The Hillmen – The Hillmen (1969)

 

Im Jahr 1969 veröffentlichte das kurzlebige Together Records, ein Ableger von Forward Records in Los Angeles, das Album einer Band, die es schon seit fünf Jahren nicht mehr gab. Der Sticker auf dem Cover machte dann auch deutlich, worum es eigentlich ging. Unter der Vorgabe, Archivmaterial für den interessierten Sammler zur Verfügung zu stellen, versuchte man offensichtlich, mit dem Namen Chris Hillmans, der in jener Zeit durch seine Zugehörigkeit zu den Byrds als auch den Flying Burrito Brothers unter den Folk-Rock-Fans einen herausragenden Klang hatte, noch ein gutes Geschäft zu machen. Aber vielleicht tue ich der Plattenfirma auch Unrecht. Was auch immer die Intention gewesen sein mag, ohne diese Veröffentlichung wären die heute tatsächlich historisch zu nennenden Aufnahmen wohl verloren gewesen.

 

Der erst 16-jährige Chris Hillman stieg 1961 bei den Scottsville Squirrel Barkers als Mandolinenspieler ein. Das Banjo spielte ein gewisser Kenny Wertz. Als dieser zur Air Force ging, wurde er durch Bernie Leadon ersetzt. Mit dem sollte Hillman bei den Flying Burrito Brothers erneut zusammentreffen, bevor Leadon als Gründungsmitglied die Eagles aus der Taufe hob und von seinem Vorgänger Wertz ersetzt wurde. Sollten Sie schon jetzt den Eindruck gewinnen, die Szene an der Westküste hätte etwas Inzestuöses, kann ich Ihnen nur beipflichten. Die daraus entstandenen positiven Hybrideffekte sollte man aber als Legitimation gelten lassen! Als sich die Barkers nach nur einem Album Ende 1963 auflösten, erreichte Hillman der Ruf von Kaliforniens damals prominentester Bluegrass-Band, den Golden State Boys. Er schloß sich also Vern und Rex Gosdin sowie Don Parmley an. Jim Dickson wurde Manager und Produzent der Hillmen, wie sie sich alsbald nannten. Man spielte in so ziemlich jeder Country-Bar Südkaliforniens und trat im Fernsehen auf, wofür sich der immer noch minderjährige Chris das Pseudonym Chris Hardin zulegte. In den liner notes des von Jim Dickson produzierten Albums schreibt Hillman, daß es drei Monate gedauert hätte, es Ende 1962, Anfang 1963 aufzunehmen. Nur gab es da The Hillmen noch gar nicht! Als Sugar Hill die Platte in leicht veränderter Form 1981 erneut auflegte, schrieb Chris Hillman neue liner notes und korrigierte seinen Fehler, indem er die Aufnahmen mit 1963 bis 1964 datierte. Ort des Geschehens waren die World-Pacific Studios in Hollywood. Es wurde live im Studio gespielt und mit einer 3-Spur-Bandmaschine mitgeschnitten. Vern Gosdin spielte Gitarre und sang, sein Bruder Rex stand am Bass, Don Parmley spielte Banjo und Hillman Mandoline. Alle sangen auch im Background. Jim Dickson ermutigte die jungen Musiker zum Schreiben eigener Stücke. So fanden vier Songs der Gosdin-Brüder sowie ein gemeinsam mit Hillman geschriebener den Weg auf die Platte. Neben Liedern der Folk-Legenden Woody Guthrie, Maybelle Carter und Pete Seeger sowie, für eine Bluegrass-Formation unerläßlich, einem Stück von Bill Monroe empfahl Dickson auch, sich mit dem Werk eines jungen, aufstrebenden Folkies auseinanderzusetzen. Und so gehörten The Hillmen neben Judy Collins und Pete Seeger zu den ersten, die „Farewell“ (oder auch „Faretheewell“ bzw. „Fare Thee Well“) aufnahmen, einen Song, der von Dylan selbst erst 2010 auf „The Bootleg Series Vol. 9“ veröffentlicht wurde, und der verdächtig nah am traditionellen „The Leaving Of Liverpool“ angesiedelt ist. „When The Ship Comes In“, auf dem Hillman den Lead-Gesang übernahm, war im Januar 1964 auf Dylans „The Times They Are A-Changin'“ erschienen.

 

Noch bevor das LP-Projekt auf die Zielgerade einbog, wurde es gestoppt. Bluegrass konnte vom Folk-Boom in den USA nur wenig profitieren und blieb eine Randerscheinung. Publikum und Presse hatten sich eher auf junge, poetische Singer / Songwriter und leicht konsumierbare Gesangsgruppen wie das Kingston Trio oder Peter, Paul & Mary fokussiert. Das konnte die vier Hillmen und ihren Manager nicht zufrieden stellen, und so löste sich das Quartett auf. Don Parmley verabschiedete sich gleich für längere Zeit ganz aus dem Musikgeschäft, während sich die Gosdin Brothers mit Erfolg seichteren Country-Gefilden zuwandten aber unter anderem auch 1967 am Debütalbum des Ex-Byrds Gene Clark mitwirkten. Dort trafen sie dann wieder auf Chris Hillman. Der hatte sich nach einem kurzen Gastspiel bei Green Grass Revival frustriert zu einem Studium entschlossen, als ihn Jim Dickson im Oktober 1964 als Bassist (!) zu seinen neuen Schützlingen, den Byrds, holte. Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt.

 

Entweder waren die Aufnahmen der Hillmen noch gar nicht endgültig abgemischt worden, oder der vorliegende Mix aus dem Jahr 1964 entsprach nicht den Vorstellungen der Plattenfirma, als es 1969 doch noch zu einer Veröffentlichung kommen sollte (Together ST-T-1012). Jedenfalls wird auf dem Plattencover Dave Hassinger (von Ende 1964 bis Mitte 1966 Sound Engineer der Rolling Stones) als „Re-Mix Engineer“ genannt. Auf der Sugar Hill-Ausgabe von 1981 (SH-3719) war dann Bill McElroy, der unter anderem für The Seldom Scene das umwerfende „Live At The Cellar Door“ aufgenommen hatte, für einen erneuten Remix verantwortlich. Abgesehen von klanglichen Korrekturen war das auch notwendig, weil vier Stücke, die für das ursprüngliche Album keine Verwendung fanden, nun doch noch veröffentlicht werden sollten. Es handelte sich um die Traditionals „Sangeree“ und „Barbara Allen“, „Brown Mountain Light“ von Old-Time-Pionier Scotty Wiseman und das Instrumental „Back Road Fever“ der Gosdin Brothers, das Bill Monroes Instrumentalstück „Wheel Hoss“ ersetzte. „With These Chains“ verschwand ebenfalls vom Album. Außerdem wurde, warum auch immer, die Titelreihenfolge ordentlich durcheinandergerüttelt. Als Sugar Hill 1996 auch eine CD-Version herausbrachte, hielt man sich im Großen und Ganzen an die neue Reihenfolge, fügte aber „Wheel Hoss“ wieder ein und spendierte mit „Copper Kettle“ einen weiteren unveröffentlichten Track.

 

Um ehrlich zu sein muß ich sagen, daß wohl auch das hoch angesehene Roots-Label Sugar Hill diese Platte ohne die Meriten von Chris Hillman und Vern Gosdin nicht angefasst hätte. So originell wie hochkarätig die Auswahl der Stücke auch geraten sein mochte, musikalisch war die Band zwar handwerklich sehr solide und mit offensichtlichem Enthusiasmus bei der Sache, jedoch weit entfernt von dem Niveau, auf dem damals zum Beispiel die Dillards schon agierten.

 

Klanglich ist das ebenfalls solide, ohne in irgendeinem Bereich Schwächen oder besondere Höhepunkte zu offenbaren. Bei der '81er Ausgabe wurde lediglich der meist mehrstimmige Gesang, eine Stärke des Quartetts, etwas präsenter in den Vordergrund geholt.

Brauchen Sie diese Platten? Wenn Sie ein beinharter Byrds-Fan sind, sich dafür interessieren, wie in den frühen 1960er Jahren die Ursprünge amerikanischer Musik von jungen Leuten wieder aufgegriffen und mit neuen Ideen angereichert wurden, oder wenn Sie Coverversionen von Dylan-Songs sammeln, sollte wenigstens eine der beiden Scheiben in Ihrem Regal stehen. Legen Sie jedoch eher Wert auf klangliche Aspekte, würde ich Ihnen Chris Hillmans LP „Morning Sky“ (Sugar Hill SH-3729, 1982) empfehlen. Jim Dickson ist erneut der Produzent. Alte Weggefährten wie Bernie Leadon und Kenny Wertz spielen gemeinsam mit den nicht weniger legendären Herb Pedersen, Emory Gordy, Byron Berline und Al Perkins.

 

Musik: 6,5

Klang: 7,0 (USA, 1969)

Klang: 7,0 (USA, 1981)

 

Ronald Born, Juni 2013