McKendree Spring – Second Thoughts (1970)

 

Schon mal gehört, den Namen? Zu Beginn der 1970er Jahre stand dieses Quartett zumindest in Amerika kurz vor dem Durchbruch. Aber irgendwie hat es dann doch nicht ganz gereicht. Man blieb bis zur zwischenzeitlichen Auflösung im Jahr 1976 die „ewige Vorband“. Zu denen, für die man regelmäßig das Publikum anheizen durfte, zählten aber immerhin Größen wie Frank Zappa, die Byrds, Jethro Tull oder Ike & Tina Turner. Der legendäre Konzertveranstalter und Manager Bill Graham nannte sie damals „eine der besten unbekannten Bands der Welt“. Normalerweise bewirken solche Worte aus berufenem Mund, daß sich plötzlich Kritiker und Öffentlichkeit mit frisch gewecktem Interesse auf die einst Verschmähten stürzen. Doch im Falle von McKendree Spring verpuffte Grahams markiger Spruch ungehört.

 

Gegründet 1969, verzichtete die Band um den Sänger und Gitarristen Fran McKendree und den elektrifizierten Geigenvirtuosen Michael Dreyfuss auf ihrem ersten Album noch komplett auf ein Schlagzeug. Irgendwann schrieb einmal irgendjemand, daß sich die Kapelle durch generellen Verzicht auf Drums auszeichnete, und das wurde dann fleißig von anderen Schreibern übernommen. Stimmt nur nicht. Erst ihr fünftes Album, „Spring Suite“, kam wieder ohne Schlagwerk aus. Auf den zwischen 1970 und 1972 erschienenen drei Alben wirkten Kenny Buttrey (Bob Dylan, Neil Young), Bobby Gregg (Bob Dylan, Simon & Garfunkel) und Andy Newmark (Sly and the Family Stone, Pink Floyd) als prominente Gast-Drummer mit. Wesentlich markanter ist da doch die Tatsache, daß man von Anfang an elektrisch verstärkte Geigen und Bratschen einsetzte. Und schon auf dem Debüt war auch ein Theremin (ebenfalls von Dreyfuss gespielt) zu hören. Dieses 1920 erfundene elektronische Instrument erzeugt Töne, ohne daß es berührt wird. Nachdem man es in den 30er Jahren bei zeitgenössischer Musik einsetzte, verschwand es zunächst in der Versenkung. In Science-Fiction-Streifen der 1950er erfüllte es dann die Funktion, Bedrohungsszenarien durch Außerirdische musikalisch zu illustrieren. In dieser Zeit begann auch der junge Robert Moog, Theremine zu bauen und zu verkaufen. Er verbesserte und verkleinerte das Instrument, so daß es auch für Rockmusiker interessant wurde. Auf „Good Vibrations“ setzten die Beach Boys ein Tannerin (nicht mehr berührungslose Variante) ein. 1967 war ein Theremin in Captain Beefhearts „Electricity“ und 1969 in „Whole Lotta Love“ von Led Zeppelin zu hören. Besonders prominent kann man es im Vorspann zur Krimiserie „Inspektor Barnaby“ genießen. Moog entwickelte aus dem Theremin heraus dann seinen Synthesizer, ohne den fortan Rock- und Popmusik nicht mehr denkbar waren. Ab „Second Thoughts“, dem zweiten Album, setzten auch Dreyfuss und McKendree Spring auf den Moog.

E- und Slide-Gitarren steuerte Martin Slutsky bei, ein unterschätzter Musiker, der dann nach seiner Karriere mit der Band ins Fernsehfach wechselte, dort US-Präsidentschaftsdebatten und Übertragungen von Olympischen Spielen produzierte und sieben Emmy Awards einstrich.

Nur am Bass gab es eine gewisse Fluktuation. Gründungsmitglied Larry Tucker wurde nach zwei LPs von Fred Holman ersetzt. Ab „Spring Suite“ übernahm dann Christopher Bishop, der auch 2010 beim ersten Studioalbum nach mehr als 30 Jahren („Recording No. 9“) wieder dabei war.

 

In meinem Regal stehen die ersten fünf LPs der Band. Eigentlich könnte ich die alle uneingeschränkt empfehlen, vor allem, weil alle auch überdurchschnittlich gut klingen. Im Konzept ähneln sie sich, bis auf die fünfte, auffallend. Musikalisch herrscht ein Mix aus Country, Folk und Blues vor. Wirklich originell wird es durch die Experimentierfreude des Ensembles. Vor allem Dreyfuss, mit Doktortitel und Abschlüssen in Physik und Medizin versehen, sorgte mit dem ungewöhnlichen Einsatz seiner Streichinstrumente und einer Schwäche für Kompositionen im klassischen Stil für reichlich innovative Momente. Doch offensichtlich traf das bei der Fangemeinde der Singer/Songwriter damals auf wenig Gegenliebe. Die griff dann doch lieber zu verläßlicheren Kandidaten wie James Taylor oder Cat Stevens. Im Lager der Progressive-Rock-Fans konnte man sich hingegen wohl mit den vielen akustischen Passagen und Fran McKendrees melancholischem, manchmal etwas weinerlichem Gesang nicht anfreunden. Mit „Spring Suite“ (1973) schielten die New Yorker dann ganz unverblümt nach dem englischen Publikum, das sich gerade für Genesis, King Crimson und Yes begeisterte. Man nahm die Platte in Richard Bransons The Manor in Oxfordshire auf, wo gerade „Tubular Bells“ entstanden war. Die Abmischung erfolgte in den Londoner Island Sound Studios, und das Cover gestaltete Roger Dean, so daß die Platte einem neuen Yes-Album zum Verwechseln ähnlich sah. Es half alles nichts.

 

Auf den ersten vier Scheiben zeichnete sich die Band durch eine sehr gelungene Auswahl und Interpretation von Fremdmaterial aus. Dabei setzte man kaum auf Nummer sicher, sondern pickte sich so vorzügliche wie weniger bekannte Stücke von Leuten wie Jerry Jeff Walker, Arlo Guthrie, Tim Buckley oder Anna McGarrigle heraus. Und wenn schon Dylan oder Young, dann aber nicht die großen Hits, sondern „John Wesley Harding“, „The Man In Me“ oder „Down By The River“, wobei die Adaption des Letzteren nichts mit Größenwahn zu tun hat. Man muß einfach mal gehört haben, wie gekonnt und gelungen sie sich dieses Monument zu eigen machen (auf „3“ von 1972)!

Lag die Verantwortung für eigenes Material auf „Second Thoughts“ noch allein bei McKendree, brachten ab dem dritten Album auch die anderen Bandmitglieder ihre Ideen ein, mit dem gemeinsam geschriebenen Rocker „Flying Dutchman“ und Dreyfuss' verstörendem Experiment „God Bless The Conspiracy“ als Höhepunkten.

 

Second Thoughts“, das in den für ihren exzellenten Sound geschätzten Woodland Sound Studios in Nashville aufgenommen wurde, verzichtet noch auf Anleihen beim Progressive-Rock, Akustikgitarren dominieren, die Violine von Dreyfuss mag sich noch nicht recht zwischen Country und Avantgarde entscheiden. McKendrees Songwriting deckt alles zwischen gefühlvoller Ballade („Susie, Susie“, „'Lani“), gefälligem Folkrocker („Because It's Time“) und düsterer, pianogepeitschter Anklage („Friends Die Easy“) ab. „Because It's Time“ wurde dann auch als Single ausgekoppelt, mit dem folkigen „Oh Now My Friend“ als B-Seite. Soweit mir bekannt ist, wurde die LP nicht in Deutschland veröffentlicht, die Single schon.

 

Bei den Coverversionen veränderte man wie üblich nicht die Struktur der Originale, sondern beschränkte sich darauf, durch Hinzufügen von bandtypischen Markenzeichen (McKendrees unverwechselbarer Gesang und Dreyfuss' verstärkte Geige) das Ganze so klingen zu lassen, als wäre es einem gerade selbst eingefallen. Den Anfang macht hier James Taylors Therapie-Versuch „Fire And Rain“, das im Frühjahr 1970 die US-Charts gestürmt hatte. Dafür sind die beiden anderen „ausgeborgten“ Stücke wieder weit weniger prominenter Herkunft. Für die Produktion des Albums (und Unterstützung bei den Arrangements) hatte man sich den in Schottland geborenen kanadischen Songwriter Adam Mitchell ins Boot geholt. Dessen Songs sollten später Leute wie Olivia Newton-John, Waylon Jennings oder Art Garfunkel aufnehmen. In den 1980ern schrieb Mitchell dann auch für Kiss. Begonnen hat er seine Karriere jedoch 1966 bei einer, bei Albert Grossman unter Vertrag stehenden, Möchtegern-Psychedelic-Band aus Toronto: The Paupers. Die veröffentlichten 1968 eine erfolglose Single mit dem eher poppigen Stück „Cairo Hotel“. Diesen seinen Song brachte nun Mitchell mit nach Nashville, und McKendree Spring machten eine Hymne daraus, die im Refrain doch stark an das gruppendynamische „Meet On The Ledge“ von Fairport Convention erinnerte, live aber wohl genauso hervorragend funktioniert haben dürfte.

Den Abschluß der LP bildet Eric Andersens „For What Was Gained“ (hier als „What Was Gained“) von dessen 69-er Album „Avalanche“. Ich denke, schon damals zählte die Nummer nicht zu den besten Anti-Kriegs-Songs. Auch heute wirkt die Geschichte vom Freund, der in den Kampf zieht und jung stirbt doch eher bemüht als berührend. Und der Song ist, gemessen an seinem eher bescheidenen Potential, einfach zu lang. Schaffte man es auf dem amerikanischen Original (Decca DL 75230) noch, den Namen Andersens korrekt zu schreiben, schlich sich dann bei der englischen Ausgabe (MCA MUPS 433) der altbekannte Fehler (Anderson) wieder ein. Womit ich die Überleitung zur klanglichen Einschätzung auch noch hinbekommen hätte.

 

Daß die amerikanische Decca nach dem Krieg mit ihrer englischen Mutterfirma nur noch den Namen gemein hatte, habe ich beim Eintrag zu den Rolling Stones ja schon erwähnt. Während also die europäische Decca ihre Platten in Amerika über London Records vertrieb, griff das US-Label für den Vertrieb in Europa erst auf Brunswick und später dann MCA zurück, dessen Ableger man 1962 durch Übernahme geworden war.

Sowohl das Original (140 Gramm), als auch die erst 1971 erschienene englische Pressung (150 Gramm) klingen sehr warm und transparent. Fran McKendrees Stimme wurde hervorragend freigestellt, ebenso die Geige bei gelegentlichen Soli. Vorteil der US-Ausgabe ist ein Klappcover. Auf die vielen, auf den Innenseiten abgebildeten Fotos (live, im Studio, Schnappschüsse von Kindern, aber kein einziges Bandfoto) mußten die Käufer in England verzichten. Außer einer italienischen Version (MCA MAPS 3403) sind mir keine weiteren Ausgaben der Platte bekannt. Auch scheint es auf Vinyl, abgesehen von ein paar eher lieblosen Teilen auf MCAs Rainbow-Label, kaum Nachauflagen der frühen Werke der Band zu geben. Aus meiner Sicht würde eine aktuelle Auflage aber wenig Sinn machen (es gibt eh schon genügend Reissues, die keiner braucht). Wie schon erwähnt, sind zumindest die frühen Alben allesamt hervorragend produziert. Ein Alibi-Remastering könnte da ein Schritt in die falsche Richtung werden. Und wegen des Fehlens echter Sammler sind selbst sehr gut erhaltene Exemplare der Originalplatten relativ günstig zu finden. Zum Reinschnuppern empfehle ich neben „Second Thoughts“ vor allem „3“ (wieder mit Theremin). Sie werden sehen, daß das Leben für Ihre bisherigen Lieblingsscheiben der frühen 70er Jahre danach nicht leichter wird!

 

Musik: 7,5

Klang: 8,5 (USA, 1970)

Klang: 8,5 (England, 1971)

 

 

Ronald Born, September 2014