Coulson, Dean, McGuinness, Flint – Lo And Behold (1972)

 

Wenn dann Anfang November „The Bootleg Series Vol. 11“ mit den kompletten „Basement Tapes“ sowie „Lost On The River“, eine Platte, auf der verschiedene Künstler unter der Regie des allgegenwärtigen T Bone Burnett übriggebliebene Dylan-Texte aus eben jener Zeit erstmals vertont haben, erschienen sind, werden Sie den Begriff „Basement Tapes“ womöglich eine Weile erst mal nicht mehr hören können. Deshalb, und um dem Vorwurf der Trittbrettfahrerei zu entgehen, opfere ich ein, zwei verregnete Urlaubstage, um die Besprechung einer Platte vorzuziehen, die eigentlich für einen späteren Zeitpunkt geplant war.

 

Als ich mich vor gut 15 Jahren in Dublin auf der Flucht vor nicht enden wollenden Touristenströmen befand, stieß ich in der Wicklow Street auf einen finsteren, schmalen Eingang unter einem Schild, auf dem „The Secret Book & Record Store“ stand. Ich ging hinein und fand mich in einem Klamottengeschäft wieder. Hinter einem dicken Vorhang am Ende des Ladens (secret!), wo man Kaffemaschine und Aschenbecher vermutet, stieß ich dann doch noch auf einen kleinen Raum, der mit Büchern und Platten vollgestopft war. Es lief Dylans „Desire“, und der Inhaber sang, nebenbei eine Glühbirne auswechselnd, lauthals mit. Nie zuvor hatte ich mich beim Betreten eines Ladens auf Anhieb so wohl gefühlt! Ich erstand ein paar englische Dylan-Singles. Nach den seltenen irischen Exemplaren fragte ich vergeblich. Entweder gab es wirklich keine, oder man wollte diese Raritäten nicht einfach einem dahergelaufenen Touristen in den Rachen werfen. Wohl aus Mitleid machte mich der singende Betreiber dann aber noch auf eine Platte aufmerksam, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte: „Lo And Behold“. Da es Ihnen jetzt vielleicht ähnlich geht, hole ich für die spannende Entstehungsgeschichte etwas weiter aus.

 

Alles beginnt mit Manfred Mann, oder genauer mit dem Ende der Band 1969. Während sich Chef und Namensgeber Manfred zusammen mit Schlagzeuger Mike Hugg erst einmal dem Komponieren von Werbejingles und dann dem Jazz-Rock widmete, machte sich Gitarrist Tom McGuinness auf die Suche nach neuen Mitstreitern. Er fand sie in Hughie Flint (vormals Drummer bei John Mayall), dem Sänger und Keyboarder Dennis Coulson sowie dem multiinstrumentalen Songwriter-Duo Benny Gallagher und Graham Lyle. Weihnachten 1969 gründeten die fünf die Band McGuinness Flint, und kaum ein Jahr später hatte man ein Top-Ten-Album und mit „When I'm Dead And Gone“ eine Hit-Single vorzuweisen. Auch die zweite Single („Malt And Barley Blues“) wurde noch ein Erfolg, dann begann der Ärger. Gallagher und Lyle wollten neue Songs schreiben und aufnehmen, die Anderen lieber live spielen. Nach einem zweiten Album, das schon kaum noch jemanden interessierte, löste sich die Band Ende 1971 erst einmal auf. Das Duo Gallagher and Lyle nahm anschließend ein paar sehr erfolgreiche Platten auf, und Künstler wie Bryan Ferry, Ringo und Art Garfunkel („Breakaway“ und „A Heart In New York“) coverten fleißig ihre Songs. Die Männer um Tom McGuinness langweilten sich indes ohne ihre verläßlichen Songschreiber gehörig, bis sie, um nicht ganz aus der Übung zu kommen, die naheliegende Idee hatten, vorerst auf bereits vorhandenes Material zurückzugreifen. McGuinness erinnerte sich daraufhin diverser Dylan-Demos, die noch bei ihm zu Hause herumliegen mußten. Noch während seiner Zeit bei Manfred Mann war er über Dylans Manager Albert Grossman und den englischen Verlag B. Feldman & Co. mit ersten Aufnahmen der „Basement Tapes“ (wie sie später genannt wurden) in Berührung gekommen. Im Eintrag zu „Beggars Banquet“ bin ich auf deren Historie schon kurz eingegangen. Da auch McGuinness Flint weiterhin eng mit eben jenem Musikverleger in der Londoner Charing Cross Road zusammenarbeiteten, riß die Versorgung mit aktuellem Dylan-Material nicht ab. Für den neuen Zeitvertreib wählte man aus einem enormen Fundus zwölf teils obskure Stücke aus, die von Dylan selbst entweder noch gar nicht, oder nur auf kaum wahrgenommenen Zusammenstellungen veröffentlicht worden waren. Außerdem achtete man darauf, daß eventuell schon existierende Coverversionen keinesfalls die Hitparaden auch nur gestreift hatten. Oder unterlag die Auswahl einfach nur dem Zufallsprinzip? Wie auch immer, gemeinsam mit dem frisch rekrutierten Bassisten Dixie Dean begann man zu proben, um schon im März 1972 ins Studio zu wechseln. Das Maximum Sound Studio im Londoner Süden gehörte damals Manfred Mann und Mike Hugg. Was lag also näher, als sich bei den alten Kollegen einzumieten? Mann trat dann auch gleich als Co-Produzent in Aktion, während Hugg an Keyboard und Klavier aushalf. Daß man die Sache immer noch eher „just for fun“ betrieb (was den Aufnahmen sehr zugute kam) wird durch den Umstand unterstrichen, daß man sich nicht die Mühe machte, einen irgendwie klangvollen Bandnamen zu finden. Und so erschien die Platte letztendlich unter der wenig förderlichen Bandwurmbezeichnung „Coulson, Dean, McGuinness, Flint“. Marketingstrategen würden von kommerziellem Selbstmord sprechen. Schließlich waren die einzelnen Musiker weit entfernt von der Popularität von Leuten wie Crosby, Stills, Nash oder Young.

 

Von den zwölf eingespielten Songs stammten sieben von den „Basement Tapes“, vier aus der akustischen Frühphase um 1962/63 und einer von den Sessions zu „Blonde On Blonde“. Die Arrangements entstanden allesamt erst während der Aufnahmen. Ich bin ja mal gespannt, ob auf der neuen „Bootleg Series“ das Wort „Arrangement“ überhaupt auftauchen wird. Denn auch damals im Keller von Big Pink spielte man einfach drauflos. Jeder griff sich das Instrument, das gerade in der Nähe war, oder auf das er gerade Lust hatte, unabhängig vom jeweiligen Grad der Meisterschaft. Man hatte dabei nie die Veröffentlichung eines Albums im Sinn. Robbie Robertson sagte dazu einmal: „It was strictly for the publishing company.“. Soll heißen, es ging vordergründig darum, Rohfassungen einzuspielen, die später interessierten Künstlern als Vorlage für eigene Versionen der Songs dienen sollten. Zum Thema „Verlagsrechte“ habe ich ja bei Peter, Paul & Mary schon einiges gesagt. 1967 kam noch der nicht unerhebliche Aspekt hinzu, daß Grossman und Dylan nach Ablauf des Kontraktes mit Witmark ihren eigenen Verlag (Dwarf Music) gegründet hatten, mit Artie Mogull als Geschäftsführer. Die künftig an den Mann gebrachten neuen Dylan-Songs versprachen also eine reiche Ernte.

Um kommerzielle Verwertbarkeit machten sich die Männer um Tom McGuinness aber wohl keine ernsthaften Gedanken. Die ganze Sache kommt als großer, kollektiver Spaß daher. Was man nicht mit Blödelei verwechseln darf. Der Humor ist eher britisch, zum Beispiel, wenn am Ende von „Don't Ya Tell Henry“ augenzwinkernd „Hot Love“ von T. Rex zitiert wird. Auf so eine Idee wäre The Band nicht im Traum gekommen. Gerade einige der „Basement“-Songs legten es erst gar nicht darauf an, besonders ernst genommen zu werden. „Open The Door Homer“ oder „Odds And Ends“ (die einzige Nummer, die nicht von Dennis Coulson, sondern Hughie Flint gesungen wird) sind witzige, überkandidelte Lieder, die, hier mit Flügelhorn, Saxophon, Posaune oder Honky-Tonk-Piano angereichert, nicht zum Nachdenken anregen, sondern zum Tanzen auffordern. Wird es jedoch ernst, meistert die Band auch das. Ist es in Dylans eigener Interpretation von „The Death Of Emmett Till“ einzig der Text, tritt nun auch die Musik in den Zeugenstand, um dieser emotionalen Anklage gegen die Blindheit einer rassistischen weißen Justiz gehörig Nachdruck zu verleihen.

 

Lay Down Your Weary Tune“ hatten sich die Byrds bereits 1965 auf „Turn! Turn! Turn!“ vorgenommen. Es war also nicht ganz ungefährlich, sich diesem Stück nochmals zu widmen. Nun ist das Covern von Dylan-Songs ja kein sportlicher Wettstreit, aber hier kommt der Sieger nach Punkten ganz klar aus England. Der Byrds-Version fehlt das Besondere, der Schwung, den man von „Mr. Tambourine Man“ oder „All I Really Want To Do“ kannte. Coulson, Dean, McGuinness, Flint beginnen die Nummer als Choral, der einen förmlich auf die Knie fallen läßt, bevor sie dann beweisen, daß auch akustische Stücke gehörig rocken können. Gegen Ende bringt ein Tonartwechsel nochmals eine dramatische Steigerung. Offenbar waren sich alle Beteiligten einig, daß man es hier mit einem potentiellen Hit zu tun hatte. Das Stück wurde in mehreren Ländern (darunter England und den USA) als Single ins Rennen geschickt, erzeugte aber, mir völlig unverständlich, keinerlei Reaktionen. In Amerika strich man noch eine Strophe, um eine radiotaugliche Länge zu erreichen, ebenfalls umsonst. Wurde der Song überhaupt im Radio gespielt? Torpedierte der umständliche Bandname einen Einsatz? Ich kann hier nur Vermutungen anstellen. Vielleicht fehlte auch die Unterstützung durch die Plattenfirmen DJM (England) und Sire (USA), zwei eher kleinen Labels, die 1972 vermutlich durch die Erfolge von Elton John bzw. Focus schon alle Hände voll zu tun hatten.

 

Aber auch, wer auf Stücke mit Überlänge stand, und das sollen 1972 nicht wenige gewesen sein, kam hier auf seine Kosten. Am Ende des Albums findet sich mit „Sign On The Cross“ eines der herausragenden Werke der „Basement Tapes“, das nun als schleppender Blues beginnt und nach gut sieben Minuten in einem irrwitzigen Finale endet, inklusive gospeligen Backgroundsängerinnen, wie sie Dylan selbst erst Jahre später einsetzen sollte. Und Dennis Coulson darf hier noch einmal alles zeigen, was er als Sänger so drauf hatte. Ihm fehlte der Pop-Appeal, der die beiden Manfred-Mann-Frontmänner Paul Jones und Mike d'Abo zur Idealbesetzung für hitparadentaugliche Beat-Kracher (darunter mehrere Dylan-Nummern) gemacht hatte, aber als Rocksänger war er eine Klasse für sich.

Und eine Klasse für sich ist auch diese Platte. Eine originellere Songauswahl, eine lässigere Atmosphäre, mehr zündende Ideen und eine mitreißendere musikalische Umsetzung findet man auf keinem anderen Dylan-Tribute-Album. Trotz großartiger Scheiben zum Beispiel von Tim O'Brien („Red On Blonde“) oder Åge Aleksandersen („Fredløs“) und einer Reihe gelungener Sampler lege ich mich fest: das ist die beste Dylan-Cover-LP, die ich kenne. Punkt.

Die Platte enthielt lediglich zehn der zwölf eingespielten Nummern. Die keinesfalls zweitklassigen „Tiny Montgomery“ und „I Wanna Be Your Lover“ wurden in England, Portugal und der Türkei (!) als B-Seite der Single veröffentlicht. In Neuseeland blieb „I Wanna Be Your Lover“ außen vor (siehe dazu die Bildleiste), während man in den USA gleich auf den Albumtrack „Let Me Die In My Footsteps“ setzte. Als 1996 das australische Raven Records erstmals auch eine CD-Ausgabe von „Lo And Behold“ vorlegte, waren die beiden Non-Album-Tracks sowie ein alternativer Mix von „Eternal Circle“ als Bonus enthalten. Alle noch folgenden CD-Veröffentlichungen hielten diese Zusammenstellung bei.

 

Bis heute gibt es keine Nach- oder Neuauflagen auf Vinyl. Neben England (DJM DJLPS.424) und den USA (Sire SAS 7405) veröffentlichten damals, soviel ich in Erfahrung bringen konnte, lediglich noch Deutschland (DJM 86264 IT), Australien und Neuseeland (DJM DJL-34601) sowie (nur als Promo?) Japan (DJM IFP-80657) das Album. Bis auf die drei Erstgenannten lief mir noch keine dieser Pressungen über den Weg, geschweige denn habe ich sie je gehört. Außer der US-Version verwendeten alle das englische Cover. Auf dessen Vorderseite verzichtete man nicht nur auf die Nennung des Bandnamens, sondern auch auf den von Bob Dylan. Was aus heutiger Sicht sympathisch, weil nicht marktschreierisch, wirkt, war damals jedenfalls nicht gerade verkaufsfördernd. In den USA begnügte man sich mit einer einfachen Hülle und benutzte dafür das Gruppenfoto von der Innenseite des englischen Klappcovers. Obwohl man hier den werbewirksamen Aufdruck „Words And Music By Bob Dylan“ verwendete, blieben die Verkaufszahlen sehr überschaubar.

In der Auslaufrille der englischen Pressung finden sich neben den Matrixnummern auch noch die eingeritzten Namen „Bobil“ (Seite 1) und „Rasputin“ (Seite 2). Da diese Kombination bei David Bowies 1971er LP „Hunky Dory“ ebenfalls vorkommt und als Indiz für eine Erstpressung gilt, stößt man in der Bowie-Gemeinde auf allerhand Mutmaßungen. Dabei ist relativ klar, daß es sich bei „Bobil“ um Bob Hill handelt, einen Masteringingenieur in den Trident Studios. Bei „Rasputin“ gehen die Meinungen weit auseinander. Manche vermuten gar Giorgio Gomelsky hinter diesem Pseudonym. Ich kann mir schon mal nicht vorstellen, daß überhaupt zwei verschiedene Leute mit dem Mastern jeweils einer Plattenseite betraut wurden.

Bei der US-Ausgabe ist es einfacher, da sich neben „Sterling“ auch die Initialen „RL“ finden, die eindeutig für Robert (Bob) Ludwig stehen, damals der Shootingstar bei Sterling Sound. Um aber nennenswerte Unterschiede beim Klang auszumachen, ist mein Gehör nicht sensibel genug, fürchte ich. Beide bewegen sich auf gleich hohem Niveau, egal, ob bei den etwas zupackenderen Blues-Rock-Stücken oder den eher akustischen. Beide transportieren den Spaß, der bei den Aufnahmen herrschte, ungefiltert zum Hörer. Und darum geht es doch bei der Reproduktion von Musik, oder? Daß die US-Pressung glatt mal 35 Gramm weniger wiegt, ist in diesem Fall unerheblich. Die deutsche nimmt ihr gar gut 40 Gramm ab, klingt aber weit defensiver, Coulsons Stimme kämpft gegen einen dünnen Schleier an, manchmal dröhnt der Baß. Da diese Platte im Vergleich auch noch etwas teurer ist, geht meine Empfehlung klar an die anderen beiden. Und wenn sie auf hübsche, strukturierte Klappcover stehen, führt an der englischen sowieso kein Weg vorbei.

 

Musik: 9,0

Klang: 8,0 (England, 1972)

Klang: 8,0 (USA, 1972)

Klang: 7,0 (Deutschland, 1972)

 

 

Ronald Born, September 2014