Supertramp – Crime Of The Century (1974)


Es war einmal ein österreichischer Millionär, der die Idee hatte, etwas von seinem vielen Geld in einen Fußballverein zu stecken. Er erwarb 2009 einen Provinzclub, verpflanzte ihn und gab ihm einen neuen Namen. Zu Ehren des edlen Spenders trugen die Spieler das Logo seiner Firma auf ihren Trikots. Traditionsbewußte Fans im ganzen Land gingen auf die Barrikaden, und es hagelte Hohn und Spott für das „Retortenbaby“. Doch mit schnell einsetzendem Erfolg wuchs die Zahl neuer Anhänger stetig, und irgendwann wird es lediglich noch verbissene Moralapostel interessieren, wie alles anfing.


Entschuldigung, ich merke gerade, daß ich Ihnen hier die falsche Story erzähle! Also noch mal von vorn: Es war einmal ein in der Schweiz residierender holländischer Millionär, der die Idee hatte, etwas von seinem vielen Geld in eine Band zu investieren. Im Jahr 1969 folgte er dem Hilferuf eines befreundeten Filmemachers, setzte sich in sein Privatflugzeug und düste nach München, wo eine gestrandete Kapelle aus England dem Hungertod entgegentrieb. Sie nannte sich The Joint. Der Millionär nahm sie mit in sein Studio in der Schweiz, wo er schnell feststellen mußte, daß er um Neuverpflichtungen nicht herumkommen würde, sollte sein Engagement nicht in einem Fiasko enden. Er löste die Band kurzerhand auf und drückte dem Einzigen, dem er das erforderliche Erstliganiveau attestierte, einen Batzen Geld in die Hand, um in London eine neue Mannschaft zusammenzustellen. Und so kam es, daß der Sänger und Keyboarder Rick Davies im Melody Maker eine Annonce schaltete. Kurz darauf hatte er einen singenden Bassisten, einen Gitarristen und einen Schlagzeuger verpflichtet und gab dem Baby den Namen Daddy. Es folgten erste Personalwechsel, ein Plattenvertrag bei A&M Records sowie die Umbenennung in Supertramp (nach „The Autobiography Of A Super-Tramp“ des Walisers W. H. Davies). Im Juli 1970 erschien der Erstling „Supertramp“, ein etwas müder Abklatsch der gerade grassierenden Prog-Rock-Epidemie. Im Sommer wurden die Newcomer für das Isle of Wight Festival gebucht, wo sie neben den Doors, The Who und Jimi Hendrix spielten. So die Legende. Tatsächlich trat man bereits am Donnerstag auf, der mit „Vorgruppen“ gespickt war. Die zahlreichen Stars betraten erst an den folgenden drei Tagen die Bühne.


Im Juni 1971 ging „Indelibly Stamped“ an den Start, weniger verspielt und wesentlich rockiger als der Vorgänger. Doch auch diese Platte konnte keine nennenswerten Erfolge verbuchen. Stanley „Sam“ August Miesegaes (der Millionär) stellte daraufhin seine Zuwendungen ein, erließ der Band in freundschaftlicher Verbundenheit ihre Schulden und zog sich ins Privatleben zurück. Bis auf Davies und Roger Hodgson verließen alle Mitglieder die nun wieder mittellose Zweckgemeinschaft. Erst 1973 hatte man dann endlich eine voll funktionsfähige Mannschaft beisammen, die heute mit einiger Berechtigung als das beste line up Supertramps gilt. Dougie Thomson übernahm den Baß von Hodgson, damit der die Hände zum Gitarrespielen frei hatte, und Bob C. Benberg (eigentlich Bob Siebenberg) setzte sich hinters Schlagzeug. Ein gewisser John Anthony Helliwell steuerte mit Saxophon und Klarinette Klangfarben bei, die im Verbund mit einem elektrischen Wurlitzer-Piano den klassischen Supertramp-Sound definieren sollten. Hinzu kamen natürlich noch die markanten Falsettstimmen der beiden verbliebenen Urgesteine. In bewährter Lennon/McCartney-Manier traten Davies und Hodgson als Songwriter-Duo auf, schrieben aber in Wirklichkeit ihre Songs fast von Anfang an allein. Wie schon bei den Beatles üblich, sang der jeweilige Autor sein Werk dann auch selbst, vom vermeintlichen Partner gelegentlich unterstützt. Nimmt man Herkunft und musikalische Vorlieben der beiden genauer unter die Lupe, überrascht die strikte Trennung wenig. Rick Davies war ein Kind der Arbeiterklasse mit einem Faible für Jazz und Blues, während Roger Hodgson der gehobenen Mittelschicht entstammte und sich auf teuren Privatschulen standesgemäß mit psychedelischen Klängen angefreundet hatte. Im Gegensatz zu den meisten seiner Artgenossen hatte er jedoch auch ein ausgeprägtes Pop-Gen in seiner DNA. Eher überraschend erscheint, daß diese sehr unterschiedlichen Charaktere immerhin mehr als zehn Jahre erfolgreich gemeinsam Musik produzierten. Als Hodgson bereits Anfang der 1970er Jahre begann, mit LSD zu experimentieren, Davies es aber strikt ablehnte, sich von Drogen „inspirieren“ zu lassen, verschärften sich die Differenzen nur noch.


Als die neue Besetzung feststand, schickte die Plattenfirma die Band nach Somerset in ein Farmhaus aus dem 17. Jahrhundert (Southcombe). Dort sollte man sich zusammenraufen, einspielen und Ideen für ein neues Album ausbrüten. Angesichts der Flops aus den Vorjahren war das ein enormer Vertrauensvorschuß und Beleg für die paradiesischen Zeiten, in denen die Musikindustrie sich damals noch befand. Zur allgemeinen Verwunderung raufte sich die Truppe tatsächlich zusammen, und Hodgson und Davies schrieben mehr als genügend Songs, so daß man im Februar 1974 mit der Studioarbeit beginnen konnte. Diese verteilte sich auf die Trident Studios, Scorpio Sound und die Ramport Studios (damals im Besitz von The Who). Als Co-Produzent konnte Ken Scott gewonnen werden, der durch seine Arbeit mit den Beatles und als Produzent von „Hunky Dory“ und „Ziggy Stardust“ gehörig auf sich aufmerksam gemacht hatte. Man nahm mehr als 40 Demostücke auf, von denen letztlich acht für das Album ausgewählt wurden. Da man durch ausgiebige Tourneen nicht dazu kam, für den Nachfolger „Crisis? What Crisis?“ neue Songs zu schreiben, verwendete man viele der ungenutzten Demos als Vorlage. Dadurch geriet die Platte weniger zu einer gelungenen Fortsetzung von „Crime Of The Century“, als eher zu einer Art Resterampe. Denn die acht Stücke, für die man sich aus erster Hand entschied, waren offensichtlich das Beste, was Supertramp damals aufzubieten hatte. Trotz beachtlicher Chartnotierungen (Platz 4 in England und Kanada, Platz 5 in Deutschland und immerhin Rang 38 in den USA) war „Crime“ zwar nicht ihr erfolgreichstes Album (da kommt an „Breakfast In America“ natürlich nichts vorbei), gilt für viele (auch innerhalb der Band) aber als künstlerischer Höhepunkt. Art-Rock-Ambitionen und Pop-Appeal gehen hier eine fast unwiderstehliche Allianz ein. Neben eingestreuten Geräuschschnipseln a la Pink Floyd („School“, „Rudy“) und ausgedehnten Instrumentalpassagen steht wie selbstverständlich ein Stück, das ganz offen ein Pop-Song sein will („Dreamer“), und mit dem titelgebenden „Crime Of The Century“ endet alles in einer großartigen Komposition, die Yes oder Queen sicherlich auf die doppelte Länge ausgewalzt und mit allerlei Firlefanz aufgeblasen hätten. Supertramp aber umgingen die zeitgenössischen Fallstricke, was die Platte auch heute noch relativ frisch und unverbraucht klingen läßt. Die Streicher arrangierte übrigens ein gewisser Richard Hewson, der hier hörbar besser aufgehoben war, als fünf Jahre zuvor bei Nick Drake (siehe den entsprechenden Eintrag). Ganz oben auf die Rückseite des Covers druckte man „To Sam“ als Widmung für den ehemaligen Sponsor, der sich vielleicht etwas voreilig aus dem Geschäft zurückgezogen hatte.

 

Natürlich wurde „Dreamer“ als Single ausgekoppelt und kletterte in England bis auf Platz 13. In den USA interessierten sich die Leute, für mich nachvollziehbar, allerdings mehrheitlich für die B-Seite. Die DJs spielten also hauptsächlich Davies' „Bloody Well Right“ in einer leicht gekürzten Version und verhalfen der Nummer so (bedingt durch ein etwas anderes System der Auswertung) zu Rang 35. Hodgesons „Dreamer“ blieb außen vor und stieg erst 1980 in einer Live-Version in die amerikanischen Charts ein. Diese stammte vom Doppelalbum „Paris“. Auf diesem Konzertmitschnitt waren, mit Ausnahme von „If Everyone Was Listening“, alle Songs von „Crime Of The Century“ enthalten, während vom aktuellen Hit-Album „Breakfast In America“, nach dem die Tournee benannt war, lediglich drei Stücke gespielt wurden. Zumindest die interne Wertschätzung hätte nicht eindrucksvoller demonstriert werden können. Nach einer weiteren gigantischen Welttournee verließ Roger Hodgson 1983 die Band, die längst ihren Lebensmittelpunkt von England ins sonnige Kalifornien verlegt hatte. Diese Ereignisse hatten jedoch keine Auswirkung mehr auf die Kreativität der Truppe. Die war schon vor geraumer Zeit friedlich eingeschlafen und Supertramp endgültig zur „Lieblingsband aller strickenden Gymnasiastinnen“ (Süddeutsche Zeitung) mutiert.


Das mag einer der Gründe sein, warum die Band zwar auch heute noch über einen enormen Bekanntheitsgrad verfügt, bei Plattensammlern in aller Welt jedoch kaum für Schweißausbrüche sorgt. Auch hier nimmt „Crime Of The Century“ eine Sonderstellung ein. Spätestens, wenn beim Opener „School“ nach 1:45 Minuten die komplette Kapelle einsetzt, wird auch dem Letzten klar, daß er es zumindest soundtechnisch mit einer besonderen Platte zu tun hat. Und von diesen großen Momenten hat sie einige auf Lager, was ihre Beliebtheit unter Audiophilen nachvollziehbar macht. Nachdem MFSL 1978 vier LPs mit dem Mystic Moods Orchestra herausgebracht hatte, war „Crime Of The Century“ (MFSL 1-005) keine vier Jahre nach dem offiziellen Start die erste Rock-Platte überhaupt, der die Kalifornier ihr patentiertes Half-Speed-Mastering (Stan Ricker) angedeihen ließen und damit praktisch die Mutter aller edlen Remaster-Scheiben schufen. Gepresst wurde auf JVCs „Super Vinyl“ in Japan. Die 180 Gramm, von denen man in mehreren Quellen liest, waren damals noch nicht an der Tagesordnung. Von meinen frühen MFSL-LPs kommt keine auch nur in die Nähe dieses Wertes (im Fall von Supertramp sind es 118 Gramm), der sowieso eher für die Vermarktung als für den Klang von Bedeutung scheint. 1981 spendierte man dann aber doch 200 Gramm, einen edlen Karton und eine Limitierung auf 5.000 Stück (MFQR 1-005). In dieser sehr exklusiven UHQR-Reihe (für „Ultra High Quality Record“) sind neben zwei klassischen Werken noch „Dark Side Of The Moon“, „Finger Paintings“ von Earl Klugh, „I Robot“ vom Alan Parsons Project, „Tea For The Tillerman“ und „Sgt. Pepper“ vertreten. Nicht die schlechteste Gesellschaft also für die größte Rarität im Supertramp-Katalog.


Ob diese Edelausgabe jedoch den exorbitanten Preis rechtfertigt, der heute dafür aufgerufen wird, kann ich leider nicht sagen. Zweifel sind angebracht, da bereits meine englische Erstpressung (A&M AMLS 68258, 126 Gramm) einfach umwerfend klingt. Ken Scotts Meisterwerk füllt jeden Winkel des Hörraums, jedes Instrument, jede Stimme ist bestens zu orten und ideal platziert. Spaß ist garantiert. Man erkennt diese Pressung übrigens recht leicht am komplett laminierten Cover und dem Beiblatt aus stabilem Karton. Bei späteren wurde schon der Rotstift angesetzt. Die Rolle des Exoten übernimmt diesmal eine portugiesische Ausgabe (A&M PP-SP 3647). Die etwas verschwommene Reproduktion des Covers deutet schon auf das hin, was einen auch bei der Platte erwartet. Es fehlen die Präzision und Schärfe der Engländerin. Auch die Dynamik hält dem Vergleich nicht stand. Irgendwo dazwischen ordnet sich eine deutsche Nachauflage aus dem Jahr 1980 (A&M 393 647-1) ein. Mein Exemplar besitzt einen „Special Price“-Sticker, was damals bei Saturn 9,95 DM bedeutete. Auch dieses Leichtgewicht (104 Gramm) ist alles andere als eine Spaßbremse und an fast jeder Ecke günstig zu haben. Viel falsch machen kann man bei „Crime Of The Century“ offenbar nicht. Nur bei der Preisgestaltung der „normalen“ MFSL-Ausgabe empfiehlt es sich, allzu gierige deutsche Anbieter zu ignorieren. Meine war zum Beispiel billiger als das anfallende Porto aus Kalifornien und im Gesamtpaket noch immer wesentlich günstiger als alles, was hierzulande so verlangt wird. Da braucht es keinen Taschenrechner. Klanglich unterscheidet sie sich vom Original nur in Nuancen, mit etwas weniger Wärme. Geschmackssache.

Gerne hätte ich hier auch noch der von Lobeshymnen begleiteten Ausgabe von Speakers Corner auf den Zahn gefühlt, die 1999, als Vinyl mausetot geredet wurde, herauskam. Heute scheint sich deren Qualität jedoch herumgesprochen zu haben. Glückwunsch, sollten Sie noch eine ergattert haben!


Musik: 8,0

Klang: 9,0 (England, 1974)

Klang: 7,5 (Portugal, 1974)

Klang: 9,0 (USA, 1978)

Klang: 8,0 (Deutschland, 1980)


Ronald Born, November 2014