Peter Hammill – Fool's Mate (1971)

 

Der Van-de-Graaff-Generator ist ein Gerät zur Erzeugung hoher elektrischer Gleichspannungen. Erfunden wurde er 1929 von einem gewissen Robert J. Van de Graaff. So weit, so gut. Da mich Physik nie interessiert hat, und ich lediglich aufgeregte Anrufe zu tätigen pflege, wenn mal irgendein elektrisch betriebenes Gerät nicht funktioniert, wäre selbst diese schlichte Information wohl wirkungslos an mir vorbeigezogen, wenn es da nicht jene höchst ungewöhnliche englische Band geben würde, die sich nach eben dieser Apparatur benannt hat, wenn auch mit ein paar Eigenwilligkeiten in der Rechtschreibung. Und für mich ist Van der Graaf Generator gleich Peter Hammill, auch wenn der bis heute nicht müde wird, auf die intakten demokratischen Strukturen innerhalb der Gruppe zu verweisen. Aber er ist nun mal nicht nur der Sänger und Texter, sondern auch der Schöpfer der meisten Kompositionen. Gemeinhin spricht man in so einem Fall vom „Kopf“ einer Band. Und hören Sie sich mal „The Long Hello“ (1974) an, das einzige Album von Van der Graaf Generator (auch wenn sie sich da nicht so nennen), auf dem die Stammbesetzung ohne ihren „Chef“ agierte. Das könnte irgendwer sein, vielleicht ja sogar VdGG (ab jetzt nur noch so).

 

Da ich die Vorgeschichte dieser Band und also auch der zu besprechenden ersten Soloplatte Hammills wohl nicht voraussetzen kann, ein kurzer Schwenk ins Jahr 1967, als ein gewisser Chris Judge Smith gemeinsam mit dem jungen Singer/Songwriter Peter Joseph Andrew Hammill an der Universität von Manchester eine Band gründete, um dessen Songs angemessen präsentieren zu können. Verstärkt um einen Organisten nahm das Trio ein Demo auf, das ihm prompt einen Plattenvertrag mit Mercury Records einbrachte. Im Mai 1968 standen die drei vor der Entscheidung, an der Uni zu bleiben, oder in London die musikalische Karriere voranzutreiben. Der Organist blieb, Hammill und Smith zogen an die Themse, wo alsbald der klassisch geschulte Tastenmann Hugh Banton einstieg. In Tony Stratton-Smith fand man auch einen Manager, der einen ersten Auftritt bei der BBC (Top Gear, z.T. zu hören auf „The Box“ von 2000) organisierte. Dort spielte man mit Keith Ellis am Bass und Drummer Guy Evans, genauso wie auf der im Januar 1969 bei Polydor erschienenen ersten Single. Das ließ sich gut an, doch Mercury intervenierte, da ja Hammill und Smith noch bei ihnen im Wort standen. Die Single mußte zurückgezogen werden, worauf Smith seinen Ausstieg bekannt gab. Um weiteren diesbezüglichen Problemen aus dem Weg zu gehen, unterschrieben nun auch die verbliebenen Mitglieder bei Mercury. Konzerte (u.a. als Vorband für Jimi Hendrix in der Royal Albert Hall) verliefen verheißungsvoll, aber als ihnen der Van samt Anlage gestohlen wurde, erholte sich die Band von diesem finanziellen Tiefschlag nicht mehr. Anfang August löste sie sich zum ersten (und beileibe nicht letzten) Mal auf.

Hammill beschloß nun, bereits kurz zuvor in den Trident Studios gemachte Aufnahmen unter seinem Namen zu veröffentlichen, als Mercury das Angebot unterbreitete, die Jungs aus dem Vertrag zu entlassen, wenn sie die Platte unter dem Bandnamen herausbringen würden. „The Aerosol Grey Machine“ erschien im September 1969 ausschließlich in den USA, wo kein Mensch die Band kannte und mit nur minimalem Werbeaufwand seitens Mercury. Der Flop war vorprogrammiert. Inzwischen war Keith Ellis zu Juicy Lucy gewechselt und wurde durch Nic Potter ersetzt. Auch ein schräger Saxophonist mit Namen David Jackson, der schon mal Tenor- und Altsaxophon gleichzeitig spielte, gehörte jetzt zur Truppe. Manager Stratton-Smith bemühte sich derweil vergeblich, einen Plattenvertrag für seine Schützlinge (darunter auch Keith Emersons The Nice) an Land zu ziehen. Ursprünglich war er Sportjournalist gewesen und hatte die erste Biografie über Pelé verfasst. Da lag es praktisch auf der Hand, als nächstes eine eigene Plattenfirma aus der Taufe zu heben: Charisma Records (ich komme noch darauf zurück). VdGG waren die Ersten, die er für das neue Label unter Vertrag nahm. Es folgten rasch Bands wie The Nice, Rare Bird, Lindisfarne, Genesis und Birth Control, was Charisma zu einer Speerspitze des Progressive-Rock machte. Nur wußte das damals noch niemand.

 

Im Dezember nahmen die wiedererwachten VdGG ihr zweites Album „The Least We Can Do Is Wave To Each Other“ auf, bei dem die noch beim Debüt dominierende Akustikgitarre in den Hintergrund rückte und einem schweren, eher elektronischen Gruppensound Platz machte, den man auch heute noch mit der Band assoziiert: wummernde Orgelparts, ein treibender Bass, teils verfremdete Flöten- und Saxophonpassagen, darüber Hammills hoher, variantenreicher Gesang, der jetzt immer öfter in extatischen Schreien gipfelte. Und auch die Stücke wurden länger und vertrakter. Nur „Out Of My Book“ blieb knapp unter der Vier-Minuten-Grenze. Es war auch die einzige Nummer, die nicht von Hammill allein geschrieben wurde.

Schon im Sommer 1970 begannen die Aufnahmen für das, was am Ende „H To He, Who Am The Only One“ werden sollte. Mittendrin stieg Nic Potter aus (um erst 1977 zurückzukehren), was dazu führte, daß Hugh Banton den Bass mit dem entsprechenden Pedal seiner Orgel übernahm. Als er dann live gelegentlich doch einmal zur dafür gedachten Gitarre griff, setzte sich Hammill an Klavier oder Keyboard, was dem Quartett zu einer noch größeren musikalischen Bandbreite verhalf. Nach Erscheinen des dritten Albums ging es mit den Charisma-Kollegen Genesis und Lindisfarne im Januar 1971 auf Tournee durch neun große Hallen. VdGG waren der Top-Act, standen also auf den Plakaten ganz oben! Für April wurden dann nochmals acht Auftritte hinzugebucht. Noch während der Tour wurde bereits an den Stücken gewerkelt, die auf „Pawn Hearts“ den eigentlich längst fälligen Durchbruch bescheren sollten. Doch unverständlicherweise blieb der wieder einmal aus (und sollte nie kommen). Die Texte waren düsterer als die von Genesis, weil Hammill sich, anstatt bei Tolkien zu wildern, erschreckend real durch die menschlichen Abgründe wühlte, die Musik war kompromißloser und weit weniger pathetisch als die von Yes, und es fehlte komplett an der Theatralik, die bei den Kollegen zum festen Bestandteil des Images gehörte. Keine Masken, keine wallenden Gewänder, keine endlosen Gitarrensoli, just music. Am ehesten läßt sich das wahrscheinlich noch mit King Crimson vergleichen (Robert Fripp spielte als Gast sowohl auf „H To He“ als auch „Pawn Hearts“), obwohl die natürlich gleich mit ihrem Debüt „In The Court Of The Crimson King“ (Platz 5 in England) ordentlich abräumten und mit „In The Wake Of Poseidon“ (Platz 4) sogar noch einen draufsetzten.

 

Bevor man nun aber daran ging, mit den zeitlosen Genreklassikern „Lemmings“, „Man-Erg“ und „A Plague Of Lighthouse Keepers“ zumindest den Prog-Rock-Himmel zu erstürmen, hielt Peter Hammill die Zeit für gekommen, seine ursprüngliche Karriere angemessen zu beenden und Songs einzuspielen, die er bereits seit Jahren mit sich herumschleppte, und die inzwischen so gar nicht mehr zur aktuellen Ausrichtung der Band passen wollten. Ein richtiges Soloalbum sollte es werden. Und es sollte „Fool's Mate“ heißen. Zwischen der Charisma-Tour und dem ersten Studiotermin für „Pawn Hearts“ benötigte er gerade einmal vier Tage Ende April, um die zwölf Nummern aufzunehmen. Banton, Evans und Jackson halfen ihm dabei. Sogar Nic Potter war wieder mit von der Partie. Außerdem sorgten Ray Jackson und Rod Clements von Lindisfarne für ungewohnt folkige Tupfer. Und klar, auch Robert Fripp durfte nicht fehlen.

Das älteste Stück, „Candle“, hatte bereits fünf Jahre auf dem Buckel. „Imperial Zeppelin“ und „Vikings“ hatte Hammill noch in Manchester gemeinsam mit Chris Judge Smith geschrieben. Und so gibt „Fool's Mate“ nicht etwa einen ersten Ausblick auf „Pawn Hearts“, sondern schiebt die tiefhängenden, dunklen Prog-Wolken beiseite und läßt die Sonne noch einmal auf die späten Sechziger scheinen. Ein aus der Zeit gefallenes Album.

Verwirrt der Einstieg mit einem sich aufbauenden, kurzen, elektronisch erzeugten Akkord noch leicht, bringt „Imperial Zeppelin“ schon flotten Rock mit einem augenzwinkernden Männerchor. Bei „Candle“ - wie gesagt, bereits 1966 geschrieben – wird es dann richtig folkig. Ray Jacksons Mandoline und auch der Harmoniegesang mit seinem Lindisfarne-Kumpel Rod Clements lassen deren Vorjahreshit „Lady Eleanor“ durchschimmern. Der nächste Song, mit eigenwilligem Rhythmus und durch Orgel und David Jacksons Flötenspiel klassisch anmutend, heißt „Happy“. Dieses Wort hätte man in Hammills Vokabular von 1971 nicht mehr vermutet. Aber wir sind ja genaugenommen auch noch im vorangegangenen Jahrzehnt. „Solitude“, ganz entspannt und mit weißen Wolken als Thema, bedient sich dann sogar einer Mundharmonika. Mehr Folk wird man bei Hammill nicht finden. Und dann folgt ein Versprechen, das Peter Hammill auch auf seinen experimentellsten Platten immer halten würde: eine große Ballade darf nicht fehlen. Hier heißt sie „Vision“, von Hugh Banton nur am Piano begleitet und ausschließlich der Schönheit verpflichtet. Die erste Seite endet mit „Re-Awakening“, das vielleicht noch am ehesten an VdGG erinnert, inklusive seinem majestätischen Refrain.

Es gibt Leute, die „Sunshine“ an The Kinks erinnert. Und so weit hergeholt ist das gar nicht und liegt wohl am Music-Hall-Charakter des Stücks. Nicht ganz mein Ding, aber eine potentielle Single, wenn sich der Künstler etwas aus Chartsbeiträgen gemacht hätte. „Child“ ist dann einer der drei Songs, die immerhin länger als vier Minuten sind. Die Band agiert eher zurückhaltend (inklusive Fripp), Hammill singt gefühlvoll, um nicht zu sagen beseelt. Auf „Summer Song“ und dem kleinen Heldenepos „Viking“ klingt er dann schon mehr nach dem Frontmann seiner außergewöhnlichen Band. Doch auch hier fehlt die Extase, das Bedrohliche. Und das steht diesen vergleichsweise schlichten Songs aus der Vergangenheit ganz ausgezeichnet. Mit „The Birds“ tritt Hammill dann den überzeugenden Beweis an, daß er bei Bedarf auch noch eine zweite Ballade im Ärmel hat, bevor es mit „I Once Wrote Some Poems“ dann doch noch einen Ausblick in die Zukunft gibt. Nicht unbedingt auf die seiner Band, sondern eher auf die noch folgenden Alben unter eigenem Namen.

Es gibt genügend Stimmen, die meinen, „Fool's Mate“ sei auf keinen Fall der geeignete Einstieg in die Welt des Peter Hammill. Ich sehe das anders. Gerade für Novizen gibt es schon jede Menge Facetten dieses Künstlers zu entdecken, wenn auch nicht alle. Und welches, wenn nicht ein so breit gefächertes Album könnte die Neugier besser wecken? Gefälliger (im positivsten Sinn des Wortes) wird es nicht mehr. Sollten Sie sich jedoch bereits bei „I Once Wrote Some Poems“ abwenden, sieht es schlecht aus für eine wachsende Begeisterung. Hammill war immer ein Suchender, ein Grenzgänger, der sich um die nebenwirkungsfreie Konsumierbarkeit, die kommerzielle Attraktivität seiner Musik herzlich wenig Gedanken gemacht hat. Und so, wie er sich immer wieder aufs Neue gefordert hat, tat und tut er das auch mit seinen Hörern. Für hoffnungslos Harmoniesüchtige bliebe als letzte Alternative noch das bei Hardcore-Fans ungeliebte „The Love Songs“ von 1984 (mein persönlicher Einstieg). Hier werden seine (Überraschung) besten Liebeslieder präsentiert, allerdings teils in kompletten Neueinspielungen. Wenn diese auch nicht immer an die Originale heranreichen und der 80er-Jahre-Sound ein Übriges tut, handelt es sich trotzdem um eine der schönsten Melodiensammlungen dieses Jahrzehnts (mit „Vision“ und „The Birds“).

 

Doch auch „Fool's Mate“ ist bei Prog-Fans nicht unumstritten. Was auf der Hand liegt, denn ein Prog-Rock-Album ist es nicht, wollte es nie sein. Betrachtet man es also auch nicht durch die entsprechende Brille, erkennt man schnell eine der innovativsten und mutigsten englischen Singer/Songwriter-Platten des Jahres 1971. „Fool's Mate“ also in einer Reihe mit „Teaser And The Firecat“, „Hunky Dory“, „Bless The Weather“ oder „The North Star Grassman And The Ravens“? Warum eigentlich nicht?

Die Kritiken in der Heimat waren zumindest wohlwollend. Man wußte immerhin die hohe Qualität und den Überraschungseffekt zu schätzen. Die Fans der Stamm-Band zeigten sich jedoch verwirrt. Und auch der „normale“ Plattenkäufer griff dann sicherheitshalber doch eher zu David Bowie, Cat Stevens oder James Taylor. So etwas ähnliches wie kommerzieller Erfolg sollte erst drei Monate später mit „Pawn Hearts“ kommen. Allerdings war der auch nicht so bedeutend, wie heute gern dargestellt.

 

Wenn in England die Wiege des Progressive-Rock stand, dann war Italien der Kindergarten, in dem die lieben Kleinen die ihnen zustehende Liebe und Fürsorge erfuhren. Und so wird heute gar nicht mehr hinterfragt, ob die allerorten zu lesende Behauptung, „Pawn Hearts“ hätte dort auf Platz 1 der LP-Charts gestanden, auch den Tatsachen entspricht. Ich muß Sie enttäuschen, so cool waren die Italiener dann doch nicht. Der Ursprung dieser verbreiteten Legende liegt beim italienischen Musikmagazin „Ciao 2001“, das ironischerweise nach gut 30 Jahren im Jahr 2000 eingestellt wurde. Die hatten damals eine Leserhitparade (!) im Heft, auf der Anfang 1972 tatsächlich das VdGG-Album den Spitzenplatz belegte, gefolgt von „Storia Di Un Minuto“ der Lokalmatadoren Premiata Forneria Marconi, Emerson, Lake & Palmers „Pictures At An Exhibition“, „Nursery Cryme“ und „Islands“ von King Crimson. Im rauen Alltag fand sich „Pawn Hearts“ auf Rang 12 wieder. Was natürlich immer noch bemerkenswert ist, zumal 1972 auch „The Least We Can Do...“ in den Top 15 Italiens zu finden war, genauso wie jeweils gleich zwei LPs von Pink Floyd, Jethro Tull, ELP oder Genesis. Fakt bleibt hingegen, daß ohne die Begeisterung der italienischen Fans und der örtlichen Konzertveranstalter Bands wie VdGG und auch Genesis womöglich über ihre frühen Jahre gar nicht hinausgekommen wären. Grazie! Deutschland und Belgien spielten in dieser Beziehung übrigens ebenfalls eine positive Rolle.

 

Doch selbst dort fiel Peter Hammills Solo-Debüt nicht weiter auf. Dabei hatte man sich auch mit der Verpackung wirklich Mühe gegeben. Eine strukturierte Klapphülle war auch damals über dem Standard. Das Motiv stammte von Paul Whitehead, der schon „H To He“ und Genesis' „Trespass“ gestaltet hatte („Nursery Cryme“ und „Foxtrot“ sollten folgen), und zeigt u.a. ein Schachbrett, womit die visuelle Brücke zum Albumtitel („Fool's Mate“ = „Narrenmatt“) geschlagen wäre. Mit „Narrenmatt“ bezeichnet man die schnellstmögliche Form, einen Gegner matt zu setzen, wobei der sich aber etwas ungeschickt anstellen muß. Irgendjemand schrieb mal, daß ihn das Cover aber eher an den Schäferzug erinnere, eine ähnlich effektive Angelegenheit, um einen Anfänger auf's Kreuz zu legen. Vor vielen Jahren hat damit ein Kind (!) meine noch nicht begonnene Karriere als Schachspieler schlagartig beendet. Da bleibt zur Ehrenrettung nicht viel zu sagen, außer, daß dieses Kind heute als gefragter Computerspezialist um die ganze Welt fliegt, also wohl ein Wunderkind gewesen sein muß.

Ich versuche jetzt, ohne den Nachsatz „Wie Peter Hammill“ zum Thema zurückzufinden und komme noch einmal auf Charisma Records zu sprechen. Bei Peter Gabriel habe ich dazu ja schon einiges gesagt. Da nun aber eine originale „Pink Scroll“-Pressung vor mir liegt (Charisma CAS 1037), will ich noch ergänzen, daß der Aufdruck „Manufactured And Distributed By B&C Records LTD“ irreführend ist. B&C war zwar der Vertriebspartner, und man verwendete sogar das gleiche Katalognummernsystem (CAS 1038 gehört z.B. zu Wishful Thinkings „Hiroshima“-LP, aber eben auf B&C), aber man verfügte nie über ein eigenes Presswerk. Die frühen Platten wurden bei der EMI hergestellt, woran auch die Matrixnummern keinen Zweifel lassen. Da es tatsächlich nur 30 LPs mit dem attraktiven „Pink Scroll“-Label zu geben scheint, und musikalisch sehr anspruchsvolles Material geboten wird (plus Monty Pythons zweitem Album), könnte sich für manche sogar ein dankbares Sammelgebiet eröffnen. Auch preislich bewegen sich diese Platten, mit Ausnahme von Genesis' „Trespass“ (CAS 1020), VdGGs „The Least We Can Do...“ (CAS 1007) und Birth Controls zweitem Album (CAS 1036) in einem erträglichen Rahmen, da der Kult-Bonus, den man heute z.B. bei allen frühen englischen Vertigo-Swirl-Ausgaben oder Islands Pink-Label zu entrichten hat, noch nicht erhoben wird. Nur bei einigen Singles könnte es richtig weh tun.

Leuten, die auf analoge Meriten Wert legen, muß ich aber leider abraten. In dieser Hinsicht sind die frühen Alben von Genesis und auch VdGG keine Offenbarung, auch wenn ich davon keine Erstausgaben besitze. Aber so weit können die Nachpressungen gar nicht hinterherhinken, fürchte ich. In puncto Klang kommen sie nicht einmal in die Nähe einer Platte wie Yes' „Fragile“. Fragen Sie mich nicht, warum das so ist.

 

Da schlägt sich dann „Fool's Mate“ recht tapfer, auch wenn man keine Wunderdinge erwarten sollte. Produziert wurde, wie schon bei allen vorangegangenen Band-LPs, von John Anthony, der wohl so etwas wie Charismas Haus-Produzent war, bevor er auch für Queen und Roxy Music arbeitete. Mein zweites Exemplar stammt aus Deutschland (Philips 6369 911, ebenfalls 1971) und klingt fast identisch. Da muß dann der Preis entscheiden, denn auch das Klappcover wurde übernommen (nur nicht strukturiert). Der dritte Kandidat kommt aus Holland (Charisma 9199 190). Lassen Sie sich nicht, wie so viele, von der Angabe „1972“ auf den Labels irritieren. Was immer man uns hier mitteilen will, das Erscheinungsjahr ist es jedenfalls nicht. Denn die Platte erschien in der „Pop Legends“-Reihe (die spinnen, die Holländer), und die wurde erst 1979 eingeführt, was auch die Bestellnummer untermauert. Ihr fehlt ein bißchen Fundament, und sie hat nur noch eine einfache Hülle, ist dafür aber am günstigsten zu bekommen.

Nun wird Ihnen vielleicht schon aufgefallen sein, daß beim Thema Peter Hammill ein paar zusätzliche Emotionen ins Spiel kommen. Ich verehre diesen Mann! Verehre ihn für seine Geradlinigkeit, seine nicht immer einfache, aber immer großartige Musik, seine Art, die ich nur mit „gentlemanlike“ beschreiben kann. Ich habe ihn über die Jahre mehrmals live gesehen, in unterschiedlichsten Konstellationen. Immer war es grandios, immer hat er bis zur Erschöpfung gespielt und gesungen. Und trotzdem nahm er sich jedes Mal anschließend noch die Zeit auf ein Wort mit den geduldig wartenden Fans. Das kam nicht etwa als gönnerhafte Geste oder kumpelhafte Anbiederei rüber, sondern schien ihm wirklich wichtig zu sein. Und ich habe ihn nie „Peter“ genannt, immer „Mr. Hammill“! Versuchen Sie erst gar nicht, mit Peter-Hammill-Autogrammen zu handeln. Wir haben alle mindestens schon eins!

 

Musik: 8,0

Klang: 8,0 (England, 1971)

Klang: 8,0 (Deutschland, 1971)

Klang: 7,5 (Holland, 1980)

 

 

Ronald Born, März 2016