Jackson Browne – For Everyman (1973)


For Everyman“ war eine meiner ersten CDs, was nichts anderes bedeutet, als daß ich die Platte seit nunmehr 25 Jahren kenne. Und zwar in- und auswendig. Im ersten Jahr lief sie im Prinzip ständig und nicht etwa, weil die Auswahl noch recht überschaubar war, sondern weil ich mich sofort in sie verliebt hatte. All die großartigen Scheiben, die Jackson Browne bis zum Ende der 1970er Jahre noch vorlegen sollte, folgten in kurzen Abständen und begeisterten mich ebenfalls. Aber Sie wissen ja, wie das mit der ersten Liebe ist...

Ich werde versuchen, hier nicht die komplette Geschichte des Westcoast-Rock zu erzählen, obwohl sich Jackson Browne dafür natürlich förmlich aufdrängt. Selbst in seinen Teenager-Jahren, als er zwar schon professionell Lieder schrieb, aber noch nicht selbst interpretierte, stolpert man bereits permanent über klangvolle Namen.


Geboren wurde Clyde Jackson Browne 1948 in Heidelberg, wo sein Vater stationiert war. Seine ältere Schwester kam in Nürnberg, sein jüngerer Bruder in Frankfurt/M. zur Welt. Als Jackson drei Jahre alt war, zog seine Familie nach Los Angeles. Seine Jugend verbrachte er im Orange County, landete aber bereits Anfang 1966, also mit 15 Jahren, zum ersten Mal in New Yorks Greenwich Village. Wieder in Kalifornien, gründete er mit Jeff Hanna und Jimmie Fadden die Nitty Gritty Dirt Band. Als im März 1967 deren Debüt-LP erschien, gehörte er allerdings schon nicht mehr dazu. Seinen Song „Melissa“ befanden die Kollegen jedoch gut genug, um ihn für die Platte einzuspielen. Auf dem Nachfolger „Ricochet“ (September 1967) fanden sich mit „Shadow Dream Song“ und „It's Raining Here In Long Beach“ zwei weitere von Brownes Frühwerken. „These Days“ und „Jamaica Say You Will“ sollten 1968 bzw. 1971 noch folgen. Da verwundert es nicht, daß er, völlig unsicher, was seine eigenen Qualitäten als Interpret betraf, sich erst einmal als Songschreiber für Elektra Records' Verlag Nina Music anstellen ließ. Ende 1967 war er zurück in Greenwich Village, wo er den Sänger Tim Buckley sowie Nico bei Auftritten begleitete. Nico hatte sich nach dem ersten Album im Frühjahr 1967 von Velvet Underground getrennt, um eine Solokarriere zu beginnen. Auf ihrem Debüt „Chelsea Girl“ stammte die Hälfte der zehn Songs von den alten Weggefährten Lou Reed und John Cale, einer von Tim Hardin, einer von Dylan („I'll Keep It With Mine“, das der ihr in romantischer Verwirrung in Paris „geschenkt“ hatte) sowie gleich drei von Jackson Browne, mit dem die zehn Jahre Ältere gerade eine Affäre hatte. „The Fairest Of The Seasons“, „Somewhere There's A Feather“ und „These Days“ zählen zweifellos zu den Höhepunkten der Platte. Besser sollte es für Nico nicht mehr werden. Bei den Aufnahmen wechselten sich Browne und Lou Reed jeweils an der E-Gitarre ab. In Nicos Privatleben wurde Jackson bald durch Jim Morrison ersetzt.


Zurück in Los Angeles, lernte er einen jungen Mann namens Glenn Frey kennen. Seinen Namen als talentierten Songwriter hatten inzwischen neben Nico auch Tom Rush und Steve Noonan, die eine ganze Reihe seiner Stücke aufgenommen hatten, bekannt gemacht. So bekannt, daß sein Manager David Geffen ihn 1971 für seine Plattenfirma, das eigens gegründete Asylum Records, unter Vertrag nahm. Es folgten bald Linda Ronstadt, Judee Sill, John David Souther, Joni Mitchell und auch Glenn Frey, den Geffen animierte, eine eigene Band zu gründen. Die hieß dann Eagles und machte Asylum endgültig zu einer großen Nummer.

Im Januar 1972 erschien Brownes Debüt, auf dem bereits einige der besten Musiker der Westküste (Leland Sklar, Russ Kunkel, David Crosby, Craig Doerge, Sneaky Pete), verstärkt durch den englischen Gitarristen Albert Lee, mitwirkten. Gleich die erste Single, „Doctor My Eyes“ (übrigens auch der erste Song, den ich von Jackson Browne je gehört habe), kam in den USA in die Top-Ten (in England im folgenden Jahr in einer Version der Jackson 5 ebenfalls).

Schon auf dieser Platte – die schlicht „Jackson Browne“ heißt, nicht etwa „Saturate Before Using“ - hat der Sänger Browne seine Stimme gefunden, überzeugen die Songs mit Tiefe und Nachhaltigkeit, die Produktion mit einem straffen, reduzierten Sound. Im Frühjahr ging er mit Joni Mitchell auf Tour, was zu vielfältigen, nicht unangebrachten Vergleichen führte. Doch auch wenn seine Songs fraglos ebenfalls sehr persönlich waren, gab Browne in ihnen wesentlich weniger von seinen Gefühlen preis, als seine Kollegin, blieben sie im Kern meist rätselhaft, was vor allem das weibliche Publikum sehr für ihn einnahm.


Am 1. Mai 1972 veröffentlichte die ehemalige Begleitband Linda Ronstadts, die sich nun „Eagles“ nannte, ihre erste Single: „Take It Easy“. Glenn Frey hatte seinen Kumpel Jackson Browne im Studio besucht, als dieser an seinem ersten Album arbeitete. Dort spielte der ihm auch einen neuen Song vor, der jedoch drohte, nicht rechtzeitig fertig zu werden. So kam es dann auch, und Browne gab die Fragmente an Frey weiter, in der Hoffnung, dieser möge vielleicht doch noch ein fertiges Stück daraus machen. Er war in der zweiten Strophe nicht über die Anfangszeile „I'm standing on a corner in Winslow, Arizona...“ hinausgekommen. Frey ergänzte dann „It's a girl, my Lord, in a flatbed Ford“ sowie den Rest, und der erste Eagles-Hit war geboren. In der Kleinstadt Winslow gibt es heute neben einer lebensgroßen Bronzestatue, die einen an einer Ecke wartenden Mann mit Gitarre zeigt, auch den „Standin' on the Corner Park“.

Wie schon im Juni 1972 das Eagles-Debüt eröffnet der Song auch „For Everyman“, das im September 1973 herauskam. Allerdings entschied man sich zunächst für „Red Neck Friend“, eine etwas zweideutige Angelegenheit (siehe „Mona Bone Jakon“), als erste Auskopplung. Rang 85 in den Single-Charts sprang dabei heraus, während das dann doch noch nachgeschobene „Take It Easy“, das sich keinesfalls hinter der Eagles-Version verstecken mußte, diese glatt verfehlte.

Nicht nur dieser Song, auch einige weitere waren nicht mehr ganz neu, als Browne ins Studio ging. 2013 brachte Let Them Eat Vinyl, eine englische Firma, die auf die Veröffentlichung von Aufnahmen aus den Grauzonen des Urheberrechts spezialisiert ist, mit „Where The Shadows Fall“ einen Konzertmitschnitt aus den RCA Studios in New York vom 27. September 1972 heraus, auf dem neben „Take It Easy“ auch schon „Our Lady Of The Well“, „The Times You've Come“, „For Everyman“ (eine Reaktion auf Crosby, Stills & Nashs „Wooden Ships“) und „Red Neck Friend“ zu hören waren. Begleitet wurde er lediglich vom Multiinstrumetalisten David Lindley (Ex-Kaleidoscope), den er gerade erst kennengelernt hatte.

In den folgenden Jahren wurde der ausgesprochen charismatische Lindley zu Brownes wichtigstem und treuestem musikalischen Partner. Heute ist er es wieder.

Neben dem Neueinsteiger „Mr. Dave“ und den schon vom Debüt her bekannten Studio-Koryphäen tummeln sich auf der Gästeliste von „For Everyman“ auch noch die prominenten Namen von Joni Mitchell, Bonnie Raitt, Glenn Frey und Don Henley sowie Rockaday Johnnie. Dahinter verbarg sich Elton John, der damals für die USA keine Arbeitserlaubnis besaß, aber trotzdem gerne auf „Red Neck Friend“ Klavier spielen wollte. Bei diesem Staraufgebot ist es vielleicht Jackson Brownes größte Leistung, sich nicht die Show stehlen zu lassen und immer das Ruder fest in der Hand gehalten zu haben. Es ist ganz klar seine Platte, von ihm und seinem angenehmen Timbre, verträumt und ein bißchen jenseitig, dominiert, mit Songs, die allesamt erinnerungswürdige Melodien zu bieten haben und einem Sound (von ihm selbst produziert), der den romantischeren Teil des West Coast Rock für die nächsten Jahre bestimmen sollte.

Im Januar 1974 bezeichnete Steve Clarke in einer überschwänglichen Rezension im englischen New Musical Express Jackson als „besten Singer/Songwriter im Country-Rock, seit Singer/Songwriter unmodern geworden sind.“. Spätestens mit diesem Album sollte sich das aber wieder ändern. Die Kritiken waren durchweg positiv, und die Platte erreichte Platz 43 in Amerika. Besondere Beachtung fand das Titelstück, das, wie natürlich die gesamte LP, seinen Namen einem Segelschiff verdankte, das in den frühen 1960er Jahren im Südpazifik unterwegs war, um gegen Atomwaffentests zu protestieren. Der gefürchtete und gerne auch mal etwas plakativ agierende Kritiker Robert Christgau wiederum meinte, daß „Ready Or Not“ für ihn die Platte gerettet hätte. So hat wohl jeder seinen eigenen Favoriten. Meiner heißt „These Days“, das seit Nico und der Nitty Gritty Dirt Band inzwischen auch Tom Rush, Ian Matthews und Gregg Allman interpretiert hatten. Letzterer inspirierte Browne für seine eigene Version maßgeblich, wofür ihm auf dem Albumcover ausdrücklich gedankt wird. Das Bild auf der Vorderseite zeigt übrigens das Abbey San Encino genannte Haus seines Großvaters in L.A., in dem Jackson einen Teil seiner Kindheit verbrachte.


Die Platte beginnt und endet mit einer kleinen Besonderheit. Die ersten und die letzten beiden Stücke gehen jeweils praktisch nahtlos ineinander über. Man kannte das schon so ähnlich von der zweiten Seite von „Abbey Road“. Aber das waren die Beatles des Jahres 1969, so daß man – natürlich - künstlerische Erwägungen unterstellen konnte. Bei „For Everyman“ fällt mir kein plausibler Grund ein. Doch solche Experimente waren bei Asylum Records eher willkommen, als ein Problem. David Geffen garantierte seinen Künstlern absolute Entscheidungsfreiheit, was auch ein Grund dafür war, daß so eigenwillige Persönlichkeiten wie Joni Mitchell, Warren Zevon und Tom Waits, ja sogar Bob Dylan (für zwei Alben) bei ihm unterschrieben. Und bei der Produktion wurde ebenfalls nicht gespart. Frühe Asylum-LPs genießen bis heute auch einen hervorragenden Ruf, was ihre klanglichen Qualitäten betrifft.

Das zweite Album von Jackson Browne wurde im Sunset Sound Studio One in Hollywood aufgenommen, wo unter anderem auch schon die ersten beiden Platten der Doors und wesentliche Teile von „Pet Sounds“ und „Exile On Main Street“ entstanden waren. Für den Mix zeichnete Al Schmitt von Wally Heider Recording verantwortlich. Zum Glück spiegelt sich dieser Aufwand dann auch in einem sehr transparenten und ausgewogenen Klangbild wider.

Besonders begehrt sind unter Sammlern Asylum-Pressungen, die noch das weiße Label (nicht zu verwechseln mit Promo-Labels) schmückt. Und jahrelang waren Musikfreunde verzweifelt auf der Suche nach einer solchen Ausgabe von „For Everyman“. Die Katalognummer lautete SD 5067, die von „Desperado“, dem zweiten Werk der Eagles, SD 5068. Letztere erschien noch mit dem begehrten weißen Label, also ging man davon aus, daß auch die Erstpressung von Jackson Brownes LP darüber verfügen müsste. Nur hatte man nicht bedacht, daß die Katalognummern häufig schon vergeben wurden, bevor eine Platte überhaupt im Kasten war. Wenn sich dann Fertigstellung und Auslieferung wegen diverser Gründe noch verschoben, war eine chronologische Einordnung anhand der Nummern kaum noch möglich. „Desperado“ erschien im April 1973, „For Everyman“ erst Ende September. Da hatte sich das Labeldesign längst geändert, so daß auch Erstpressungen kein weißes, sondern eben schon das neue „sky and clouds“ Label zierte. Frühe Pressungen erkennt man hier an der in der arcline angegebenen Adresse: 15 Columbus Circle. Ab 1975 lautete diese dann „962 North La Cienega Blvd.“, und ein kleines Warner-Logo gesellte sich hinzu. Ein solches Exemplar war auch die erste LP, die ich mir von dem Album besorgte. Da Asylum zwar ein ausgesprochen erfolgreiches, aber dennoch vergleichsweise kleines Label war, ließ man in diversen „fremden“ Presswerken fertigen. Im vorliegenden Fall war das die Allied Record Company in L.A., was das Kürzel „(AR)“ auf dem Label verrät. Die Matrizen kamen von Sheffield Lab Matrix in Santa Monica (geritztes „SLM“ neben der Matrixnummer). Das außergewöhnliche Gimmix-Cover verwendete man in Amerika noch viele Jahre lang auch für Nachauflagen. Den meisten anderen Ländern war das von Anfang an zu aufwendig. Dafür erschien die Platte in England noch mit dem legendären weißen Label. Landläufig werden solche Scheiben als englische Erstpressungen bezeichnet. Allerdings ist das nicht immer korrekt. Ursprünglich begann der Text der arcline mit den Worten „The Gramophone Co. Ltd.“. Ab Ende 1973 wurde das durch „EMI Records Ltd.“ ersetzt (siehe Bildleiste). Daran erkennt man zum Beispiel auch, ob man ein frühes englisches Original oder eine Nachpressung von „The Dark Side Of The Moon“ besitzt. Ab der dritten Auflage wurde da nämlich ebenfalls „EMI Records Ltd.“ anstatt „The Gramophone...“ verwendet.

Bei „For Everyman“ zumindest hat es keine klanglichen Auswirkungen. Und schließlich sind bei meinen zwei Exemplaren (Asylum SYL 9013) auch die Matrixnummern (endend auf A-1/B-1) identisch. Allerdings liegen fast 40 Gramm Gewicht zwischen beiden! So viel dazu.


Das Quartett wird vervollständigt durch eine deutsche Pressung (Asylum AS 43 003), deren auf der Innenhülle abgebildeten LPs aus dem Vertrieb von WEA auf Anfang 1976 schließen lassen. Da jedoch auf dem Label noch der später übliche LC-Code fehlt, tippe ich auf ein Herstellungsdatum um 1974. Auch hier wäre das Benennen von klanglichen Unterschieden eher etwas für Leute, die das Gras wachsen hören. Und so können Sie die von mir hier ausführlich erläuterten Spitzfindigkeiten gleich wieder vergessen, sollten Sie kein ausgesprochener Asylum- oder Jackson-Browne-Sammler sein. Denn beim Sound werden Sie von jeder dieser frühen Ausgaben bestens bedient, auch wenn man zugeben muß, daß ihnen etwas von der Brillanz einiger Asylum-Alben jener Tage (Joni Mitchells „For The Roses“, David Blues „Stories“ oder eben „Desperado“) fehlt. Dafür sind sie sehr einfach und preisgünstig aufzutreiben.


Musik: 8,5

Klang: 8,0 (USA, Ende der 1970er)

Klang: 8,0 (England, 1973)

Klang: 8,0 (England, 1973)

Klang: 8,0 (Deutschland, 1974)


Ronald Born, Juni 2015