Simon & Garfunkel – Sounds Of Silence (1965)

 

November 1957, im US-Fernsehen läuft die Show „American Bandstand“. Soeben hat Jerry Lee Lewis „Great Balls Of Fire“ zum Besten gegeben. Das Publikum reibt sich verwundert die Augen und wird in den folgenden 10 Tagen eine Million Exemplare der Single kaufen! Die nächsten Gäste der Show sind zwei New Yorker Greenhorns, die sich den wenig originellen Namen Tom & Jerry gegeben haben und ihre erste Single, „Hey, Schoolgirl“, brav vortragen. Immerhin sorgt der Fernsehauftritt für landesweite Aufmerksamkeit und schiebt die Single bis auf Platz 49. Tom Graph und Jerry Landis waren natürlich Art Garfunkel und Paul Simon, die sich seit der gemeinsamen Schulzeit kannten und 1955 begannen, zusammen Songs zu schreiben. 1958 folgten noch weitere Single-Veröffentlichungen im Stile der Everly Brothers, denen aber kein Erfolg mehr beschieden war. Nach der Highschool besuchten beide jeweils ein anderes College und verloren sich vorerst aus den Augen. Paul Simon schrieb jedoch weiterhin Songs, die er unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlichte. Auch Garfunkel brachte als Artie Garr noch zwei Singles mehr oder weniger unbemerkt unters Volk. 1963 trafen dann beide im New Yorker Greenwich Village wieder zusammen, und Simon spielte seinem alten Kumpel ein paar seiner neuesten Songs vor. 1964 reiste er dann nach England und wurde in der dortigen Folk-Szene mit offenen Armen empfangen. In den Sommerferien besuchte Garfunkel ihn für ein paar gemeinsame Club-Auftritte, und man beschloß, sich fortan Simon & Garfunkel zu nennen. Tom Wilson nahm das Duo für Columbia Records unter Vertrag, schickte es ins Studio, und am 19. Oktober 1964 erschien „Wednesday Morning, 3 A.M.“, ein veritabler Flop. Man trennte sich, und Simon ging erneut nach England. Dort tourte er durch Folk-Clubs wie Les Cousins und The Troubadour in London, produzierte für seinen Freund Jackson C. Frank dessen erstes Album, spielte Radio Sessions für die BBC und nahm im Juni und Juli 1965 Songs für „The Paul Simon Song Book“ auf, das im August in England erschien und neben zwei Stücken von „Wednesday Morning“ neues Material enthielt (dazu an anderer Stelle mehr). Ohne es zu wissen, wurde der 15. Juni zum Wendepunkt seiner und Garfunkels Karriere.

 

An diesem Tag nahm Tom Wilson im Columbia Studio A in New York Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ auf. Und anschließend setzte er eine ungewöhnliche Idee in die Tat um. Es wird häufig behauptet, daß dies mit Dylans Studioband realisiert wurde. Das ist aber schlicht falsch. Mit Dylan waren an jenem Tag bekanntlich Mike Bloomfield, Al Kooper, Paul Griffin, Russ Savakus und Bobby Gregg im Studio. Alle gingen nach der erfolgreichen Session ihrer Wege, nur Wilson blieb. Beeindruckt vom gigantischen Erfolg der Byrds, deren erste Single, „Mr.Tambourine Man“, sich gerade anschickte, die Top-Position der Charts zu erklimmen, schwebte Wilson für einen Song, der auf Simon & Garfunkels Debütalbum kaum Beachtung fand, ein ähnlich folk-rockiger Sound vor. Für den sollten nun die Gitarristen Al Gorgoni und Vinnie Bell, der Bassist Joe Mack und Buddy Salzman an den Drums sorgen. Außerdem mischte Tom Wilson den Gesang, der auf dem Original auf den rechten (Simon) bzw. linken Kanal (Garfunkel) verteilt war, in die Mitte. Und er gab noch ordentlich Hall oben drauf. Es funktionierte! Die adrenalingeschwängerte Aufnahme wurde im September 1965 (mit dem einige Monate vorher aufgenommenen „We've Got A Groovey Thing Goin'“ als B-Seite) veröffentlicht und stieg umgehend in die Charts ein.

 

Es gibt mehrere Versionen darüber, wann Paul Simon von Columbia über den unerwarteten Erfolg informiert wurde. Aber es ist wohl egal, ob es nun kurz vor dem Auftritt in einem Club in Kopenhagen oder im Haus von Al Stewart in England war. Jedenfalls kehrte er in die Staaten zurück, wo er mit Garfunkel im Dezember die meisten Stücke für ihr zweites Album aufnahm. Unterstützt wurden sie dabei von den Studio-Profis Fred Carter Jr. und Joe South (ja, genau der) an den Gitarren, Larry Knechtel am Keyboard und Hal Blaine an den Drums. In den ersten beiden Januarwochen 1966 belegte „The Sounds Of Silence“ (erst später wurde aus dem Plural Singular) Platz 1 der US-Charts (abgelöst von „We Can Work It Out“ der Beatles). Das nicht ganz gleichnamige Album erschien am 17. Januar und erreichte im März mit Platz 21 (in England Platz 13) seine beste Notierung. Im Fahrwasser dieses Erfolges kam auch „Wednesday Morning“ noch zu verspäteten Charts-Ehren (Platz 30). Fristete „The Sounds Of Silence“ auf diesem als letztes Stück der ersten Seite noch ein recht freudloses Dasein, eröffnet es jetzt natürlich die Platte. Etwas anderes hätte die Marketingabteilung wohl auch nicht zugelassen. Es folgt „Leaves That Are Green“, das Simon schon auf „The Paul Simon Song Book“ gebracht hatte. Das Interessanteste daran ist Billy Braggs Song „A New England“ aus dem Jahr 1983. Hören Sie sich den mal im Vergleich an. Die ersten Zeilen genügen übrigens (funktioniert auch mit Kirsty MacColls Coverversion).

 

Blessed“ ist dann das einzig wirklich neu geschriebene Stück des Albums (in der US-Version), denn „We've Got A Groovey Thing Goin'“ war ja ein Überbleibsel aus einer April-Session und als Single-B-Seite bereits seit September auf dem Markt. Einer der schönsten Songs, den Paul Simon verfasst hat, ist zweifelsohne „Kathy's Song“. Der entgeht hier der „Rockifizierung“ ebenso wie einer Beteiligung Garfunkels, bleibt also im Grunde das ergreifende Solostück, das er schon auf dem „Song Book“ war. Mit „Somewhere They Can't Find Me“ kommt dann ein weiterer Track aus dem April 1965 zu verspäteten Ehren, der im verschwenderischen Arrangement alles aufbietet, was für Geld und gute Worte im Studio aufzutreiben war. Der Kontrast zu „Anji“ hätte heftiger nicht sein und effektvoller nicht verdeutlicht werden können. Dieses Stück von Davey Graham, das auf frühen US-Ausgaben des Albums als „Angie“ geführt und fälschlicherweise auch noch Bert Jansch (der es auf seiner ersten LP ebenfalls gespielt hatte) zugeschrieben wurde, ist ein instrumentaler Folk-Blues, den Simon hier so meisterhaft wie nah am Original spielt. Ich kann mich an ein Heft zum Erlernen des Finger-Pickings erinnern, das dieses Stück zur Vorlage hatte. Angeblich sollte man es nach der letzten Lektion genauso spielen können. Ich jedenfalls konnte es nicht, kann es bis heute nicht. Das muß aber beileibe nicht an dem Heft gelegen haben.

 

Die zweite Seite beginnt mit „Richard Cory“ oder „Homeward Bound“, je nachdem, welche Platte Sie in Händen halten. In den USA erschien „Homeward Bound“ nämlich lediglich als zweite Single des Duos (Nr. 5 in den Charts), während es zum Beispiel in England, Italien und Holland (dort 1968) auf der LP zu finden ist. Dafür glänzt es auf der deutschen Ausgabe (S 62408, 1966), in Australien, Neuseeland und Kanada wieder durch Abwesenheit. Da ich mich hier unter anderem mit einer englischen Pressung befasse, und weil es prinzipiell schade wäre um diesen Song, ist er dabei. Geschrieben hat ihn Paul Simon, als er als Solist in England auf Achse war und eines Abends, von Sehnsucht nach seiner Geliebten geplagt, lange auf einem unwirtlichen Bahnsteig auf den Zug zurück nach London und zu ihr warten mußte. Die lückenhafte Geschichtsschreibung hält zwei Varianten bereit, wo der betreffende Bahnhof zu finden ist: in Liverpool oder irgendwo bei Manchester. Etwas zynische Mancunians könnten an dieser Stelle einwerfen, daß das ja wohl dasselbe ist. Egal. „Homeward Bound“ ist einer der Songs des Duos, der nicht zu altern scheint, einfach, weil die erzählte Geschichte so nachvollziehbar und unzählige Male selbst erlebt worden ist. Das kann man von „Richard Cory“ nicht behaupten. Oder hat sich Ihr Chef schon mal erschossen? Der Text basiert auf einem Gedicht von 1897 und erzählt aus der Sicht eines Arbeiters, der neidisch auf den Fabrikbesitzer ist und sich sehnsüchtig wünscht, an dessen Stelle zu sein, selbst noch, nachdem dieser sich eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte. Einen bleibenden Eindruck muß diese Story hinterlassen haben, denn sowohl Them (im Mai 1966) als auch die Wings (1976, mit Denny Laine als Sänger) bannten den Song auf Vinyl. Auch „A Most Peculiar Man“, ein weiteres Stück vom „Song Book“, handelt von einem Selbstmord (diesmal durch Gas) und beklagt etwas plakativ das herrschende Desinteresse am Schicksal der Mitmenschen aus der nächsten Umgebung.

 

April Come She Will“ bleibt hier, wie schon auf Pauls Solo-Scheibe, ein akustisches Kleinod , nur daß diesmal Art Garfunkel den Gesang übernimmt, was außer einem Wechsel der Tonart keine weiteren Folgen hat. Diese Beschreibung des Auf- und Verblühens einer Liebe anhand der vergehenden Monate ist so schlicht wie herzergreifend.

 

Im Gegensatz zum, für die erste Single ausgegrabenen „We've Got A Groovey Thing Goin'“, hat „I Am A Rock“ eine etwas längere Geschichte. Aufgenommen im Sommer 1965 für „The Paul Simon Song Book“, wurde eine etwas kürzere Alternativversion in England auf Single (CBS 201797) und in Frankreich auf einer sehr seltenen EP (CBS EP 6211) herausgebracht. Zu finden ist diese außerdem als Bonustrack auf der CD-Ausgabe von 2004 (wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es wirklich dieselbe ist). Eröffnete der Song die Solo-LP, beschließt er ein halbes Jahr später das Duo-Album so, wie es begonnen hat: mit Jingle-Jangle-Gitarren, elektrischem Baß, Orgel und Schlagzeug. Nach wie vor ist „I Am A Rock“ eines von Simons populärsten Stücken und hier auch das, an dem sich am besten die Unterschiede des Mono- und Stereo-Mixes der Platte veranschaulichen lassen. Haben Sie zufällig beide Alben zur Hand? Dann hören Sie sich bitte zuerst die Stereo-Version an. Für die Mono-Platte müssen sie anschließend ein wenig Platz auf Ihrer Couch machen, denn Paul Simon setzt sich gleich zu Ihnen! Der Gesang wird wesentlich präsenter und der Hall auf ein Minimum reduziert. Alles klingt sehr natürlich. Probieren Sie es aus, es ist frappierend.

 

In meiner persönlichen Hitliste ist „Sounds Of Silence“ nicht die beste Platte von Simon & Garfunkel (allein das Songwriting auf „Bookends“ ist eine Klasse für sich), aber besser als ihre erfolgreichste. Man merkt ihr schon an, daß sie mehr oder weniger hastig „zusammengeschustert“ wurde. Und der verordnete Folk-Rock will auch noch nicht so recht zu dem Duo passen, das doch eindeutig in der Tradition der Louvin- und frühen Everly Brothers stand. Und so beeindrucken mich auch die rein akustischen Stücke am nachhaltigsten. Was ohne die aufgemöbelte Version des Titelstücks aus den beiden Künstlern geworden wäre, kann nur spekuliert werden. Paul Simons Weg schien jedoch schon vorgezeichnet. Zu groß waren sein Talent, seine Fähigkeiten und sein Ehrgeiz.

 

Was die Platte nun für Sammler so interessant wie verwirrend macht, sind die ungezählten Versionen, die in aller Welt erschienen. Es beginnt ja schon mit „Homeward Bound“, das in den USA dann auf „Parsley, Sage, Rosemary & Thyme“ sein LP-Debüt feierte, in England aber natürlich für dieses Album nicht mehr verwendet wurde. Ein weiterer Punkt ist die sehr unterschiedlich gehandhabte Schriftgestaltung des Front-Covers. Auf zwei der drei Fotos der Rückseite ist Art Garfunkel mit der Zeitschrift „Tiger Beat“ zu sehen. Bei späteren US-Ausgaben wurde die dann wegretuschiert. Die Fotos selbst verschwanden auf der holländischen Erstausgabe schon im Jahr 1968 und machten werbewirksamen Abbildungen von fünf Simon & Garfunkel-LPs und Paul Simons „Song Book“ Platz.

 

Ich habe mich hier für eine englische (CBS SBPG 62690) und eine holländische (CBS 32020) Pressung entschieden. Die zeitliche Einordnung ist für Ungeübte nicht ganz einfach. Bei CBS in England änderte sich das Design der LP-Labels Ende 1967, indem die Geschwindigkeit nicht mehr mit „33“, sondern mit „33 1/3“ angegeben wurde. Ab dem Frühjahr 1968 wurden dann die Präfixe vor der Katalognummer von „(S)BPG“ in „S“ (für Stereo) bzw. „M“ (für Mono) geändert. Die Cover wurden bis Mitte 1967 als sogenannte Flipback-Cover produziert, das heißt, daß die Klebefalze außen auf der Rückseite aufgeklebt wurden. Danach setzte sich die bis heute übliche Fertigung mit innenliegenden Falzen durch. Meine englische LP hat dann auch, passend zum Label, das auf eine Veröffentlichung Ende 1967 / Anfang 1968 schließen lässt, kein Flipback-Sleeve mehr, aber noch eine laminierte Vorderseite. Die holländische hat mir der polnische Freund einer damaligen Kommilitonin 1988 in Westberlin besorgt. Das rote Label mit fünfstelliger Katalognummer wurde etwa von 1985 bis 1987 verwendet. Das paßt also. Die Coverrückseite ist noch immer so gestaltet, wie die der ersten Ausgabe in Holland. Es war damals das erste Mal, daß ich von „The Paul Simon Song Book“ erfuhr, hielt die Scheibe aber für eine Best-Of-Zusammenstellung des Duos. Diese Fehleinschätzung sollte noch viele Jahre bestehen.

 

Die englische Pressung hat, wie oben bereits erwähnt, ordentlich Hall zu bieten. Zu viel, wenn Sie mich fragen. Der Baß hält sich allgemein ziemlich zurück. Offensichtlich war man sich auch bei der Produktion nicht ganz einig, ob man nun ein Folk-Rock-Album, oder eine elektrifizierte Folk-Platte machen wollte. Auch die eher akustisch angelegten Stücke bewahren eine gewisse Distanz, da sie den Hörer aus seinem gemütlichen Wohnzimmer in eine kühle Kirche zu entführen scheinen. Noch eine Spur kälter wird es auf der 80er-Jahre-Ausgabe. Dafür klingt diese eine Spur dynamischer und längst nicht so schlecht und muffig, wie ich sie in Erinnerung hatte. Fazit: auch wenn das hier gar nicht zur Debatte steht, und ich mit meinem Stereo-Equipment nicht für optimale Voraussetzungen sorgen kann, würde ich in jedem Fall mein Mono-Exemplar bevorzugen. Sorry, ich wäre Ihnen gern eine größere Hilfe gewesen!

 

Musik: 7,0

Klang: 7,0 (England, 1968)

Klang: 7,0 (Holland, 1987)

 

Ronald Born, Juni 2013