour zurück, im Gepäck die Aufnahmen für sein erstes Live-Album („Donovan In Concert“). Im November ging er mit Schlagzeuger Tony Carr, dem Flötisten Harold McNair und dem Perkussionisten John „Candy“ Carr, die ihn schon auf der Tournee begleitet hatten, erneut ins Studio. Am Baß stand sein alter Freund Danny Thompson, der in Amerika fehlte, da er Verpflichtungen mit seiner neuen Band Pentangle hatte. Diese vier Musiker sollten die Stammbesatzung für die nächste LP bilden. Wahrscheinlich in Londons CBS-Studios nahm man sieben Stücke auf. Und schon dieser erste Teil der Sessions offenbarte ein Problem. Mickie Most schob sich deutlich in den Vordergrund, vieles wirkt einfach überproduziert. Manche Songs, vor allem die etwas schlichter gestrickten, bekamen komplexe Arrangements übergestülpt, mit denen sie spürbar überfordert waren. So funktioniert etwa „As I Recall It“ als überdrehte Dancehall-Nummer überhaupt nicht. Wesentlich besser lief es hingegen bei den psychedelisch angehauchten Werken. „Peregrine“ und das gemeinsam mit Gypsy Dave verfasste „Tangier“ sollten in keiner Zusammenstellung über britischen Psych-Folk fehlen. Und Gypsy Daves „The River Song“ beweist, was auch für andere Stücke auf der Platte mit mehr Fingerspitzengefühl drin gewesen wäre.

Peregrine“ widmete Donovan George Harrison, weil der ihn dazu inspiriert hätte. Und „Jennifer Juniper“ geht, trotz späterem Dementi, wohl eindeutig an die Adresse von Jenny Boyd, der jüngeren Schwester von Harrisons Frau Pattie, mit der Donovan damals gerade liiert war. Nach einigen Irrungen und Wirrungen heiratete Jenny dann 1970 doch Mick Fleetwood, ließ sich scheiden, heiratete ihn wieder, um sich neuerlich scheiden zu lassen. Aber im Februar 1968 reiste sie erst einmal mit Donovan nach Indien.

 

Am 15. Februar waren John Lennon und George Harrison mit ihren Frauen sowie Jenny Boyd zum Ashram des Maharishi Mahesh Yogi gereist. Vier Tage später folgten Paul McCartney, Donovan und Ringo nebst Gemahlin. Mia Farrow, Beach Boy Mike Love, Gypsy Dave und diverse Reporter waren ebenfalls zugegen. Außer transzendentaler Meditation war natürlich auch Musik ein Thema. Donovan zeigte Lennon und McCartney verschiedene Pickingtechniken auf der akustischen Gitarre, die er einst von Mac MacLeod gelernt hatte. „Dear Prudence“ und „Blackbird“ sollten bald demonstrieren, daß die Beatles sehr talentierte Schüler waren.

Zurück in London stand am 3. April die letzte Session für „The Hurdy Gurdy Man“ an. Es galt, die in Indien entstandenen Songs und Ideen zu verarbeiten. Für das Titelstück hatte George Harrison eine Strophe beigesteuert, die jedoch nicht verwendet wurde. Nur bei Konzerten sang sie Donovan (nach einer erklärenden Ansage). Mac MacLeod gehörte zu jener Zeit einer dänischen Rockband an, die sich Hurdy Gurdy nannte. Der Bezug ist also nicht zu übersehen. Eigentlich wollte Donovan den Titel Jimi Hendrix anbieten, aber Mickie Most witterte das Hitpotential und überredete ihn, ihn selbst einzuspielen. Donovan ließ nicht locker und wollte wenigstens, daß Hendrix das Gitarrensolo übernimmt. Doch der war gerade auf Tournee. Darüber, wer nun tatsächlich an „Hurdy Gurdy Man“ beteiligt war, gibt es seitdem jede Menge, sich zum Teil widersprechende, Aussagen. Sicher scheint zu sein, daß John Paul Jones den Baß spielte und Clem Cattini hinter dem Schlagzeug saß. Das Gitarrensolo übernahm wohl Alan Parker, obwohl auch Jimmi Page gelegentlich bei den Album-Sessions anwesend war. Auch John Bonham kommt zumindest für die Percussion-Parts in Frage. Wie auch immer es nun gewesen sein mag, am Ende stand einer von Donovans besten Songs in einer brillanten Aufnahme, die sowohl in England als auch den USA die Top 5 erreichte. Auf „Barabajagal“, dem Nachfolge-Album, initiierte Most einen weiteren Ausritt in härtere Gefilde, diesmal mit Jeff Beck und seiner Band. Doch dort vergaloppierte man sich.

Die restlichen Aufnahmen übernahm dann wieder die eingespielte Begleitmannschaft. Wie nicht anders zu erwarten, waren in Indien hauptsächlich Stücke über Frauen („West Indian Lady“, „Hi It's Been A Long Time“) und Spirituelles („The Sun Is A Very Magic Fellow“) entstanden. Mich kann von diesen „Mitbringseln“ nur „Get Thy Bearings“ mit Harold McNairs lässigem Saxofon überzeugen. Ein weiterer Indien-Song, „The Boy Who Fell In Love With A Swan“, den er noch Ende März in der Royal Albert Hall vorgestellt hatte, verschwand umgehend in der Versenkung.

 

Die Platte, die, wie auch „Barabajagal“, nicht in England erschien (im restlichen Europa gab es dagegen offenbar keine Bedenken), erreichte in den USA Platz 20. Auch die Singles „Jennifer Juniper“ und „Hurdy Gurdy Man“, die es sehr wohl auf der Insel zu kaufen gab (auf Pye), schlugen sich prächtig. In Deutschland landeten sie auf den Rängen 13 bzw. 11. Eine kuriose Single-Rarität erschien im Mai 1968 in Italien mit „Jennifer Juniper“ in der Landessprache.

Der sanfte Protest des Anfangsjahres war verschwunden und hatte Hippieträumereien, gut kalkuliertem Chartsfutter und gelungenen Ausflügen in die Psychedelic-Ecke Platz gemacht. Interessant ist hierbei, daß Donovan schon im Frühjahr 1966 eine Sitar, gespielt von Shawn Phillips, einsetzte (auf „Guinevere“). Zwar waren die Beatles da schneller gewesen, aber „Paint It Black“ entstand zur selben Zeit. Nur anschließend verlor er völlig das Interesse an dem Instrument und reaktivierte es auch für „The Hurdy Gurdy Man“ nicht mehr.

Bei allem übertriebenen Ehrgeiz des Produzenten, den zum Teil überfrachteten Arrangements und der unglücklich gewählten Reihenfolge der Stücke (nach einer furiosen ersten Seite gerät die Platte gegen Ende in bedenklich flaches Fahrwasser), sind es die stilistische Vielfalt und die großartigen Begleitmusiker, die das Album dennoch zu einem der spannendsten in Donovans Diskographie machen.

 

Im Gegensatz zur Musik bewegt sich der Klang auf einem durchgehend hohen Niveau. Das älteste Exemplar in meiner Sammlung ist eine holländische Nachpressung aus den 1970er Jahren (Epic BN S-26420). Originale erschienen mit einem gelben Epic-Label. Das hier verwendete (orange mit weißem Logo) war etwa zwischen 1973 und 1979 im Umlauf. Die Platte klingt weiträumig und sehr detailgetreu. Jedes Instrument läßt sich leicht orten. 1983 erschien ein Doppelalbum, das neben „The Hurdy Gurdy Man“ auch noch „Barabajagal“ enthielt. Die „Two Originals“-Reihe war damals in der Wiederverwertungskette verschiedener Plattenfirmen sehr beliebt. Die Scheibe (Epic EPC 22224) wirkt lediglich bei komplexeren Arrangements etwas unaufgeräumt, kann aber insgesamt durchaus überzeugen.

2012 brachte dann Music On Vinyl eine tadellose 180-Gramm-Ausgabe an den Start (die von Sundazed ist in Mono!), bei der die Reproduktion des Covers allerdings zu grell ausgefallen ist. Aber vielleicht gefällt das ja auch jemandem. Ähnlich verhält es sich mit dem Klang. Im Bassbereich wurde ordentlich nachgelegt. Zu viel, wenn Sie mich fragen. Vor allem, da dadurch der Gesang zu weit in den Hintergrund gedrückt wird. Jedoch muß ich erwähnen, daß ich mich nach mehrfachem Hören fast daran gewöhnt habe. Wenn Sie also mit Donovan in den späten 60ern noch etwas anfangen können (hätten Sie sonst bis hierhin durchgehalten?), sollten Sie dieser Pressung, auch wenn sie einen ganz anderen Charakter besitzt, auf jeden Fall eine Chance geben.

 

Donovans Karriere kam nach dem verschwurbelten „Atlantis“ nie mehr richtig in die Gänge. Erwähnenswert sind aber auf jeden Fall noch das rockige „Open Road“ (1970), das, wie ich finde, zu unrecht geschmähte „Cosmic Wheels“ (1973) und das 1996 von Rick Rubin produzierte „Sutras“ (leider nur als CD oder MC erhältlich). Und sollte Donovan noch mal in Ihrer Nähe ein Konzert geben, gehen Sie hin! Einen bescheideneren und sympathischeren Ex-Star werden Sie nur schwer finden.

 

Musik: 7,0

Klang: 8,0 (Holland, Mitte 1970er)

Klang: 7,0 (Holland, 1983)

Klang: 7,5 (Holland, 2012)

 

Ronald Born, Februar 2014