Rainbirds – Rainbirds (1987)

 

Ich denke, es war im Spätsommer 1988. „Blueprint“ lief noch immer im Radio, das in nostalgisch-grobkörnigem schwarz/weiß gehaltene Video hatte mich tief beeindruckt, und die Band war in Ost-Berlin (Radrennbahn Weißensee, 16. Juni) aufgetreten, was man im Fernsehen verfolgen konnte. Aktuelle Popmusik hatte für mich plötzlich wieder eine Relevanz bekommen, im Herbst mit „Handle With Care“ von den Traveling Wilburys noch untermauert. Aber das war eine andere Baustelle. Mit den Rainbirds immerhin sorgte eine deutsche Band in ganz Europa für Furore, eine Band, die ihre Musik selbst geschrieben hatte, die auch imstande war, diese live zu präsentieren, die ein Gesicht und eine Stimme hatte, kurz: deutsche Popmusik, für die man sich ausnahmsweise einmal nicht zu schämen brauchte.

 

Nach einem freien Wochenende trudelten die Kommilitonen so langsam wieder ein. Einer kam mit der Bahn über Dresden, wo er den Zwischenstopp auf dem Hauptbahnhof jedes Mal nutzte, um im dortigen Intershop eine tiefe Brise des vorherrschenden Gemischs aus Waschpulver und Lux-Seife zu nehmen. Und da sah er sie stehen, die Rainbirds-Platte! Zwar teilte er meine musikalischen Vorlieben nicht unbedingt, war mit ihnen aber bestens vertraut und gab diese brandheiße Information umgehend an mich weiter. Am Montagnachmittag stand noch eine Vorlesung in „Politischer Ökonomie des Sozialismus“ an, die mir durchaus verzichtbar erschien. Außerdem waren die Chancen recht gut, daß mein Fehlen unbemerkt bleiben würde. Als ich am Abend mit meinem neuen Schätzchen ins Internat zurückkehrte, wurde mir versichert, daß sich niemand nach mir erkundigt hätte. Umso überraschter war ich am nächsten Morgen, als mich die Dozentin zur Rede stellte. Eine Notlüge hatte ich nicht parat. Also entschloß ich mich spontan für die Wahrheit, die allein schon wegen des Wortes „Intershop“ eine gewisse Sprengkraft besaß. Ob nun meine Dreistigkeit einfach entwaffnend war, oder die naive Ehrlichkeit honoriert werden sollte, ich kam jedenfalls mit einem mißbilligenden Kopfschütteln und dem abgerungenen Versprechen, derartige Extratouren künftig zu unterlassen, glimpflich davon. Meine Devisenvorräte waren eh aufgebraucht.

Die sozialistische Ökonomie war bekanntlich auch durch die „Intershops“ nicht mehr zu retten. „Rainbirds“ aber höre ich heute noch mit Vergnügen und einem kleinen triumphierenden Lächeln.

 

Der Kopf der Band, Katharina Franck, war in Portugal und zeitweise Brasilien aufgewachsen. Mit 17 Jahren nimmt sie in Portugal erste eigene Songs auf, geht anschließend nach Köln, singt dort in der Band Club 46 und landet im Sommer 1983 in Berlin. Zwei Jahre später veröffentlicht die Band Les Black Carnations eine Single sowie eine Maxi. Da alle Mitglieder unter Pseudonym auftreten, nennt sich Sängerin Franck nun Justine Time. Als 1988 die zwei Jahre zuvor gegründeten Rainbirds erhebliche Wellen schlagen, veröffentlicht Twang! die LP „These Were... Les Black Carnations“ (TLP 5891), deren erste Seite sechs der acht bereits erschienenen Stücke und die zweite einen Mitschnitt der Sendung „Beat Beat Beat“, aufgenommen im Berliner Haus des Rundfunks (SFB) im Dezember 1985, enthält. Katharina Franck war zwar noch nicht an den Kompositionen beteiligt, ihre Stimme läßt jedoch die Aufnahmen wie einen Probelauf der Rainbirds klingen. Als B-Seite der ausgekoppelten Single entschied man sich für Bob Dylans „I'll Keep It With Mine“, das Franck mit deutlicher Referenz an Nicos Version von 1967 intonierte.

 

1986 wird sie bei einem Soloauftritt in Berlin durch einen Talentscout der Hamburger Phonogram (zu der auch Mercury gehörte) entdeckt. Mit ihrer kurz zuvor zusammengestellten Band gewinnt sie anschließend den Berliner Senatsrockwettbewerb, was den Gang ins Studio wohl noch beschleunigte. Die meisten der geplanten Songs existierten im Sommer 1987 nur als unfertige Demos, die erst im Audio-Studio Berlin ihren Feinschliff erhielten. Als Produzent war Udo Arndt verpflichtet worden, der bereits Alben von Spliff, Ulla Meinecke oder Rio Reiser betreut hatte. Da der Band ein E-Gitarrist fehlte, engagierte man keinen Geringeren als Peter Weihe, damals Dozent an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und „nebenbei“ schon mit Falco, Stefan Waggershausen und ebenfalls Rio Reiser im Studio. „Blueprint“ hatte Katharina in ihrer winzigen Bude in Kreuzberg auf einer alten Matratze sitzend geschrieben. Das Arrangement wurde im Studio ausgetüftelt und basierte auf einem eingängigen Bassriff von (Michael) Beckmann. Das geniale Gitarren-Thema war Peter Weihe irgendwann zugeflogen, und er spielte es mit einem bundlosen (das war der Trick) Instrument ein. So ungefähr stelle ich mir auch die gesamten Aufnahmesessions vor. Franck lieferte Melodien und Texte, die Musiker Wolfgang Glum (Schlagzeug), Beckmann und Weihe steuerten Ideen bei. Auf „Blueprint“ und „Boy On The Beach“ spielte Reinhold Heil (Nina Hagen Band, Spliff) Keyboards. Neben drei jungen Musikern am Anfang ihrer Karriere haben wir es hier also auch mit der geballten Kompetenz der deutschen Rock- und Pop-Szene der 1980er Jahre zu tun. Daß das Ergebnis dann zum Glück alles andere als „typisch deutsch“ klang, verdankte es neben der frischen und unverkrampften Produktion vor allem dem etwas anderen kulturellen Background der Frontfrau, aus dem sich wohl auch ihre poetischen englischen Texte speisten. Betont nebulös und rätselhaft gehalten, lassen sie nicht wirklich darauf schließen, daß sie von einer Mittzwanzigerin aus Deutschland stammen könnten, immerhin zwei Attribute, die bei Gereimtem einiges Potential an Peinlichkeiten bergen.

 

LP und Single waren noch nicht ausgeliefert, da erhielt die Band bereits eine Einladung des Goethe-Instituts nach Montreal. Apropos Goethe: 25 Jahre später schrieb Bassist Beckmann die Filmmusik für den Kinoerfolg „Fack ju Göhte“...

Um die Konzerte in Kanada zu absolvieren, mußte nun dringend ein E-Gitarrist her. In Rodrigo Gonzalez war der schnell gefunden, allerdings hatte dieser enorme Probleme, mit seiner „normalen“ Les Paul das „Blueprint“-Thema originalgetreu zu spielen. Reichlich Effektgeräte behoben dann das Dilemma. Als die Vier Ende 1987 nach Deutschland zurückkehrten, ging „Blueprint“ bereits durch die Decke, und auch das Album kannte in den Charts nur eine Richtung. Im Januar 1988 war dann für die Single mit Platz 7 und die LP gar mit Platz 2 der Höhepunkt erreicht. Auf dem Cover des Januarheftes von Musikexpress/Sounds fand sich erstmals ein kleines Foto Katharinas, untertitelt mit „Rainbirds – Deutschlands neue Hoffnung“. Im Heft kam es dann mit der „Platte des Monats“ noch besser. Thomas Böhm überschrieb seine Rezension mit dem knalligen Satz: „Das Debüt des Jahres – Rainbirds“ und fuhr dann nicht weniger euphorisch fort: „Eine deutsche Band, bislang allenfalls in Berlin bekannt, glänzt gleich auf ihrem ersten Album mit einem musikalischen Niveau, das deutsche Popmusik nur in ihren Sternstunden erreichte.“ Dem ist nun fast nichts mehr hinzuzufügen. Die allgemeine Begeisterung rührte in nicht unerheblichem Maße daher, daß man gerade in Sachen Populärmusik auf internationalem Parkett meist hinterhergehinkt war. Rock'n'Roll und Beat „Made in Germany“ waren nur ein müder Abklatsch der englischen und amerikanischen Vorbilder und zumeist auch noch unfreiwillig komisch gewesen. Selbst der heimische Progressive-Rock der 1970er, der zumindest in England schon damals auf ein paar offene Ohren stieß, litt unter der völligen Abwesenheit von Humor und Sprachwitz der englischen Vorbilder. Das lag zum einen natürlich im Verzicht auf die vertraute Muttersprache begründet, zum anderen aber auch darin, daß die Protagonisten auf der Insel meist Kunst oder Architektur, ihre deutschen Kollegen jedoch Stockhausen studiert hatten. Kommerzieller Erfolg im Ausland blieb aber sowieso den bei der seriösen Musikpresse und ihren Lesern nicht eben beliebten Boney M. und Modern Talking vorbehalten. Da mußten die Rainbirds zwangsläufig wie ein Geschenk des Himmels erscheinen, auch wenn ihre Umsätze im Ausland im Erfolgsjahr 1988 denen des nächsten Exportschlagers, Milli Vanilli, nicht im Ansatz das Wasser reichen konnten.

 

Das nicht an Musik aus der Retorte interessierte Publikum war jedoch dem unschuldigen Charme der Berliner Sängerin und ihrer Band von Anfang an erlegen. Daß ein komplettes Album auf fast ungeteilte Zustimmung stieß, war auch nach einer grandiosen Single nicht selbstverständlich. Bei einem der ersten Fernsehauftritte in der WDR-Sendung „So isses“ (Sonntagabendprogramm!) meinte der gewohnt sachkundige Moderator Jürgen von der Lippe, daß man sich den Kauf der Single sparen könne und lieber gleich zur LP greifen soll. Und die hatte mit Songs wie „Boy On The Beach“, „7 Compartments“, dem reggae-infizierten „On The Balcony“ oder dem herrlich verschlurften „No Greater Love“ eben auch noch weitere Highlights zu bieten. Nach dem unerwarteten Anfangserfolg ging die Plattenfirma in die Offensive. Die LP erschien unter anderem auch in Portugal, Spanien, Griechenland, Israel und England. Die Band, die sich ihren Namen übrigens bei einem Instrumentalstück von Tom Waits' Album „Swordfishtrombones“ ausgeliehen hatte, wurde auf ausgedehnte Promotour geschickt und trat am 16. August 1988 (also zwei Monate nach Ost-Berlin) erstmals im Mutterland des Gitarren-Pop auf (Hammersmith Riverside Centre, London). Für die zweite Single fiel die Wahl auf „Boy On The Beach“ (Platz 57 in Deutschland). Beide Singles enthielten auf der Rückseite mit „It's All Right“ bzw. „Just A Simple Matter“ jeweils Non-Album-Tracks. Kleiner Tipp für Ärzte-Fans: auf letzterem ist dann Rod auch erstmals zu hören. Die Maxis brachten nochmals Neues, die erste „Blueprint“-Maxi sogar eine alternative Version des Titelstücks (auf der zweiten ist es dann „nur“ die Albumversion).

 

Cut! Wenn Sie sich ausschließlich für die Rainbirds interessieren, können sie den folgenden Absatz getrost überspringen. Für alle, die eingangs bei der Erwähnung von „Intershop“ hellhörig geworden sind, möchte ich jedoch die Gelegenheit nutzen, dieses schwierige und bisher wenig erforschte Thema etwas näher zu beleuchten. Für Leser von außerhalb sei vorangestellt, daß Intershops Läden auf dem Gebiet der DDR waren, in denen Konsumgüter aus dem Westen für Devisen erstanden werden konnten. Diese Einrichtungen existierten schon ab 1962 und richteten sich ursprünglich an Transitreisende und private Besucher aus dem kapitalistischen Ausland. Ab 1974 durften auch DDR-Bürger dort einkaufen, vorausgesetzt, sie verfügten über entsprechende „harte Währung“. Fünf Jahre später wurden diese jedoch gezwungen, ihre Devisen vorher in sogenannte Forumschecks einzutauschen. Alle anderen konnten weiter mit D-Mark, Dollar oder jeder anderen „frei konvertierbaren“ Währung bezahlen. 1979 existierten bereits 470 Intershops, aber nicht alle führten auch Schallplatten. Ab wann genau die überhaupt im Sortiment auftauchten, kann ich nicht sagen, aber Ende der 1970er Jahre gab es definitiv schon welche.

 

Nun sahen diese Platten zwar auf den ersten Blick so aus, als kämen sie direkt von einem westdeutschen Großhändler, dem war aber nicht so. Lediglich Cover und Label stammten vom Lizenzgeber, die Platten selbst wurden in Gestattungsproduktion im Presswerk Potsdam-Babelsberg, wo man seit 1962 auch alle LPs der DDR-eigenen Labels produzierte, hergestellt. In den meisten Fällen verwendete man dafür Bandkopien, es soll vereinzelt aber auch Originalmatrizen gegeben haben. Vieles, was diese spezielle Form des deutsch-deutschen „Kulturaustauschs“ betrifft, liegt nach wie vor im Dunkeln. Beide beteiligte Seiten hüllten sich demonstrativ in Schweigen und tun es heute noch. Und so ist es nicht verwunderlich, daß Gerüchte, Unwahrheiten und Fehlinformationen ins Kraut schießen. Das beginnt schon bei den aufgelegten Stückzahlen. Die niedrigste Nennung spricht von 100 Exemplaren pro LP (Singles gab es nicht). Selbst in der DDR, die bei ihrer permanenten Jagd nach Devisen oft mathematische Grundsätze ignorierte, dürfte das aber als ökonomisch unvertretbar gegolten haben. Ich halte eine Auflagenhöhe von 1.000 bis 2.000 Stück (was halt eine Pressmatrize so hergibt) für realistisch. Wer die Auswahl traf, was man zu verkaufen gedachte und was nicht, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Ebenso die Höhe der Lizenzgebühren. Nach und nach begann sich das Angebot über Schlager und gerade aktuelle Hits deutlich auszudehnen, so daß es irgendwann auch Platten von Pink Floyd, U2, Bob Dylan und diversen anderen gab, die heute noch intensiv gesammelt werden. Und gerade für Komplettisten solcher Künstler könnten Intershop-Pressungen ausgesprochen interessant sein, da sie, aufgrund eines eigenen Umschnitts vor Ort, durchaus über klangliche Unterschiede zu den Originalen verfügen können. Umfassend und detailliert ist dieses Thema bis heute nicht bearbeitet worden. Dazu müsste man zuerst natürlich einmal wissen, woran man überhaupt eine Intershop-Ausgabe in seiner Sammlung erkennt. Auch da findet man in der Literatur und im Netz viel Widersprüchliches oder gar blanken Unsinn. Frank Wonneberg schrieb zum Beispiel in seinem „Vinyl-Lexikon“ (Lexikon Imprint Verlag, 2000): „Intershop-Pressungen erkennt man an ihren eigenständigen Bestellnummern (Cover und Etikett) und Matrizenstammnummern im Spiegel der Schallplatte sowie am AWA-Zeichen.“. Gut, er ist einer der wenigen, die sich überhaupt der Problematik angenommen haben. Aber ganz so einfach ist es dann leider doch nicht! Wenn Sie auf einer allseits bekannten Auktionsplattform den Suchbegriff „Intershop“ eingeben, brauchen Sie keine fünf Minuten, um festzustellen, daß das nur die halbe Wahrheit sein kann. Denn Ihnen werden jede Menge LPs begegnen, die mit den originalen Katalognummern und GEMA-, BIEM- oder STEMRA-Schriftzug (AWA war das DDR-Äquivalent dieser Verwertungs-gesellschaften) auf den Labels versehen sind, aber trotzdem in Babelsberg hergestellt wurden. Fast allen Intershop-Platten fehlen übrigens die bedruckten Innenhüllen und eventuellen Beilagen, was als Erkennungszeichen aber schlicht unbrauchbar ist. Aus meiner Sicht wurden eigenständige Bestellnummern und das AWA-Logo nur (?) bei Alben verwendet, deren Lizenzen von der EMI vergeben wurden. Das betrifft also Ausgaben der Beatles inklusive späterer Werke von Lennon und McCartney, von David Bowie, Kate Bush, Queen, Pink Floyd oder Herbert Grönemeyer. Auch die Stones-Alben „Made In The Shade“, „Tattoo You“ und „Still Life“ gehören dazu, da Rolling Stones Records in Europa bis 1992 von der EMI vertrieben wurde. Bei all diesen LPs steht AWA auf dem Label, und alle haben eine sechsstellige Nummer mit dem Präfix „F“. Solche Nummern verwendete die EMI hauptsächlich für Club- und Sonderpressungen. So bekam z.B. die deutsche Exportausgabe von „Dark Side Of The Moon“ für die Schweiz die Nummer F 667.322. Die Intershop-Ausgabe (Quadro) hieß F 666.218.

 

Nun bleiben aber auch für den ambitionierten Sammler noch genügend Platten übrig, die nichts mit der EMI zu tun hatten und eben auch nicht so leicht zu identifizieren sind. Hier kommt man dann um einen Blick auf die Matrixnummern nicht herum. Alle in der DDR hergestellten Platten haben bei diesen Nummern dasselbe „Design“, also was Art und Größe der verwendeten Ziffern betrifft. Auch sind sie prinzipiell gestempelt. Das läßt sich jetzt kaum mit Worten beschreiben, aber wenn man sich einmal mehrere Amiga-Scheiben unter diesem Aspekt genau angesehen hat, ist es gar nicht mehr schwer, die Ähnlichkeit zu erkennen. Außerdem, und das scheint mir ein wichtiges Merkmal zu sein, enden fast alle Matrixnummern auf 1A/2A, sowohl bei Amiga- als auch Intershop-Pressungen. Und auch der Pressring, also der von der Presse verursachte Ring um das Mittelloch, ist nicht ganz unwichtig. Bei allen Babelsberger Produkten aus der fraglichen Zeit beträgt der Durchmesser etwa 3,3 cm. Natürlich gab es auch im „Westen“ Presswerke, die wohl ähnliche Maschinen verwendeten und genau so einen Pressring hinterließen, aber das waren eben längst nicht alle, und zusammen mit den anderen genannten Merkmalen ist man bei der Identifizierung schon einen großen Schritt weiter. Leider scheint es beim Thema „Intershop“ für so ziemlich jedes Argument auch Ausnahmen zu geben (die erspare ich Ihnen jetzt, um Sie nicht restlos zu verwirren). Wie gesagt, eine seriöse Aufarbeitung steht hier noch aus.

 

Ausnahme“ ist ein gutes Stichwort, um zum Rainbirds-Debüt zurückzukehren. Denn hätte ich diese Platte damals nicht selbst im Dresdner Intershop gekauft (für 21,50.- DM in Forumschecks), würde ich sie heute für ein westdeutsches Original halten (was sie womöglich auch ist)! Vor einigen Jahren legte ich mir noch ein unzweifelhaft „echtes“ Exemplar zu, wegen der bedruckten Innenhülle. Auf der Rückseite fand sich noch der Saturn-Preissticker (17,90.- DM). Und nun mußte ich im Vergleich feststellen, daß beide über identische Matrixnummern verfügen, die auf 1Y/2Y enden (typisch für Produkte aus dem Hause Philips bzw. Phonogram) und so gar nicht dem Amiga-Design ähneln. Ihr Gewicht differiert etwas (118 zu 110 Gramm), was aber unterschiedlichste Gründe haben kann. Der Pressring misst bei beiden 2,0 cm im Durchmesser. Und nun? Ich weiß es nicht. Vielleicht handelte es sich ja um einen günstig zu habenden Restposten oder ein sogenanntes Kompensationsgeschäft (Ware gegen Ware). Nur warum fehlt dann die originale Innenhülle? Daß beide Platten absolut identisch klingen, erwähne ich nur noch am Rande.

 

Wer etwas mehr Licht in die ganze Angelegenheit bringen kann oder einfach nur andere Erfahrungen gesammelt hat, wird hiermit ausdrücklich gebeten, sich zu äußern! Für die DDR waren die Intershop-Pressungen ein recht gutes Geschäft. Sie waren meist ein paar Mark teurer als in der BRD (womit die Zielgruppe, nämlich die musikversessene eigene Bevölkerung, klar wäre), Doppelalben (wie die modifizierte „Livehaftig“ Udo Lindenbergs oder Simon & Garfunkels „The Concert In Central Park“) kosteten gar 43.- DM! Dabei war die Herstellung in Babelsberg wegen der niedrigeren Löhne, die ja natürlich auch noch in Ost-Mark ausgezahlt wurden, weit günstiger, als in Gütersloh oder Hannover. Den Zwischenhändler sparte man sich außerdem auch noch. Was also nach Abzug der Lizenzgebühren und der Kosten für Cover und Label übrig blieb, konnte als Reingewinn verbucht werden. Übrigens waren Schallplatten bei weitem nicht die einzigen Artikel aus heimischer Gestattungsproduktion, die in Intershops für harte Währung verkauft wurden. So stammten z.B. 90% der angebotenen Tabakwaren aus volkseigenen Betrieben, nur halt bunter verpackt und mit klangvolleren Namen versehen.

 

Jetzt kann bei meinen Lesern natürlich der Verdacht aufkommen, ich hätte das Rainbirds-Debüt lediglich als Vorwand benutzt, um ein paar halbgare Theorien über Intershop-Pressungen auszubreiten. Stimmt aber nicht. Ich mag die Platte nun seit mehr als 25 Jahren, und ich halte sie immer noch für eine der besten deutschen Produktionen in Sachen englischsprachiger Pop. Nur verfüge ich über keine weitere LP, über die ich in absehbarer Zeit schreiben möchte, von der mir auch eine Intershop-Ausgabe vorliegt. Da mich das Thema jedoch schon seit geraumer Zeit beschäftigt, mußte ich die Gelegenheit einfach ergreifen.

Da ich bei meinen deutschen Exemplaren wie erwähnt keinerlei Unterschiede feststellen kann, behandle ich sie hier als eine Platte. Zum Vergleich liegt mir noch die englische Ausgabe (Mercury MERH 125) vor, die einschließlich der Innenhülle und bis auf zwei kleine Schreibfehler auf dem Label und der Coverrückseite mehr oder weniger identisch zur deutschen ist. Die Platte selbst wiegt ein paar Gramm mehr, was aber auf den Klang keinerlei Auswirkungen hat. Der bleibt so transparent und frei von technischem Schnickschnack wie eh und je.

Eine kurze Bemerkung noch zur US-Variante. Da taucht Rodrigo Gonzalez auf dem Cover auf! Und man hat ihn nicht etwa hineinretuschiert, sondern das Originalfoto von Martin Becker nachgestellt, nur daß Beckmann jetzt Stirnband statt Mütze trägt und Frau Franck und Herr Glum beim Friseur waren. Schräg!

Die LP wurde nie neu aufgelegt. Allerdings gab es 2013 eine „25thAnniversary Edition“, remastert und mit einer Bonus-CD und -DVD. An die Vinylliebhaber dachte bei Universal dabei mal wieder niemand.

1989 erschien dann das zweite Album, das etwas erwachsener wirkt, aber ebenfalls uneingeschränkt zu empfehlen ist. Ein Hit vom Kaliber von „Blueprint“ fehlt allerdings, und der äußerst sperrige Titel „Call Me Easy Say I'm Strong Love Me My Way It Ain't Wrong“ dürfte dazu beigetragen haben, daß so mancher den Versuch, ihn der Fachverkäuferin zu buchstabieren, entnervt abgebrochen und den Laden mit leeren Händen verlassen haben dürfte. Für einen vierten Platz in der Heimat reichte es dennoch. Dann kam, was wohl kommen mußte. Differenzen über den weiteren musikalischen Weg und zwischenmenschliche Befindlichkeiten führten zur Trennung Katharina Francks von den drei Herren. Die Rainbirds wurden zum Duo und machten Kunst. Nach einem Schlingerkurs, Auflösungen und Umbesetzungen gab es im letzten Jahr wieder ein Album („Yonder“), für das einige der alten Nummern neu eingespielt wurden. So unnötig und wenig überzeugend das auch war, unterstrich es umso deutlicher, wie originell und zeitlos diese Band doch vor einem Vierteljahrhundert musiziert hatte.

Originalalben sind heute selbst in sehr gutem Zustand auf so ziemlich jedem Flohmarkt und im Netz für einstellige Beträge zu bekommen.Worauf warten Sie noch?

 

Musik: 8,0

Klang: 8,0 (Deutschland, 1987)

Klang: 8,0 (England, 1987)

 

Ronald Born, September 2015