Steve Earle – Exit 0 (1987)
Nicht um den mehr als beachtlichen Erstling „Guitar Town“ (1986) und auch nicht um „Copperhead Road“ (1988), das vorläufig den Durchbruch brachte, soll es hier gehen, sondern um die Platte dazwischen. Bis dahin hatte Steve Earle schon einiges erlebt und noch viel mehr vor sich. Aufgewachsen in Texas, zog es ihn mit 19 Jahren nach Nashville, wo er tagsüber diversen Jobs nachging und nachts Musik machte. 1975 sang er dann auf Guy Clarks großartigem Album „Old No.1“ im Background, traf dabei zum ersten Mal Emmylou Harris und fand sich als staunendes Nesthäkchen im Kreis um Clark, Rodney Crowell, Jerry Jeff Walker und sein Idol Townes Van Zandt wieder. Dieser kleinen aber hochkreativen Szene wurde mit James Szalapskis Dokumentation „Heartworn Highways“ ein würdiges Denkmal gesetzt. Die 2003 erschienene DVD enthält jede Menge Bonusmaterial und zeigt auch den jungen Steve. Auf dem 2007 bei Hacktone Records veröffentlichten gleichnamigen Doppelalbum wurden dann Earles erste Gehversuche endlich auch auf Vinyl verewigt. Übrigens ein Pflichtteil für alle, die sich dafür interessieren, wie sich ein Haufen unkonventioneller Musiker anschickte, die Countrymusik aus der Sackgasse zu führen.
In den folgenden Jahren verdingte Earle sich als Songschreiber für verschiedene Verlage, um 1982 mit seiner frisch gegründeten Band The Dukes (und mit Schnauzbart) bei LSI dann eine EP mit vier eigenen Songs zu veröffentlichen. Es folgten mehrere Singles für Epic und nach dem Wechsel zu MCA endlich die erste LP. Nach deren großem Erfolg (Platz 1 in den US-Country-Charts) war ein Nachfolger nur eine Frage der Zeit. Dennoch dauerte es gut ein Jahr, bis im Mai 1987 „Exit 0“ in die Läden kam. Zwischen den Studiosessions hatten The Dukes permanent Live-Gigs absolviert und präsentierten sich folglich auf dem Album als bestens eingespielte Truppe. Wurden auf dem Debüt neben Bucky Baxter, Ken Moore und Harry Stinson auch noch Emory Gordy Jr. und Richard Bennett als The Dukes geführt, werden auf „Exit 0“ die beiden Letzteren lediglich als Mitwirkende erwähnt und Reno Kling und Mike McAdam als neue Bandmitglieder vorgestellt. Nimmt man noch den Pianisten John Jarvis und Produzenten Tony Brown hinzu, ergibt sich für beide Platten ein annähernd gleiches line-up. Als im Frühjahr 2013 „The Low Highway“ erschien, las ich irgendwo, es sei das erste Album mit dem Zusatz „and The Dukes“ seit „Exit 0“. Da hatte wohl jemand „The Hard Way“ und „Shut Up And Die Like An Aviator“ übersehen. Letzteres dokumentierte die erste große Tournee, an deren Ende Earle ausgebrannt und ganz unten angekommen war: Drogen, Knast und vier Jahre lang kein kreatives Lebenszeichen. Alles änderte sich 1995 mit einer grandiosen Wiederauferstehung in Form von „Train A Comin'“, das bis heute leider nicht als Vinyl vorliegt. Den verdienten Grammy für das „Best Contemporary Folk Album“ schnappte ihm allerdings Lucinda Williams mit „Car Wheels On A Gravel Road“ vor der Nase weg. Ein kleiner Trost dürfte gewesen sein, daß er auch auf dieser Platte zu hören war.
Aber zurück ins Jahr 1987. Auf dem Weg nach Kalifornien passierte der Tourbus bei Vollmond ein Schild mit der Aufschrift „Exit 0“, und Fahrer und Band weigerten sich, auch nur aus Neugier diese Ausfahrt zu nehmen. Aber der Albumtitel war gefunden. Der Opener heißt dann auch gleich „Nowhere Road“, der als ausgekoppelte Single Platz 20 der US-Country-Charts erreichte und 1988 eine Grammy-Nominierung als bester Countrysong verbuchen konnte. Eine weitere Nominierung gab es für Steve Earle als besten männlichen Countrysänger (wie schon im Vorjahr für „Guitar Town“). „Nowhere Road“ ist dann auch einer der besseren Songs der Scheibe, Country mit einer Prise (80er Jahre-) Rock und den gängigen Metaphern zum Thema Straße. Das folgende „Sweet Little '66“ ist eines der unzähligen Stücke, in denen junge (oder auch ältere) Amerikaner von ihrem Auto schwärmen. Bruce Springsteen hätte das in diesem Fall auch nicht liebevoller tun können. Nur hätte der sich eventuell den kleinen Seitenhieb auf die japanische Konkurrenz, hier stellvertretend Subaru und Honda, verkniffen. Auch die Tragik in „No. 29“ kann man wohl nur wirklich nachvollziehen (und die Sentimentalität ertragen), wenn man mit Football aufgewachsen ist. Ich habe noch nicht mal die Regeln begriffen. „Angry Young Man“ besteht eigentlich nur aus Klischees. Der junge Rebell aus der Kleinstadt, der Tankstellenüberfall, na ja. Beendet wird die erste Seite mit einer kleinen Hommage an Doug Sahm, der allerdings etwas der Esprit fehlt, der gelegentlich die Originale des Texaners aus San Antonio auszeichnete. Bis hierhin ist das eine solide Platte, der jedoch eindeutig die Höhepunkte fehlen. Der 32 jährige Songschreiber sollte seinem Ruf als Erneuerer der Countrymusik erst auf der zweiten Seite gerecht werden. Und dazu genügten zwei Songs! „The Rain Came Down“ ist eine stolze Hymne für all die kleinen Farmer, denen trotz härtester Arbeit kaum etwas zum Leben bleibt, die sich aber verzweifelt an ihren Grund und Boden klammern. „And the restless shall go and the faithful shall stay.“ Jetzt gelingen ihm auch sprachliche Bilder, die wirklich berühren. Ein großartiger, herzerweichender Song. Einer seiner besten überhaupt und das Highlight des Albums! Dabei macht es ihm „I Ain't Ever Satisfied“ nicht leicht. Das könnte auch glatt von Springsteen sein, was an sich ja schon ein Qualitätskriterium ist. Der kreative Schub hat jetzt allerdings seinen Schwung eingebüßt. „The Week Of Living Dangerous“ bekommt die letzten Prozente noch ab, während „I Love You Too Much“ und „It's All Up To You“ ein Rocker und eine Ballade nach den bereits bekannten Strickmustern sind. Wie es sich für einen richtigen Outlaw gehörte, kämpfte Steve Earle eher mit dem Säbel, als mit dem Florett. Dabei gelangen ihm ab und an wirklich erinnerungswürdige Stücke, vieles blieb aber auch noch in guten Ansätzen stecken, wirkte unausgegoren. Für frischen Wind in Nashville reichte das aber allemal.
An den Songs liegt es jedenfalls nicht, daß die Aufnahmen teilweise kraftlos daherkommen. Die Produktion ist eher glatt und konventionell, der Sound undifferenziert. Das Album wurde digital aufgenommen. Darauf war man stolz und listete auch noch die verwendete Technik auf. Es handelte sich um das X-800 von Mitsubishi, ein 32-Spur-Aufnahmegerät. Im selben Jahr nahm auch Lyle Lovett sein Album „Pontiac“ damit auf. Und auch hier war Tony Brown an der Produktion beteiligt. Nur spielt diese Platte klanglich in einer ganz anderen Liga als „Exit 0“. Das digitale „Teufelszeug“ kann man also auch nicht verantwortlich machen. Ich bin etwas ratlos. Mein erstes Exemplar (MCA MCF 3379, England) habe ich vor vielen Jahren in Nordirland gekauft. Der Laden in Derry hieß SoundsaRound, und er scheint noch immer zu existieren. Außerdem gehörten noch „Lone Star State Of Mind“ von Nanci Griffith (eine weitere Tony Brown / Mitsubishi X-800-LP) und mehrere alte Ausgaben des Record Collector zur Beute. Was würde unser Gedächtnis nur ohne die eigentlich ungeliebten kleinen Adress-Sticker der Plattenläden auf den (immerhin) Coverrückseiten machen? Die US-Ausgabe (MCA MCA-5998) kam dann wohl irgendwann mal mit der Post.
Die Scheiben wiegen eher dürftige 112 (USA) bzw. 122 Gramm und nehmen sich gegenseitig nicht die Butter vom Brot. Allzu viel ist ja davon auch nicht drauf. Die folgenden Alben wurden dann von Bob Ludwig gemastert. Erwarten Sie auch da dennoch keine Wunderdinge beim Klang. Ein Liebling der audiophilen Gemeinde wird Steve Earle wohl nie werden, und das macht schon einen Teil seines rustikalen Charmes aus. „Exit 0“ stellt einen recht kleinen Schritt in seiner Entwicklung dar. Man könnte es glatt als „Übergangsalbum“ bezeichnen. Und als solches hat es auch durchaus seine Berechtigung, wobei man natürlich keine zwei Exemplare braucht. Eins sollten Sie sich aber besorgen, allein schon wegen „The Rain Came Down“.
Demnächst werde ich von einem Typen berichten, der, knapp zwei Jahre jünger als Earle, 1987 ebenfalls sein zweites Album herausbrachte, das im gleichen Revier (nennen wir es mal alternative Countrymusik) wilderte. Diese Platte machte so ziemlich alles richtig, markierte aber bereits den musikalischen Höhepunkt des Protagonisten, während Steve Earles Großtaten noch vor ihm lagen. Ich freu mich drauf!
Musik: 6,5
Klang: 6,5 (England, 1987)
Klang: 6,5 (USA, 1987)
Ronald Born, Juni 2013