Blood, Sweat & Tears – Blood, Sweat & Tears (1968)


Jazz-Rock ist nicht so Ihr Ding? Meins übrigens auch nicht. Welcher Teil davon einem nun die Sache verleidet, hängt schlicht davon ab, was man normalerweise bevorzugt. Und natürlich, auf welchem Niveau sich das abspielt, was einem als Fusion der beiden Stile serviert wird, und wie weit man bereit ist, sich wirklich darauf einzulassen. Ich mutmaße mal, daß, wenn Sie mit dem zweiten Album von Blood, Sweat & Tears (ab jetzt nur noch BS&T) nichts anfangen können, auch Jazz-Rock kein Thema mehr für Sie werden wird.

Alles beginnt im Sommer 1965 im New Yorker Greenwich Village, dem Mekka der amerikanischen Gegenkultur. Danny Kalb, ein junger Bluesmusiker, hatte in der einsetzenden Beatlemania seine akustische gegen eine elektrische Gitarre getauscht und eine Band namens Blues Project gegründet. Im Herbst stieß Steve Katz von der Even Dozen Jug Band dazu. Beim Vorspielen für einen Plattenvertrag bei Columbia Records (mit negativem Ausgang) wurde der Sessionmusiker Al Kooper auf die Band aufmerksam. Kooper, eigentlich Gitarrist, war während der Aufnahmen zu Dylans „Like A Rolling Stone“ eher zufällig hinter die Orgel gerutscht. Als er Mike Bloomfield Gitarre spielen hörte, beschloß er desillusioniert, sich fortan ganz den Tasten zu widmen. Im Blues Project sah er die ideale Möglichkeit, sein Spiel kontinuierlich zu verbessern. Als die Band kurz darauf bei Verve unterschrieb, nahm sie ihr erstes Album live im Cafe au Go Go in der Bleecker Street auf. Während der folgenden Tour gastierte man auch im Fillmore in San Francisco, wo mehrere Mitglieder der Grateful Dead die Newcomer von der Ostküste bestaunten, die ebenfalls mit langen Improvisationen und einem psychedelischen Touch begeisterten. Auf dem zweiten Longplayer („Projections“) kam dann zu Rock, Blues und Psychedelia noch eine Prise Jazz hinzu. Auf beiden Platten finden sich neben ein paar Eigenkompositionen (hauptsächlich von Kooper) jede Menge Bluesstandards von Muddy Waters bis Willie Dixon, aber auch Adaptionen von Stücken junger Songwriter wie Donovan und Eric Andersen. Beim letzten Höhepunkt der Band, einem Auftritt beim Monterey Pop Festival im Juni 1967, war Al Kooper schon nicht mehr dabei. Kurz darauf verließen auch Kalb und Katz die Gruppe, die fortan als Seatrain agierte.


Im September 1967 fanden Steve Katz und Al Kooper wieder zusammen und gaben gemeinsam mit dem Bassisten Jim Fielder und Schlagzeuger Bobby Colomby im Cafe au Go Go die Vorgruppe für Moby Grape. Kooper wählte den Namen Blood, Sweat & Tears nach dem gleichnamigen Johnny-Cash-Album aus dem Jahr 1963, auf dem dieser dem hart schuftenden amerikanischen Arbeiter ein Denkmal setzte. Die oft zu lesende Behauptung, der Bandname sei einem Zitat Winston Churchills entlehnt, stammt von Leuten, die nicht richtig zuhören können. Churchill sagte bei seiner Antrittsrede als Premierminister am 13. Mai 1940 in ungewohnter oder gespielter Bescheidenheit: „I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat.“. Nicht der einprägsamste Name für eine Band.

Im November stieß der Saxofonist und Arrangeur Fred Lipsius zu dem Quartett. Es war ein offenes Geheimnis, daß Al Kooper eine Bläserbegleitung vorschwebte, wie sie etwa der Produzent James William Guerico seinen Schützlingen The Buckinghams („Mercy, Mercy, Mercy“) verpasst hatte. Und so ließ Lipsius seine Beziehungen spielen und lotste die Jazz-Musiker Dick Halligan (Posaune), Jerry Weiss (Trompete, Flügelhorn) und Randy Brecker (ebenfalls Trompete und Flügelhorn) in die Band. Die ersten Auftritte dieser Besetzung wurden vom New Yorker Publikum begeistert aufgenommen, so daß Columbia Records nicht lange zögerte und einen Vertrag anbot. John Simon, der gerade Simon & Garfunkels „Bookends“ fertiggestellt hatte, produzierte das in gerade einmal zwei Wochen eingespielte Debüt „Child Is Father To The Man“, auf dem die Blues-Rock-Folk-Fusion des Blues Project mit jazzigen und klassischen Elementen angereichert und attraktiv erweitert wurde. Und wieder wurden Songs junger Autoren bearbeitet, diesmal von Harry Nilsson, Tim Buckley und Randy Newman. Dieses grandiose Album hätte weit mehr verdient gehabt als einen 47. Platz in den Billboard-Charts. Das fanden auch Katz und Colomby, die Al Koopers Gesang als Schwachstelle ausmachten und ihm rieten, doch nur noch Orgel zu spielen und zu komponieren. Der nahm daraufhin im April 1968 seinen Hut, heuerte als A&R-Mann bei Columbia an und spielte mit seinem Idol Michael Bloomfield sowie Stephen Stills einen Monat später die sehr erfolgreiche LP „Super Session“ ein. Neben einem neuen Sänger suchte die Band auch noch nach Ersatz für Weiss und Brecker, die ebenfalls eigene Wege gehen wollten.

 

Neue Bläser waren in Lew Soloff und Chuck Winfield schnell gefunden. Da Dick Halligan hinter die verwaiste Orgel wechselte, engagierte man auch noch den Posaunisten Jerry Hyman. Nachdem unter anderem Alex Chilton, Stephen Stills und sogar die junge wie exzentrische Laura Nyro als Sänger im Gespräch gewesen waren, kam der entscheidende Tipp von Judy Collins. Die hatte in einem Club einen Typen gehört, der sie förmlich umgehauen hatte. Colomby und Katz wollten sich also selbst ein Bild machen, mit dem Ergebnis, daß sie David Clayton-Thomas vom Fleck weg verpflichteten. Der war als Sohn eines kanadischen Soldaten und einer englischen Truppenbetreuerin in Surrey, England geboren worden, nach dem Krieg aber in der Nähe von Toronto aufgewachsen. Rebellisch und häufig mit seinem Vater im Streit, verbrachte er seine Jugend hauptsächlich auf der Straße oder in Strafanstalten. Als er die Musik für sich entdeckte und einiges Talent offenbarte, nahm ihn Ronnie Hawkins unter seine Fittiche. David ließ sein altes Leben hinter sich, was er mit der Änderung seines Nachnamens unterstrich. Mit lokalen Bands verbuchte er ein paar Achtungserfolge und nahm insgesamt drei LPs auf. Irgendwann begleitete er John Lee Hooker nach New York, wo beide gemeinsam auftraten. Als Hooker auf Europa-Tournee ging, war Clayton-Thomas auf sich allein gestellt und schlug sich mit gelegentlichen Auftritten durch. Bis Judy Collins ihn hörte.

Mit ihm, dem charismatischen Frontmann mit der ausgesprochen kräftigen, souligen und ausdrucksstarken Stimme, verfügte die jetzt neunköpfige Band über den bislang vermissten Pop-Appeal. Im Juni 1968 präsentierte sich das neue line up erstmals der Öffentlichkeit (wieder im Cafe au Go Go). Im Oktober ging es dann ins Studio, und der bereits erwähnte James William Guerico betrat die Bühne. Nachdem er Mitte der 1960er Jahre unter anderem bei Zappas Mothers of Invention gespielt hatte, wechselte er als Produzent zu Columbia. Mit den Buckinghams verbuchte er 1967 vier Top-Ten-Hits, was einen Jugendfreund auf den Plan rief. Der hieß Walter Parazaider und bat Guerico, sich doch mal seine neue Band The Big Thing anzuhören. Guerico erkannte das Potential und bot sich als Manager und Produzent an. Außerdem verordnete er der Gruppe einen neuen Namen: Chicago Transit Authority. Nach mehreren verheißungsvollen Auftritten wollte Guerico seine Schützlinge unbedingt ebenfalls bei Columbia unterbringen und ein Album mit ihnen aufnehmen. Angeblich machten die Plattenbosse aber zur Bedingung, daß er erst noch die nächste LP von BS&T produzieren sollte. Ein Glücksfall! Genau wie die Wahl des Aufnahmeortes.


Die Columbia Studios in New York hatten sich gerade eine brandneue 16-Spur-Bandmaschine von Ampex geleistet, die die kreativen Möglichkeiten enorm erweiterte. „BS&T“ war eines der ersten Alben, das mit diesem Gerät aufgenommen wurde. Als Toningenieur fungierte Roy Halee, der außer „Bookends“ und „Super Session“ auch schon „Sweetheart Of The Rodeo“ und „The Notorious Byrd Brothers“ von den Byrds betreut hatte. Neben weiteren BS&T-LPs sollten später unter anderem noch die klanglichen Highlights „Bridge Over Troubled Water“ (1970) und „Paul Simon“ (1972) seinen hervorragenden Ruf mehren. Daß „Graceland“ dann leider eher nach 1986 als nach Roy Halee klang, ist eine andere Geschichte.

Unter diesen idealen Voraussetzungen konnte es jetzt nur noch die Band vermasseln. Tat sie aber nicht. Schon die Songauswahl ist exklusiv. Eingerahmt wird die Platte von Variationen zu den „Trois Gymnopédies“ des Autodidakten und erklärten „Anti-Musikers“ Erik Satie, der diese drei Klavierstücke 1888 für ein Pariser Nachtkabarett geschrieben hatte. Es folgt „Smiling Phases“ von Traffics US-Debüt „Heaven Is In Your Mind“, das sich nicht nur in diesem Song vom englischen Erstling „Mr. Fantasy“ unterscheidet. Clayton-Thomas führt sich hier schon mal bestens ein. „Sometimes In Winter“, ein elegisches Stück mit wunderbarem Flötensolo Dick Halligans (kein Jazz, nur schön), ist das einzige, das nicht vom Neuling, sondern von Steve Katz gesungen wird, der es auch geschrieben hat. Mit „More And More“ übernimmt Clayton-Thomas wieder das Zepter. Little Milton hatte im Jahr zuvor einen kleineren R&B-Hit mit der Nummer, doch BS&T legen eine ordentliche Schippe drauf. Teile des Arrangements stammen noch (wie auch bei „Smiling Phases“) von Al Kooper, woraus man schließen kann, daß das Stück schon eine Weile im Repertoire war.

Laura Nyro hatte „And When I Die“ im Teenageralter geschrieben und dann an Peter, Paul & Mary verkauft. Ihre eigene Interpretation ist im Vergleich eher schlicht, aber zutiefst berührend, während BS&T mit ihrer Version, die mehr an Music Hall und Filmmusik erinnert, dem Song meiner Meinung nach nicht gerecht werden. Auf der Singleauskopplung (der insgesamt dritten) ist das Stück jedoch um zwei Instrumentalpassagen gekürzt (allerdings nicht in Deutschland, wo man sich für die volle Länge entschied). Bei Billie Holidays „God Bless The Child“ (von 1941!) machten sie dann aber wieder alles richtig. Posaune, Trompete und Altsaxophon bekommen ihre Soli und vereinigen sich am Ende in weihnachtlicher Stimmung.


A little more cowbell“? Dann sind Sie bei „Spinning Wheel“ genau richtig. Es ist das einzige Stück des Albums, das von Clayton-Thomas geschrieben wurde. Ein „painted pony“ spielt darin eine zentrale Rolle. Einen Grammy gab es trotzdem, und zwar für das Arrangement von Fred Lipsius. Heute dürfte „Spinning Wheel“ der bekannteste Song von BS&T sein, unzählige Male interpretiert, ohne dem glänzenden Original noch Nennenswertes hinzufügen zu können. Das endet mit einem schrägen Melodiezitat aus „O, du lieber Augustin“ (und anschließendem Gelächter). Vielleicht war es ja dieser Scherz, der die Wienerin Marianne Mendt dazu bewog, mit ihrer Version „A g'scheckert's Hutschpferd“ zumindest sprachlich neue und nicht für möglich gehaltene Akzente zu setzen.

Spinning Wheel“ war die zweite Single und erreichte, wie die beiden anderen auch, einen zweiten Platz in den US-Charts. Und wieder wurde für den Radioeinsatz ordentlich gekürzt. Fast zweieinhalb Minuten fielen der Schere zum Opfer, darunter Lew Soloffs Trompetensolo und ein erheblicher Teil vom „Augustin“.

Die erste Single, die im April 1969 an den Start ging, war jedoch die Motown-Ballade „You've Made Me So Very Happy“, bei der wesentlich mehr dunkle Wolken am Horizont aufzogen, als bei Brenda Holloways Original oder auch einer späteren Aufnahme von Diana Ross. In England war die Nummer der einzige (!) Hit von BS&T, wobei das mit Platz 35 auch noch leicht übertrieben ist. Auch hier wurde hörbar gekürzt.

Nachdem David Clayton-Thomas die Band im Januar 1972 aufgrund interner Querelen um die künftige musikalische Ausrichtung verlassen hatte (die Gründungsmitglieder Lipsius und Halligan sollten bald folgen), brachte Columbia Records im Februar eilig „Greatest Hits“ in die Läden, um vor einem zu erwartenden endgültigen Aus (das dann doch nicht kam) noch mal Kasse zu machen. Darauf waren alle drei gekürzten Singlefassungen enthalten, allerdings im Stereo-Mix. Singles wurden damals noch in Mono veröffentlicht. Spätere CD-Ausgaben des Samplers spielten dann aber die kompletten Songs.

Da eine Single ja auch eine B-Seite braucht, entschied man sich, „You've Made Me So Very Happy“ mit „Blues – Part II“ zu koppeln, natürlich ebenfalls stark beschnitten. Aber bei ursprünglich fast zwölf Minuten Spielzeit war das ausnahmsweise nachvollziehbar. Wem von den Fans der ersten Stunde das Album bisher zu „poppig“ geraten war, der kam jetzt voll auf seine Kosten. Die einzige Band-Komposition der Platte bot Orgel, Schlagzeug, Bass und vor allem Lipsius' Altsaxophon ausreichend Freiraum für beseelte Soloeinlagen. Und mit kurzen Passagen aus Creams „Sunshine Of Your Love“ und Willie Dixons „Spoonful“ erwies man gleich noch den gemeinsamen Helden die Referenz. Chicago Transit Authority griffen diese Art der fortgeschrittenen Respektsbekundung wenige Monate später auf ihrem Debüt ebenfalls auf. Nur zitierten sie in „South California Purples“ „I Am The Walrus“...

BS&T“ endet, wie es begonnen hat, mit Satie.


Natürlich waren BS&T und Chicago Transit Authority nicht die Erfinder des Jazzrock. Aber sie waren die ersten, die Bläser einsetzten, denen breiter Raum für solistische Ausflüge eingeräumt wurde. Bei der Pop-Band The Buckinghams zum Beispiel sorgten gemietete und definitiv unterforderte Orchestermusiker lediglich für einen schlichten Klangteppich im Hintergrund. Auch von der Jazzseite her gab es zu dieser Zeit bereits Annäherungsversuche mit E-Gitarre, Bass, Orgel und Gesang, initiiert von undogmatischen Könnern wie Larry Coryell oder John Handy. Mit „In A Silent Way“ (aufgenommen nur wenige Wochen nach Chicagos Debüt, ebenfalls in den Columbia Studios) setzte dann auch Miles Davis eine erste Duftmarke, der 1970 mit „Bitches Brew“ ein Meilenstein des Genres folgte. Aber was heißt hier überhaupt „Genre“? Einige penible Zeitgenossen nennen es noch heute „Rockjazz“, wenn die Verschmelzung von Jazzmusikern ausging. Aus der Rockfraktion waren es dann Leute wie Frank Zappa oder Jack Bruce und Bands wie Colosseum und Soft Machine, die auf den fließenden Grenzen balancierten, immer auch getrieben vom Streben nach Anerkennung durch snobistische Jazz-Kritiker und -Hörer. Diese nannten das, was BS&T so trieben, jedoch herablassend „Bar Mitzvah Soul“. Gut zu wissen, was einem so gefällt.


Eine oft gehörte Behauptung meint übrigens, daß BS&T die Chicago Transit Authority (bald auf Chicago eingekürzt) lediglich kopiert hätten. Alle, die einen Kalender lesen können, merken sofort, daß das Quatsch ist. Die ersten beiden Alben von BS&T erschienen noch 1968, „Chicago Transit Authority“ erst im April des nächsten Jahres. Die musikalischen Unterschiede sind (neben vielen Gemeinsamkeiten) ebenfalls nicht zu überhören. Chicago setzten fast ausschließlich auf Eigenkompositionen. Die einzige Coverversion stammt jedoch interessanterweise, genau wie „Smiling Phases“, von Steve Winwood (wenn auch noch aus den seligen Zeiten der Spencer Davis Group). Und alle drei Sänger, die Chicago ins Feld führten, konnten von David Clayton-Thomas' Intensität nur träumen. Außerdem schenkten sich BS&T kratzbürstige Verrücktheiten wie „Free Form Guitar“ und das viel zu lange „Liberation“, was der Durchhörbarkeit nur zuträglich sein konnte. Auch daß James William Guerico beide Scheiben parallel produzierte, gehört ins Reich der Fabel. „BS&T“ entstand im Oktober 1968, die Chicago-LP erst im darauffolgenden Januar. Und daß der Produzent im Vorfeld einige Ideen der von ihm protegierten Band (an deren Erfolg er als Manager ja unmittelbar beteiligt sein würde) schon bei der Konkurrenz „ausgeplaudert“ haben könnte, kann nun wirklich niemand ernsthaft glauben. Trotzdem ist „Chicago Transit Authority“ natürlich ebenfalls eine großartige Scheibe (zumal ein Doppelalbum), die jedoch klanglich mit „BS&T“ nicht ganz mithalten kann. Bei gleichem Produzenten und identischen Aufnahmebedingungen (Columbia Studios, Ampex MM 1000) kann in diesem Fall der entscheidende Unterschied eigentlich nur auf einen Namen hören: Roy Halee!


Das für mich beeindruckendste an dieser LP ist und bleibt, neben den halsbrecherischen Arrangements und dem expressiven Gesang, die bestechende Aufnahmequalität. Wenn jemand nicht weiß, wie eine Snare klingen muß, wie Bläsersätze zu klingen haben, um nicht an den Nerven zu zerren, wie man eine Stimme, die Berge versetzen kann, einfängt, ohne sie zurechtzustutzen oder wie man eine Cowbell aufnimmt, damit sie auch tatsächlich an eine Glocke erinnert und nicht an einen verbeulten Eimer, dann spielen Sie ihm einfach dieses Album vor! In welcher Ausgabe, versuche ich Ihnen gleich noch darzulegen. Zuvor aber noch ein Wort in eigener Sache.

Als die Platte 1968 drei Wochen vor Weihnachten (na so ein Zufall) in die Läden kam, entwickelte sie sich aus dem Stand zu einem Renner. Am Ende des Jahres 1969 waren bereits über zwei Millionen Exemplare allein in den USA verkauft. Der Grammy für das „Album Of The Year“ (selbst „Abbey Road“ hatte das Nachsehen) im März 1970 sorgte nochmals für einen Schub. Im Sommer wechselte dann das Labeldesign bei Columbia vom roten, sogenannten „Two-Eye“-Label zu dem in den 1970er Jahren üblichen, das bis heute keine vernünftige Bezeichnung kennt. Was ich damit sagen will: das rote Label der „Originalausgabe“ von „BS&T“ dürfte sich über den Daumen auf etwa drei Millionen US-Pressungen befinden! Columbia besaß damals drei eigene Presswerke, die mit Alben von Johnny Cash, Bob Dylan, Santana, Barbra Streisand und vielen anderen gut zu tun hatten. 1970 hat dann wahrscheinlich allein schon „Bridge Over Troubled Water“ die Maschinen zum Glühen gebracht. Es blieb also nicht aus, auch andere, meist unabhängige Firmen mit einzuspannen. Man spricht dann von „contract pressings“. Daß die Qualitätsstandards nicht überall gleich hoch waren und selbst im eigenen Haus gelegentlich Abstriche gemacht werden mußten (auch eine Matrize nutzt sich ab), versteht sich von selbst. Wenn ich mich also gleich unter anderem mit dieser frühen Ausgabe befasse, dann in der Überzeugung, daß es da draußen mit einiger Wahrscheinlichkeit noch identisch scheinende Exemplare gibt, die womöglich noch etwas besser klingen, ganz sicher aber auch schlechtere. Daran sollten Sie denken und das Ganze sowieso nicht allzu ernst nehmen. Diejenigen, die das von vornherein nicht interessiert, kann ich schon jetzt beruhigen. Mit allen mir vorliegenden Pressungen (und das sind einige) kann man nicht wirklich etwas falsch machen. Der Blick auf die Matrixnummern bringt einen bei einer so enormen Auflagenhöhe übrigens nicht unbedingt weiter. Oder haben Sie Lust, nach amerikanischen „Two-Eye“-Scheiben zu suchen, bei denen die Nummern auf -1AA, -1AD, -1BK oder gar -1J enden? Deshalb lasse ich das diesmal.


Um nicht völlig zu verzweifeln, habe ich mich bei den Vergleichen auf zwei Songs beschränkt: „Sometimes In Winter“ und „Spinning Wheel“. Dabei fiel zuerst auf, daß Letzteres auf sämtlichen mir vorliegenden Platten mit deutlich weniger Bass auskommen muß. Richtig fett klingt es nur auf meiner amerikanischen 80er-Jahre-Nachpressung von „Greatest Hits“ (Columbia, PC 31170). Diese Scheibe mal mitgezählt, waren es zwölf verschiedene Ausgaben, zwischen denen ich hin- und hergewechselt habe. Am Ende droht man, komplett den Überblick zu verlieren. Damit Ihnen das nicht auch so geht, und um Sie nicht unnötig zu nerven, versuche ich, die Ergebnisse zu komprimieren.

Die Kandidaten waren folgende: zwei mit US-“Two-Eye“-Label (CS 9720), wovon die erste aus einem Columbia-Presswerk stammt, die zweite aber ein „Auftragswerk“ ist, zu erkennen am wesentlich kleineren Pressring (siehe Bildergalerie). Mit satten 165 Gramm ist sie die schwerste unter den frühen Exemplaren. Es folgen drei europäische Ausgaben (alle CBS S 63504 und alle um die 140 Gramm), von denen nur die englische ein Klappcover besitzt. Dafür kann die deutsche mit einem Poster in nahezu sechsfacher Albumgröße aufwarten. Die holländische gibt sich in puncto Ausstattung eher bescheiden.

Nachdem CBS 1969 das ehemalige Artone-Presswerk in Haarlem komplett übernommen hatte, wurde auch die LP-Fertigung für Deutschland und Frankreich nach und nach dorthin verlagert, während die Produktion von Singles noch einige Jahre länger an den alten Standorten verblieb. 1976 erschien „BS&T“ in Holland dann auf dem CBS-Budget-Label Embassy (EMB 31382). Fragen Sie mich nicht, wieso, aber es gibt davon zwei Versionen, die sich nicht nur in Gewicht und Labeldesign leicht unterscheiden, sondern auch in ihrer Verpackung. Beide Einzelcover haben das bekannte Frontmotiv, eines ohne jegliche Logos oder Nummern, das andere mit Embassy-Logo und dem Aufdruck „Rock-Original“. Und während die erste auf der Rückseite das großartige Spiegelfoto von Harris George zeigt, sich also am Original orientiert, finden sich auf der anderen mehrere Abbildungen weiterer Platten der Reihe (wie bei Embassy eigentlich üblich).

1977 erschien mit Direct Disk Labs aus Nashville eine Firma auf der Bildfläche (von der sie schon fünf Jahre später wieder verschwand), die sich gezielt an audiophile Käufer wandte. Genau wie MFSL benutzte man das neue Half-Speed Mastering, mit dem Unterschied, die Aufnahmen direkt und ohne Umwege über Equalizer oder Filter vom Masterband auf Vinyl zu transferieren. 1980 erschien dann auch „BS&T“ als „Super Disk“ (SD 16605). Aber Achtung, es gibt davon eine DBX-kodierte Variante, an der man ohne entsprechenden Dekoder wenig Freude haben dürfte. Allerdings weist ein großer Sticker auf dem Cover auf diese Besonderheit hin. Mit 112 Gramm ist sie das Leichtgewicht im Kandidatenkreis.

Pure Pleasure Records aus Twickenham legte 2008 seine gut 180 Gramm wiegende Sicht der Dinge vor. Wenn man das Original-US-Cover penibel nachahmt und sogar die Bestellnummer übernimmt (CS 9720), verstehe ich nicht, wieso man sich dann für das 70er-Jahre-Label entscheidet. Aber ich bin ja auch nicht der Art Director.

Da geht man bei der Original Recordings Group konsequenter vor. Die Kalifornier liefern ihr gewohntes Paket ab: zwei schwere LPs (je 190 Gramm) mit 45 Umdrehungen und Bernie Grundmans Remastering von den Originalbändern (ORG 133, 2012). Mit etwas Jagdglück könnte man für den Preis dieser limitierten Nobeledition auch alle anderen zusammen erwerben.

Bliebe am Ende noch Columbias Quadro-Ausgabe von 1973 (CQ 30994). Die wurde völlig neu abgemischt. Außerdem hat man hier die drei Tracks der Single-A-Seiten nochmals modifiziert. Sie sind kürzer als auf dem Original, aber länger als auf „Greatest Hits“. So fehlt „And When I Die“ nur der erste Instrumentalteil, während bei „Spinning Wheel“ das Trompetensolo erhalten blieb, aber dafür der „Augustin“ gänzlich verschwand. Auch wurden bei allen drei Stücken, wie schon auf „Greatest Hits“, die Kanäle vertauscht. Genauso bei „More And More“. Es handelt sich also genaugenommen um eine andere Platte, weshalb ich sie aus der Wertung nehme.


Mir ist klar, daß ich Ihnen hier einiges zugemutet habe. Aber wie schon vor einem Jahr, als Cat Stevens' „Mona Bone Jakon“ an der Reihe war, habe ich bewußt die Weihnachtszeit gewählt, in der Hoffnung, daß Sie vielleicht über etwas mehr Zeit und Muße verfügen, als sonst. Das Fazit fällt dafür recht kurz aus. Die beiden frühen US-Pressungen unterscheiden sich, wenn überhaupt, nur in Nuancen. Eine richtig breite Bühne, Dynamik ohne Ende, Wärme, Natürlichkeit und eine wunderbare Ausgewogenheit lassen die Augen glänzen. Mir fehlt nur gelegentlich etwas Bass. Die drei Pressungen aus Europa haben ein paar Probleme mit der sauberen Darstellung der Bläser, und speziell die englische kommt mit deutlichen Hintergrundgeräuschen. Aber in der Summe klingen auch diese Platten hervorragend. Bei beiden Embassy-Ausgaben muß man mit etwas weniger Raum und einer gewissen Unübersichtlichkeit vorlieb nehmen. Auch ist der Bass nicht mehr so differenziert. Für den „Hausgebrauch“ sind aber auch die noch eine gute Wahl.

Und die edlen Nachauflagen? Ein kluger Mann (zumindest halte ich ihn für einen) sagt, daß man beim Half-Speed Mastering keinen vernünftigen Bass hinbekommt. Bei der Pressung von Direct Disk Labs kann ich das nicht unterschreiben. Besser klingt er nirgendwo. Die Tugenden der US-Originale bleiben hier erhalten, werden mitunter sogar noch verstärkt. Hin und wieder wird vielleicht eine Spur zu dick aufgetragen, aber trotzdem: eine tolle Platte!

Bei Pure Pleasure ist dann von allem eine Spur weniger vorhanden, inklusive „pleasure“. Und auch ORG gibt hier nicht das von mir erwartete definitive Statement ab. Sehr dynamisch zwar, aber mit einem auseinanderlaufenden Bass und arg spitzen Höhen bei den Bläsern. So begeistert ich noch immer von ORGs „In The Wind“ von Peter, Paul & Mary bin, kann ich hier meine Enttäuschung nicht verhehlen. Natürlich sind Platten und Cover makellos gefertigt (was man bei dem Preis auch erwarten darf), natürlich spielt die Musik vor einem absolut geräuschlosen Hintergrund. Aber von der Magie, die ja gerade dieses Album reichlich verströmt, spüre ich nur wenig.

Unterm Strich bleibt gerade bei „BS&T“ zu sagen, daß man ein Auge auf das Preis-Leistungs-Verhältnis haben sollte, das schnell droht, in Schieflage zu geraten. Je teurer die Platte, umso schwieriger wird es, die Mehrkosten vor sich selbst zu rechtfertigen angesichts der Tatsache, daß die eh schon sehr gut klingenden Originalpressungen wirklich ausgesprochen günstig angeboten werden. Wenn zwei Scheiben in der klanglichen Einschätzung den gleichen Wert aufweisen, muß das übrigens noch lange nicht bedeuten, daß sie auch gleich klingen. Häufig führen ganz unterschiedliche Stärken und Schwächen zusammen mit meinem subjektiven Empfinden zu den unten aufgeführten Zahlen. Also nageln Sie mich bitte nicht fest!

Abschließend noch ein Tipp für die Sammler unter Ihnen. Zwischen März 1968 und Oktober 1969 brachte CBS Deutschland in einer speziellen Marketingaktion neben ein paar Samplern („That's Underground“ usw.) auch insgesamt 20 Singles in mehrfarbigem Vinyl heraus. Alle drei „BS&T“-Auskopplungen erschienen hierzulande so. In die deutschen Charts schafften sie es aber genausowenig, wie das Album. Dort tummelten sich 1969 Heintje, Karel Gott und Roy Black, während bei den Amerikanern, die wir gerne wegen ihrer rührenden Ahnungslosigkeit belächeln, das nicht immer leichtverdauliche „BS&T“ sieben Wochen den Spitzenplatz behauptete!


Frohe Weihnachten und auf ein Wiedersehen im neuen Jahr!


Musik: 9,0

Klang: 9,0 (USA, 1968)

Klang: 8,0 (England, 1968)

Klang: 8,5 (Deutschland, 1968)

Klang: 8,5 (Holland, 1968)

Klang: 8,0 (Holland, 1976)

Klang: 9,5 (USA, 1980)

Klang: 8,5 (England, 2008)

Klang: 8,5 (USA, 2012)


Ronald Born, Dezember 2015