Horslips – The Táin (1973)


Die Geschichte mutet an, als wäre sie extra für Irland-Touristen erfunden worden. Drei junge Männer (unter ihnen ein ehemaliger Anwärter auf das Priesteramt), die in einer Dubliner Werbeagentur arbeiteten, wurden überredet, Musik für einen Werbespot einzuspielen. Natürlich ging es um Bier, in diesem Fall Guinness' Harp Lager. Die Herren Devlin, Carr und O'Connor (der trotz seines Namens als Einziger aus England stammt) spielten seit Jahren traditionelle Instrumente wie Uileann Pipes, Bodhran, Mandoline, Concertina und diverse Flöten. Was man halt so brauchte, um in Pubs und bei Tanzveranstaltungen bestehen zu können. Außerdem sangen sie recht passabel. Da sie für ihr Auftragswerk noch einen Keyboardspieler benötigten, kam Jim Lockhart ins Spiel. Die Aufnahme entpuppte sich als derart großer Spaß, daß man beschloß, ab sofort als Band gemeinsame Wege zu gehen. Da Anfang der 1970er Jahre die neuen folk-rockigen Klänge von Fairport Convention und Steeleye Span auch auf der grünen Insel für Furore gesorgt hatten, verstärkte man sich noch mit einem E-Gitarristen und wechselte anläßlich des St. Patrick's Days 1972 ins Lager der Berufsmusiker. Eine erste Single wurde eingespielt. Lockhart berichtete dazu Jahre später in einem Interview: „Am Anfang haben wir bei einer Plattenfirma in Dublin vorgesprochen, aber die wollten uns nur übers Ohr hauen. Da haben wir lieber unser eigenes Label aufgezogen.“. Das hieß Oats. Die Band nannte sich als Ergebnis eines Wortspiels mit den „Four Horsemen of the Apocalypse“ erst Horslypse, kurz danach dann Horslips. Es folgte ein weiterer Werbeauftrag, diesmal für Mirinda, was als dunkler Fleck in der Vita der trinkfreudigen Musiker gelten darf.


Im Herbst 1972 wurde ein altes Haus in Tipperary gemietet und die dort stattfindenden Sessions mit dem Rolling Stones Mobile Studio, das im Jahr zuvor noch in Südfrankreich für „Exile On Main St.“ im Einsatz war, aufgenommen. Die daraus resultierende LP „Happy To Meet – Sorry To Part“ stellte einen ersten Versuch dar, traditionelle keltische Musik mit Rockelementen zu verbinden. Der „Celtic Rock“ war geboren. Der Begriff selbst tauchte erstmals als Songtitel auf Donovans 1970er Album „Open Road“ auf. Nur hatte die Musik recht wenig damit zu tun. Das war bei Horslips ganz anders, und die Platte wurde in Irland zur sich am schnellsten verkaufenden Scheibe seit Jahren. Offensichtlich hatte man nur darauf gewartet.

Vor allem geographische Gegebenheiten hatten über Jahrhunderte dafür gesorgt, daß die kulturelle Entwicklung in Irland, Schottland, Wales und der Bretagne alles andere als einheitlich vonstatten ging. Von der„keltischen Kultur“ kann man also nicht wirklich sprechen. Und so ist auch „Celtic Rock“ nur ein grober Sammelbegriff mit stark differierenden regionalen Eigenheiten. Sein Einfluß bei der Ausprägung einer eigenen kulturellen Identität vor allem bei der Jugend in den genannten Landstrichen ist jedoch gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Bei Horslips' Debüt sitzt man jedoch etwas zwischen den Stühlen. So richtig wollen Tradition und Moderne noch nicht miteinander harmonieren. Zumindest ist das mein Eindruck. Für Puristen zu rockig, für Rockfans zu wenig Rabatz. Da griff man doch, je nach Passion, lieber zu Planxty oder Thin Lizzy. Und die Franzosen hatten ja Alan Stivell, der sein Harfenspiel inzwischen von Gitarrist Dan Ar Bras, Schlagzeug und Bass begleiten ließ und zudem noch auf Bretonisch sang. Sie sehen schon, der Celtic Rock hatte es nicht leicht, obwohl er gegenüber dem Folkrock englischer Spielart im Vorteil war. Traditionelle keltische Lieder wurden seit jeher instrumental begleitet, englische meist a capella vorgetragen. Man mußte die Instrumente also theoretisch nur noch an den Strom anschließen...


Für die Emanzipation von der stark britisch geprägten Rock- und Popmusik benötigte man natürlich dringend keltische Themen. Die gab es zum Glück zuhauf. Außerdem waren gerade Konzeptalben schwer angesagt. Die Beatles hatten es vorgemacht, The Who, Nirvana, Pretty Things, Aphrodite's Child und The Kinks zogen nach. Im März 1973 begann dann der Siegeszug von „The Dark Side Of The Moon“. Was lag also näher, als sich an ein keltisches Konzeptalbum zu wagen?

Die Band entschied sich für die Vertonung der zentralen Sage des sogenannten Ulster-Zyklus, Táin Bó Cuailnge. Im Zentrum dieser, auf alt- und mittelirisch verfassten und mehr als tausend Jahre alten Heldengeschichte steht der äußerst potente Bulle Donn Cuailnge. Den will das Königspaar von Connacht, unterstützt von Fergus mac Róich, in seinen Besitz bringen. Das gelingt auch, worauf ein monatelanger Krieg zwischen Connacht, seinen Verbündeten, den Ländern Mide, Leinster und Munster sowie Ulster entbrennt. Es genügten offensichtlich schon damals geringe Anlässe, um aufeinander einzuschlagen. Der Held auf Seiten von Ulster ist der legendäre Cú Chulainn, angeblich Sohn des Gottes Lugh, mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet, aber sterblich. Das Ganze ist selbst für Leute, die sich intensiver mit irischer Geschichte und keltischer Mythologie befasst haben, ziemlich verwirrend. Hinzu kommen noch unterschiedliche Textfassungen und abweichende Übersetzungen. Wer also mit dem Gedanken spielt, sich „The Táin“ zuzulegen, sollte unbedingt darauf achten, daß die Innenhülle noch vorhanden ist. Darauf wird die Story kurz und halbwegs verständlich erzählt. Außerdem gibt die Band für jedes Stück des Albums eine kurze Einleitung. Schon allein das zeigt, daß sie es wirklich ernst meinten und sich sehr ausführlich mit der Materie vertraut gemacht haben, soweit das nötig war. Denn in Irland zählt Cú Chulainn zu den bekanntesten Sagengestalten, und jedes Kind kennt seine Geschichte (siehe Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ in der Übersetzung des großen Harry Rowohlt). Gleich das erste Stück der Platte heißt dann auch „Setanta“, was der ursprüngliche Name des Helden war. Weiter ins Detail möchte ich hier nicht gehen. Irland-Fans dürfen sich jedenfalls auf so einige Aha-Effekte freuen.


Und alle anderen? Leicht gemacht wird es ihnen nicht unbedingt. Ich persönlich vermisse etwas die frische und unbekümmerte Herangehensweise, der sich die Band noch bei ihrem Debüt bediente. Und Konzeptalben gegenüber hege ich sowieso ein gesundes Mißtrauen. Zu oft sind die Ergebnisse einfach verkopft und schulmeisterlich. Man muß regelrecht fürchten, am Ende zum Gehörten noch mal gründlich befragt zu werden! Und auch Horslips geht über dem hehren Anliegen ein wenig der Spaß aus. Oder liegt es an den fehlenden zündenden Ideen? Wie es sich gehört, wurden auch für „The Táin“ wieder alte Melodien und Tunes wie „Knockeen Free“, „Rosc Catha na Mumhan“, „O'Neill's Cavalry“, „The Silver Spear“, „Tie the Bonnet“ oder „The March of the King of Laois“ eingebunden. Das gelingt über weite Strecken recht gut, die Verschmelzung von traditionellen und typischen Rockinstrumenten überzeugt. Allerdings verdeutlicht es auch, daß die Bandkompositionen dagegen abfallen. Originell geht anders. Etwas belangloser, vorhersehbarer 70er-Jahre-Rock bestimmt zuweilen das Geschehen. Für mich klingt das heute recht altbacken, und ich fürchte, das klang es auch 1973 schon. Den Musikern scheint außerdem das absolute Vertrauen ins eigene Werk zu fehlen. So blutleer, wie sie phasenweise agieren, wären sie in den Zeiten, die sie heraufbeschwören, ihren kampfeslustigen Vorfahren wohl keine große Hilfe gewesen. Da überrascht es kaum, daß das elegische „Cú Chulainn's Lament“ noch am ehesten überzeugt.


Die größte Popularität erreichte jedoch „Dearg Doom“, dessen E-Gitarren-Riff 17 Jahre später für „Put 'Em Under Pressure“ verwendet wurde. Das war, Sie erinnern sich bestimmt, der offizielle Song der irischen Fußball-Nationalmannschaft für die WM 1990 in Italien. Produziert von U2s Larry Mullen, hielt sich die Single 13 Wochen an der Spitze der heimischen Charts. Für das Team war hingegen nach einem 0:1 gegen den Gastgeber im Viertelfinale Schluß. Vom 1:1 gegen England in der Vorrunde schwärmt man aber auf der Insel noch heute. Um Horslips ist es allerdings recht ruhig geworden. 1974 widmete man sich auf dem Album „Dancehall Sweethearts“ (aufgenommen während der Fußball-WM...) dem legendären blinden Harfenspieler O'Carolan und bereicherte die Musik mit Bläsern und Blueselementen. Nach einer eher poppigen LP, die die Trennung vom Partner RCA mit sich brachte, veröffentlichte die Band 1975 mit „Drive The Cold Winter Away“ (jetzt bei DJM Records) ihr traditionellstes Werk. Im folgenden Jahr erschien „The Book Of Invasion: A Celtic Symphony“, ein ambitioniertes Konzeptalbum, das ein wenig klingt, als würden Jethro Tull zur Abwechslung mal die keltische Mythologie bemühen, nur leider ohne die hübschen kleinen Melodien, die ein Ian Anderson damals noch auf Lager hatte. Zum ersten Mal gelang hier der Sprung auch in die englischen LP-Charts. Nach drei weiteren Platten, die sich deutlich am amerikanischen Markt orientierten, gab die Band im Oktober 1980 in der Ulster Hall in Belfast (man war von Anfang an in beiden Teilen Irlands aufgetreten) ihr vorerst letztes Konzert. Die letzte Zugabe war eine Coverversion von „The Last Time“, danach warf Charles O'Connor seine Geige ins Publikum. Ein mehr als würdiger Abgang!


2004 initiierten treue Fans in Derry eine Horslips-Ausstellung. Zur Überraschung aller spielte die Band zur Eröffnung und ging anschließend sogar wieder ins Studio. 2009 und 2010 gab sie dann noch einige Konzerte in Irland, spielte 2011 bei Fairport Conventions Cropredy Festival und 2012 als Headliner beim Rory Gallagher Tribute Festival in Ballyshannon. Die durchweg positiven Resonanzen machten deutlich, daß ihr wegweisender Beitrag zur Bewahrung und Auffrischung keltischer Traditionen auch im neuen Jahrtausend noch nicht vergessen ist.

Zwar reicht „The Táin“ musikalisch nicht an seine kulturelle Bedeutung heran (auch wenn manche Kritiker das anders sehen), aber Leuten, denen man einzureden versucht, Kreationen wie „Celtic Woman“ hätten auch nur im Ansatz etwas mit keltischer Musik zu tun, kann die Platte auch heute noch als Türöffner zum real stuff  wertvolle Dienste leisten.

Für die „Fortgeschrittenen“ will ich hier die Gelegenheit ergreifen, noch zwei so unterschiedliche wie faszinierende Platten aus meinem Bestand zu empfehlen. Vom bereits erwähnten Alan Stivell erschien 1973 die LP „Chemins de terre“. Während sie in England „From Celtic Roots“ hieß, bedachte man sie in Deutschland mit dem plakativen Titel „Celtic Rock“ und einem scheußlichen Cover. Neben der Tatsache, daß diese Ausgabe zu den preiswertesten deutschen Vertigo-Swirl-Pressungen zählt und sich also bestens für den Auftakt einer diesbezüglichen Sammlung eignet, ist die Musik zum Glück weder plakativ noch scheußlich, sondern höchst originell, mitreißend und von Herzen kommend. Und wen interessiert, wie Robin Williamson (Ex-Incredible String Band) ausgerechnet im sonnigen Kalifornien versucht, seine keltischen Wurzeln zu fassen zu kriegen und dabei einige seiner besten Songs schreibt, dem sei das großartige „American Stonehenge“ (Robin Williamson & His Merry Band, Flying Fish, 1978) angeraten.


Außerdem klingen beide Scheiben auch noch deutlich besser als „The Táin“. Für deren amerikanische (auf Atco) bzw. deutsche (auf Atlantic) Ausgaben kann ich zwar nicht sprechen, aber es sollte mich wundern, wenn sie sich positiv von meinem irischen Original (Oats, MOO 5) und der englischen Pressung (Oats/RCA, MOO 5) unterscheiden sollten. Beide kommen im fast identischen, in England gedruckten Klappcover (bei letzterer prangt lediglich noch das RCA-Logo auf der Rückseite) mit bedruckter Innenhülle und Poster. Nachauflagen (z.B. auf Horslips Records oder DJM) sind weniger großzügig ausgestattet. Das Original klingt über weite Strecken und vor allem, wenn konventionelle Rockmusik dominiert, ziemlich dumpf, wie unter einer Torfschicht begraben und in den Höhen sehr limitiert, was den Eindruck, hier wurde mit angezogener Handbremse agiert, noch verstärkt. Beim englischen Gegenstück ist keine Veränderung zu hören. Ein Blick auf die Matrixnummer zeigt dann auch, daß wohl lediglich ein Matrizenaustausch stattgefunden hat. Unterm Strich bleibt die Platte eine zwiespältige Angelegenheit. Da sie aber heute zu sehr moderaten Preisen gehandelt wird, sollten ihr zumindest erklärte Fans des Genres eine Chance geben.


Musik: 7,0

Klang: 6,5 (Irland, 1973)

Klang: 6,5 (England, 1973)


Ronald Born, Oktober 2015