Steeleye Span – All Around My Hat (1975)

 

Nachdem Ashley Hutchings Ende 1969 wegen Differenzen über den musikalischen Kurs Fairport Convention verlassen hatte, machte er sofort neue Nägel mit Köpfen und gründete Steeleye Span. Das Folk-Duo Tim Hart und Maddy Prior hatte er in der Londoner Club-Szene kennengelernt. Mit dem Ehepaar Gay und Terry Woods (der 1986 bei den Pogues einstieg) war dann die Ur-Besetzung komplett. Mit zwei Sängerinnen wurde das Album „Hark! The Village Wait“ (1970) aufgenommen, und Hutchings konnte seiner Leidenschaft für rein traditionelles Material ungehindert frönen. Vor allem die zweite Seite der LP markiert für mich einen frühen Höhepunkt des britischen Folkrock. Unterstützt wurden die Musiker, die neben diversen akustischen Instrumenten bereits E-Gitarren und einen elektrischen Bass einsetzten, auf mehreren Stücken von Gerry Conway bzw. Dave Mattacks am Schlagzeug. Nach Erscheinen der Platte verließen die Woods im Sommer 1970 die Band und wurden, für viele überraschend, durch den altgedienten Folkloristen Martin Carthy und den Geiger Peter Knight ersetzt. In dieser Besetzung spielte man zwei weitere LPs mit originell vorgetragenen Traditionals ein. Als ein neuer Manager auf einen moderneren Sound drängte, stiegen Hutchings und Carthy aus. Die neuen Klängen gegenüber wesentlich aufgeschlosseneren Bob Johnson und Rick Kemp (der kurzzeitig bei King Crimson Bass gespielt hatte) stießen dafür zur Band. „Below The Salt“ (1972), das vierte Album, blieb jedoch weiterhin den Wurzeln treu und ist in meinen Augen das beste von Steeleye Span. Das ausgekoppelte „Gaudete“ belegte in England Platz 14 und war dort sowohl die erste Hit-Single in lateinischer Sprache als auch die erste, die a capella gesungen wurde. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß den kommerziellen Durchbruch ausgerechnet eine Aufnahme einleitete, die so gar nichts mit dem immer rockiger werdenden Sound der Gruppe zu tun hatte.

 

1974 kam dann mit Nigel Pegrum ein fester Drummer hinzu, und die Produktion des „Now We Are Six“ benannten Albums durch Jethro Tulls Ian Anderson und ein Gastspiel David Bowies (am Saxophon!) unterstrichen den neuen Anspruch. Auf „Commoners Crown“ gastierte dann Peter Sellers (Ukulele). Da sich der Erfolg der Platten jedoch in Grenzen hielt, engagierte man einen versierten neuen Produzenten, um zum großen Sprung anzusetzen. Der hieß Mike Batt und hatte The Wombles, eine auf Kinderbuchvorlagen und der gleichnamigen TV-Serie basierende Gruppe (mit Chris Spedding), zu Englands erfolgreichstem Pop-Act 1974 gemacht. In späteren Jahren sollten unter anderem auch noch Art Garfunkels „Bright Eyes“, „I Feel Like Buddy Holly“ von Alvin Stardust und Katie Meluas „Nine Million Bicycles“ auf sein Konto gehen. Erinnern Sie sich noch an den schwülstigen Song der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die WM 1998 in Frankreich? Der stammte auch aus Batts Feder. Das blamable Viertelfinal-Aus gegen Kroatien konnte „Running With A Dream“ allerdings nicht verhindern.

 

Zurück ins Jahr 1975. Die LP „All Around My Hat“ (Platz 7) und der ausgekoppelte Titelsong (Platz 5) erreichten die jeweils höchsten Chartsnotierungen in der Geschichte von Steeleye Span. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, war die Verpflichtung von Mike Batt also ein gelungener Schachzug. Es wäre unsinnig, einer Band vorzuwerfen, alles zu unternehmen, um Erfolg zu haben. Steeleye Span hatten schon, anders als zum Beispiel Fairport Convention, bei ihren Live-Konzerten durch aufwändige Lichtshows und Kostümierungen versucht, den Fans auch optisch etwas zu bieten. Mit Batt wurden die Rockeinflüsse nun noch deutlicher und erstmals auch dezent Streicher integriert. Dagegen ist nichts einzuwenden, da das Niveau der Musiker nach wie vor erstklassig war. Der Satzgesang (hier vor allem bei „Cadgwith Anthem“) hatte seit „Gaudete“ nichts von seiner Brillanz und Kraft eingebüßt. Bei „Gamble Gold (Robin Hood)“ experimentierte man gar mit Reggae-Rhythmen. „The Wife Of Ushers Well“ und „Dance With Me“ sind mir etwas zu soft geraten. Aber was mich wirklich stört, ist der Rhythmus von „Hard Times Of Old England“ und „All Around My Hat“. Beide Stücke wurden als Singles ausgekoppelt. Offensichtlich wurde ihnen also auch der größte Erfolg zugetraut. Und beide funktionieren nach dem selben Muster. Es beginnt mit einem A-Capella-Chor und danach setzen Status Quo ein. Jedenfalls erinnert mich das Fundament aus Schlagzeug, Bass und Rhythmusgitarre unangenehm an die Londoner Band. Diese hat zweifellos ihre Verdienste und Berechtigung, aber bei Steeleye Span stoßen mir solche Anleihen richtig sauer auf.

 

So ist es dann bezeichnend, daß für mich das Highlight der Platte ein Stück ist, das fast völlig auf eine instrumentale Begleitung verzichtet, nämlich das bereits erwähnte „Cadgwith Anthem“. Aber das ist natürlich wieder einmal Geschmackssache. Die Autorenangaben auf den Labels sind etwas widersprüchlich (auf dem Cover ist diesbezüglich gar nichts vermerkt). Mal werden alle Titel „Hart/Prior/Knight/Johnson/Kemp“ zugeschrieben, dann wieder zumindest „Hard Times Of Old England“ und „Cadgwith Anthem“ als neu arrangierte Traditionals ausgewiesen. Dabei haben alle Stücke ihren Ursprung in der Vergangenheit. So ist „Gamble Gold“ eigentlich „Robin Hood And The Pedlar“ aus dem „Penguin Book Of English Folk Songs“, dem lediglich ein paar Strophen fehlen. „Hard Times Of Old England“ stammt aus dem 18. Jahrhundert und „Dance With Me“ war ursprünglich eine Ballade aus Dänemark. Der Opener, das sehr gelungene „Black Jack Davy“, ist ebenfalls mindestens 100 Jahre alt und wurde schon 1970 als „Gypsy Davey“ von Fotheringay aufgenommen (und zum Beispiel am 28. November im „Beat-Club“ von Radio Bremen live gespielt). Das Titelstück, ursprünglich ein sehr populäres englisches Lied, wurde irgendwann von der IRA vereinnahmt und zu einem irischen rebel song umfunktioniert. Steeleye Span holten es dann wieder nach Hause. Warum die Autorenschaft so verwirrend ausgewiesen wird, weiß ich nicht. Am einfachsten (und wohl auch korrekt) wäre es gewesen, alles mit „Trad. arranged by ...“ zu versehen. Sicher bin ich mir, daß die Musiker von Steeleye Span sich keinesfalls mit fremden Federn schmücken wollten. Beim sehr sachkundigen englischen Publikum hätte das auch nicht funktioniert.

 

Ein Jahr nach „All Around My Hat“ wurde das ebenfalls von Mike Batt produzierte „Rocket Cottage“ veröffentlicht. Obwohl es wie ein Zwilling daherkam, floppte es. Folkrock war über Nacht zum Auslaufmodell geworden.

Meine erste Platte von Steeleye Span war „Time Span“, ein Sampler, der die ersten drei LPs sowie einige Solostücke Martin Carthys und vom Duo Hart / Prior repräsentierte. In meiner Sammlung folgte das hier besprochene Album, und die Überraschung beim ersten Hören hätte nicht größer sein können! Aber irgendwie muß ich mich dann wohl doch damit angefreundet haben, denn zwei weitere Ausgaben kamen im Laufe der Zeit noch hinzu. Das etwas schräg anmutende Cover mit den, auf Vorder- und Rückseite aufgeteilten, verzerrten Gesichtern der Bandmitglieder (kreiert von Tim Harts Kumpel John O'Connor) verwenden alle drei, aber nur bei der deutschen Ausgabe (Chrysalis 6307 564, 1975) ist auch das Textblatt enthalten, welches entsprechende Löcher aufweist. Betrachtet man nun die Bilder von der Seite durch diese Löcher, werden sie entzerrt. 1980 richtete dann MFSL (1-027) seine Aufmerksamkeit auf die Platte. Gepresst wurde sie, wie damals üblich, bei JVC in Japan. 1989 legte auch das unabhängige und zu jener Zeit noch kanadische Label Shanachie (79059) eine eigene Ausgabe vor, änderte jedoch aus unerfindlichen Gründen die Titelreihenfolge.

Sowohl bei der deutschen als auch der kanadischen Pressung (beide 110 Gramm schwer) spielt sich fast alles im Parterre ab, wohingegen man bei MFSL (100 Gramm) auch mal in den Keller steigt. Ansonsten ist allen Platten eine wirklich gute Pressqualität eigen, mit nur geringen Laufgeräuschen auch in den leiseren Passagen. Dynamikwunder sind sie jedoch allesamt nicht. Und woran man sich erst gewöhnen muß: die Musik spielt größtenteils an den Rändern der Bühne. Die Mitte bleibt mehr oder weniger verwaist.

Im Juni 1975 erschien in England eine weitere Folkrock-LP, bei der der Sängerin eine tragende Rolle zukam. Obwohl diese Platte nahezu alles besser kann als „All Around My Hat“, belegte sie auf der sonst vergleichsweise geschmackssicheren Insel lediglich Platz 52 der Charts. Die Rede ist von Fairport Conventions „Rising For The Moon“. „Put on your white dress, if you'll take me dancing tonight!“

 

Musik: 6,5

Klang: 7,0 (Deutschland, 1975)

Klang: 7,5 (USA, 1980)

Klang: 7,0 (Canada, 1989)

 

Ronald Born, Juli 2013