The Hollies – Hollies Sing Dylan (1969)

 

Nein, das war beileibe nicht das erste Mal, daß sich jemand über eine komplette LP an Songs von Bob Dylan versuchte. Aber es war das erste Mal, daß eine namhafte Pop-Band so ein Projekt in Angriff nahm. Die Erste war wohl eine gewisse Linda Mason, die bereits 1964 „How Many Seas Must A White Dove Sail“ vorlegte. 1965 folgten ihr dann zum Beispiel Odetta, Hugues Aufray und Duane Eddy mit mehr oder weniger gelungenen Adaptionen. Im Jahr darauf brachten zwei Instrumentalplatten von der Gene Norman Group und dem Metropolitan Pops Orchestra neue Ansätze ins Spiel: Jazz, der keinen überfordert und Kaufhausmusik für die etwas betuchtere Kundschaft. Der Schauspieler Sebastian Cabot setzte dann 1967 ganz auf die Texte. Die Musik blieb im Hintergrund, während Cabot klang, als würde er für eine Rolle in „Hamlet“ vorsprechen. Mit „Any Day Now“ (1968) legte Joan Baez dann gleich ein Doppelalbum mit Liedern ihres ehemaligen Schützlings und Geliebten vor, das ausschließlich aus neuen Aufnahmen bestand, obwohl sie ja bereits seit 1963 reichlich Entwicklungshilfe geleistet hatte. Schließlich kleideten The Brothers & Sisters, eine Schar erfahrener Backgroundsängerinnen und -sänger, unter der strengen Leitung von Lou Adler, auf „Dylan's Gospel“ 10 Stücke in ein entsprechendes Gewand. Nimmt man die bis dahin schon auf unzähligen anderen Alben und Singles erschienen Coverversionen hinzu, ergibt sich eine enorme Bandbreite von Jazz bis Easy Listening, Folk bis Streichquartett und natürlich Rock und Pop. Die Hollies hatten zu diesem Zeitpunkt, aus Mangel an eigenem, schon ausgiebig Erfahrungen mit der Adaption von Fremdmaterial gemacht. So waren die ersten Singles durchgehend modisch aufpolierte Nummern der Coasters, von Maurice Williams oder Doris Troy. Bis 1968 bildeten selbstgeschriebene Songs (meist von Allan Clarke, Graham Nash und/oder Tony Hicks) im Repertoire der Gruppe die Ausnahme. Als 1966 die Single „If I Needed Someone“ erschien und Platz 20 der Charts erreichte, bezeichnete der Autor des Stücks, George Harrison, die Hollies-Aufnahme öffentlich als seelenlos. Wenn man sich dieser Meinung anschließt, sollte man also nicht zu viel von den 12 Dylan-Versionen erwarten. Aber zuerst stellt sich einmal die Frage, was eine gute Coverversion ausmacht. Wobei ich hier natürlich nur für mich sprechen kann und mich am liebsten vor einer Antwort drücken würde. Aber ich versuche es trotzdem mal. Für mich sollte eine gelungene Version etwas aus dem Original herauskitzeln, was mir vorher noch nicht aufgefallen war. Sei es eine interessante Melodielinie, eine andere Phrasierung, die Veränderung des Charakters durch ein verschlepptes oder beschleunigtes Tempo oder sogar eine leichte Änderung des Textes, vorausgesetzt, der Sinn wird nicht entstellt. Das alles erscheint mir legitim, selbst das Weglassen oder Hinzufügen einzelner Passagen, solange der Kern des Stückes erhalten bleibt. Am Ende entscheidet sowieso der persönliche Geschmack. Nicht ausstehen kann ich hingegen, wenn ein Song denunziert wird („Nackig an der Himmelstür“... Sie wissen, was ich meine).

 

Nun aber endlich zu den Hollies. Wie nicht anders zu erwarten, setzten sie für das Dylan-Projekt voll auf Popmusik der seichteren Art. Im Vorfeld hatte es bereits erhebliche Spannungen wegen der musikalischen Ausrichtung der Band gegeben. Graham Nash, das einzige Mitglied, das zu jener Zeit schon mit illegalen Substanzen experimentierte, wollte weg vom kantenlosen Wohlklang. Er wollte etwas riskieren, und das stieß bei seinen erfolgsverwöhnten Kollegen (13 Top-Ten-Singles in England bis Ende 1968) nicht gerade auf Gegenliebe. Als dann auch noch neue Songs von ihm, wie „Marrakesh Express“ und „Lady Of The Island“, abgelehnt wurden, war das Maß voll. Seien wir einfach dankbar, daß David Crosby und Stephen Stills da wesentlich zugänglicher waren. Es wird gelegentlich behauptet, Nash hätte die Hollies wegen des geplanten Dylan-Albums verlassen. Das stimmt so nicht. Er ging, weil er mit der Umsetzung nicht einverstanden war. Bis heute ist er ein großer Dylan-Fan und auch Sammler. Auf „Blowin' In The Wind“ hat er übrigens noch mitgewirkt, dann war endgültig Schluß. Für die weiteren Aufnahmen mußte sich die Band nach einem neuen Gitarristen und Sänger umsehen und fand ihn in Terry Sylvester.

 

Bei der Auswahl der Stücke gingen die Hollies auf Nummer sicher. Dabei standen Ende 1968 schon weit mehr als 100 Songs zur Auswahl. Nicht nur die offiziellen Alben, sondern auch bislang von Dylan selbst unveröffentlichtes Material sowie erste kursierende Aufnahmen der „Basement Tapes“ bildeten ein enormes Reservoir. Die Hollies entschieden sich jedoch ausnahmslos für Titel, die bereits von anderen Künstlern bearbeitet, und in sieben Fällen sogar in die Single-Charts gebracht worden waren. Der Nachteil dieser risikoarmen Vorgehensweise: Vergleiche drängten sich förmlich auf. Los geht es dann trotzdem mit einer kleinen Überraschung. „When The Ship Comes In“ ist schwungvoll gespielt, der Harmoniegesang, durchaus geschmackvoll, setzt erst zur zweiten Strophe ein, und Tony Hicks' Banjo verleiht der Nummer, trotz Varieté-Charakters, eine gewisse Bodenhaftung. Es folgt ein Stück vom, zum Zeitpunkt der Aufnahmen, aktuellen Dylan-Album „John Wesley Harding“. Man verzichtet bei „I'll Be Your Baby Tonight“ auf popmusikalischen Zinnober. Akustische Gitarren und die unvermeidliche Mundharmonika bilden das Gerüst. Allan Clarke singt kraftvoll, die Herren Hicks und Sylvester harmonieren. Gleiches kann man von „I Want You“ sagen. Clarke läßt sich auf den Text ein wie bei keinem anderen Stück, die Melodie, schon im Original ein Ohrwurm, wird für die Tanzfläche aufbereitet. Die darf man anschließend gleich wieder verlassen. Zwei Tracks der „Basement Tapes“ kommen zur Aufführung. Diese, ursprünglich von Dylan mit den Musikern, die sich später The Band nannten, im Sommer und Herbst 1967 gemachten Aufnahmen, gelangten bereits im November durch Dylans Manager Albert Grossman nach London. Der geschäftstüchtige Herr stellte den englischen Musikverlegern Feldman & Co. 14 der neuen Songs zur Verwertung zur Verfügung. Erst machten Manfred Mann „Mighty Quinn“ zum Hit, danach kam „This Wheel's On Fire“ von Julie Driscoll und Brian Augers Trinity auf Platz 5 der englischen Single-Charts. Und genau dieses Stück haben sich die Hollies hier vorgenommen. Der Sound ist fürchterlich, übersteuert und blechern. Irgendwann setzt dann auch eine Orgel ein, wohl im Bemühen, den leicht psychedelischen Touch der Hit-Single zu reproduzieren. Für mich ist das ein Cover der Version von Driscoll und Auger, nicht des Dylan-Songs. Auch „I Shall Be Released“ hatte schon einige prominente Vorgänger. Zuerst natürlich The Band, die die Nummer für ihr Debütalbum aufnahmen und als Single-B-Seite von „The Weight“ erfolgreich platzierten. Aber auch die englischen Konkurrenten Tremeloes und Marmalade hatten schon versucht, mit Singles zu punkten. Das Stück war also bereits hinlänglich bekannt und hätte eines weit größeren Aufwandes bedurft, um positiv herauszuragen, als die Hollies bereit waren, zu betreiben. So bleibt es in ihrer Version unauffällig wie nichtssagend. Das kann man vom letzten Titel der ersten Seite nicht behaupten. Es wäre unsinnig, den Hollies vorzuwerfen, daß sie aus „Blowin' In The Wind“ einen Pop-Song gemacht haben (Graham Nash nannte es ein Sakrileg.). Da sind sie sowieso nicht die Einzigen. Gegen gute Pop-Songs ist auch nichts einzuwenden. Und das hier hätte durchaus einer werden können. Clarke singt einmal mehr klagend und dennoch mit Power, die Melodie ist verspielt und weit subtiler als das, was man so an den Lagerfeuern dieser Welt hören kann, und die Band gibt alles. Das genügt, sollte man meinen. Die Arrangements für Streicher und Bläser besorgte Mike Vickers (Ex-Manfred Mann). Die Nähe zu Las Vegas ist unüberhörbar, aber unoriginell sind sie deshalb nicht. Aber zu viel. Viel zu viel. Es ist fast tragisch, daß eine der wenigen Versionen auf diesem Album, die eine eigene Handschrift und gehörigen Aufwand erkennen läßt, unter der Summe ihrer musikalischen Bestandteile zusammenbricht. An Musikhochschulen sollte diese Aufnahme als Beispiel für eine gnadenlose Überproduktion verwendet werden.

 

Quit Your Lowdown Ways“ ist ein Song, der es 1963 nicht auf „The Freewheelin' Bob Dylan“ geschafft hatte, noch im selben Jahr jedoch der interessierten Öffentlichkeit durch Peter, Paul & Mary präsentiert wurde. Die Hollies starten mit einem Bass, den man durchaus als funky bezeichnen kann. Der begleitet dann großartige akustische Gitarren, die zuweilen an frühe Rock'n'Roll-Aufnahmen erinnern. Der Harmoniegesang ist auf den Punkt und keine Note scheint überflüssig. Die Band gibt richtig Gas, und der Spaß, den sie offenbar dabei hat, überträgt sich auf den Zuhörer. Die beste Nummer. Mit Abstand. Es wäre mit Sicherheit eine kluge Entscheidung gewesen, mehr dieser eher unbekannten Stücke zu integrieren. Die Spielwiese wäre einfach größer geworden, und man wäre den Vergleichen, die bei allen anderen hier präsentierten Titeln eher zu Ungunsten der Gruppe aus Manchester ausfallen, aus dem Weg gegangen.

 

Schon 1966 hatten Manfred Mann „Just Like A Woman“ in die britischen Top-Ten geführt. Obwohl mich auch diese Version nicht überzeugt, ist sie dennoch eine ganze Klasse besser, als der emotionslose Langweiler, den wir hier von den Hollies geboten bekommen. Die Streicher sind zurück und übertönen recht zügig sogar Bernie Calverts fette Orgel. Aber es kommt noch schlimmer. Wenn Sie bisher glaubten, „The Times They Are A-Changin'“ sei einer von Dylans unzerstörbaren Songs, werden Sie jetzt leider eines Besseren belehrt. Der Text kann seine ursprüngliche Kraft nicht entfalten, so lieblos wird er heruntergesungen. Und die Musik will einfach nicht zu dem Stück passen. Thema verfehlt, setzen!

 

Auch die beiden nächsten Nummern stützen sich im Original nur auf Gesang und Gitarre, und beide wurden bereits durch die Byrds erfolgreich „elektrifiziert“. Keine gute Idee, zu einem billigeren Stromanbieter zu wechseln! Bei „All I Really Want To Do“ kommt noch eine Marimba hinzu. Der Sinn erschließt sich mir nicht. „My Back Pages“ funktioniert dann etwas besser, mit einem recht originellen Instrumentalteil. Aber auch hier wird letztendlich klar, daß manche Dylan-Nummern, vor allem solche, bei denen sich die Worte förmlich überschlagen, und die selbst Dylan nur aufgrund seiner genialen Fähigkeiten bei der Phrasierung in den Griff bekommt, nicht als Pop-Liedchen taugen.

 

Daß „Mighty Quinn“ nicht in diese Kategorie fällt, wurde durch Manfred Mann ja schon bewiesen. Die Version der Hollies beginnt mit einem Banjo, bevor der Rest der Gruppe, und später eine ganze Brass-Band einsteigt. Leider dominiert die dann den Sound, wo etwas Zurückhaltung angebracht gewesen wäre. Und ich versuche mir vorzustellen, was Bruce Springsteen bei seinen Seeger-Sessions daraus gemacht hätte. Einen Pluspunkt gibt es, weil uns hier das sonst allgegenwärtige Flötenintro erspart bleibt.

 

So ein Album aufzunehmen, sollte immer eine Herzensangelegenheit sein. Aber Herzblut ist hier definitiv keins geflossen. „Hollies Sing Dylan“ erschien im Mai 1969 und erreichte im Juni Platz 3 der LP-Charts in England. Sie hatten also aus ihrer Sicht alles richtig gemacht.

Das Covern von Dylan-Songs ist nach einer Flaute in den späten 70er und den 80er Jahren heute wieder fast so angesagt wie zu Zeiten der Hollies. Seitdem hat es viele LP- und CD-Projekte gegeben, die sich ausschließlich dieser Kunst widmeten. Darunter waren rein kommerziell angelegte Arbeiten wie auch echte Liebhabereien, künstlerisch durchaus eigenständige Werke sowie gähnend langweilige Aufgüsse. Das für mich beste Teil in dieser Kategorie wurde noch auf gutem, altem Vinyl veröffentlicht und wird also irgendwann hier entsprechend gewürdigt werden.

 

Hollies Sing Dylan“ erschien in jedem relevanten Markt der Welt. Auch wenn sich gelegentlich der Titel änderte, die Songs und auch deren Reihenfolge blieben unverändert. In Argentinien hieß die Platte zum Beispiel „Hollies Cantan Dylan“, in Chile „Hollies Cantan Canciones De Bob Dylan“, in Brasilien und Uruguay behielt man dagegen den englischen Titel bei. In den USA und Canada, wo der Erfolg der Band übrigens weit hinter dem in der Heimat zurückblieb, wurde das Album als „Words And Music By Bob Dylan“ veröffentlicht.

 

Für den Vergleich habe ich die englische (Parlophon PCS 7078) und amerikanische (Epic BN 26447) Originalpressung sowie eine deutsche Nachauflage aus der Mitte der 1970er Jahre (Polydor 2495 164) ausgewählt. Im Original erschien die Platte hier auf Hansa (79637 IT). Die in Polydors „Rocky Collection“-Reihe herausgebrachte Scheibe bringt genaugenommen nochmals einen neuen Titel ins Spiel: „The Hollies Sing Dylan“. Alle drei sind stark mittenbetont und bleiben im Fundament etwas schwachbrüstig. Bei der englischen Ausgabe (140 Gramm) ist zudem Allan Clarkes Gesang teilweise sehr dumpf, kann sich kaum über den Gruppensound erheben. Den besten räumlichen Eindruck vermittelt eindeutig die 70er-Jahre-Platte. Auch wurde bei ihr offensichtlich bei den Höhen etwas nachgeholfen, was zumindest bei „Blowin' In The Wind“ unangenehm wird. Aber da gab es ja produktionstechnisch eh nicht mehr viel zu verderben. Wenn Sie, wie ich, ein helleres Gesamtbild bevorzugen und sich an einem grauenhaften Coverfoto nicht stören, ist die Polydor-LP (120 Gramm) die erste Wahl. Die preiswerteste sowieso.

 

Musik: 6,5

Klang: 6,5 (England, 1969)

Klang: 7,0 (USA, 1969)

Klang: 7,0 (Deutschland, 1970er)

 

Ronald Born, Juni 2013