Peter, Paul & Mary – In The Wind (1963)
Am Anfang der Geschichte steht ein Mann, dessen Bedeutung für das amerikanische Folk-Revival nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Albert Grossman. Ende der 1950er Jahre ließ das allgemeine Interesse an Rock'n'Roll und Rockabilly, die in eine kreative Sackgasse geschlittert waren und von Skandalen gebeutelt wurden, spürbar nach. Als unbefleckte Alternative bot sich Folkmusik an, die ihrem Image von kommerziellem Desinteresse, Aufrichtigkeit und Natürlichkeit damals durchaus noch gerecht wurde. Grossman, aus gebildetem und kulturell interessiertem Elternhaus stammend und mit einem Abschluß in Wirtschaftswissenschaften versehen, erkannte das enorme Potential, das in einigen der Protagonisten schlummerte, sehr früh. Bereits 1956 eröffnete er in seiner Heimatstadt Chicago das Gate of Horn, einen Folkclub, in dem Odetta, Roger McGuinn und Bob Gibson ihre Karrieren begannen. Bald übernahm er auch das Management der erfolgversprechendsten Künstler. 1959 hob er dann gemeinsam mit George Wein das Newport Folk Festival als Ableger des etablierten Jazz Festivals aus der Taufe. Jazz hatte immer einen zu elitären Anspruch, um wirklich ein Massenphänomen zu werden. Mit Folk hoffte man, ein wesentlich größeres Publikum zu erreichen. Und für ein paar Jahre ging diese Rechnung auch auf. Im ersten Jahr des Festivals gelang der „barfüßigen Madonna“ Joan Baez der Durchbruch. Allerdings widerstand sie den Avancen Grossmans, der ihr wohl zu aggressiv und undurchsichtig war, sie als Manager zu vertreten. Bereits ein Jahr zuvor begann der Stern einer weiteren Folk-Institution zu erstrahlen. Von 1958 bis 1960 erklommen fünf Alben des Kingston Trios die Spitze der amerikanischen LP-Charts. Mit ihrem polierten College-Folk tauschten sie zwar die Authentizität der Weavers gegen clever kalkulierten Hitparaden-Erfolg ein, machten aber deutlich, was in kommerzieller Hinsicht möglich war. Grossman, der in der nach wie vor von viel Idealismus geprägten Szene wie der Hecht im Karpfenteich agierte, reagierte sofort, wenn auch nicht überstürzt. Mehr als ein Jahr dauerte seine Suche nach Mitgliedern für ein weiteres Trio, das jedoch als Sahnehäubchen eine Sängerin, am liebsten eine zweite Baez, aufbieten sollte. Diverse Künstler gerieten kurzzeitig in seinen Fokus, von denen Bob Gibson, Dave Van Ronk und Carolyn Hester die prominentesten waren. Über ein paar Demo-Aufnahmen kam jedoch niemand hinaus.
Im New Yorker Greenwich Village, wo Grossman unter anderem in Gerde's Folk City über einen eigenen Tisch verfügte, von dem aus er die Bühne im Blick hatte, wurde er schließlich fündig. Zuerst fiel die Wahl auf Peter Yarrow. Noel „Paul“ Stookey und Mary Travers folgten kurz darauf. Alle drei waren in der Szene nicht völlig unbekannt (Travers hatte mit den Song Swappers sogar auf mehreren Platten von Pete Seeger mitgesungen), aber es waren Augen und Ohren, Phantasie und Geschäftssinn Albert Grossmans, die sie zusammenbrachten. Zum Proben schickte er seine Schützlinge nach Boston und Miami um sie anschließend im Bitter End, einem der angesagtesten Clubs im Village, dem begeisterten Publikum zu präsentieren. Die Rädchen begannen nun, ineinander zu greifen. Anfang 1962 ging es für die Aufnahmen zum ersten Album, das im Mai erschien, ins Studio. Die erste Single, „Lemon Tree“ , schaffte den Sprung auf Platz 35, während der Nachfolger, Pete Seegers „If I Had A Hammer“, sogar in die Top-Ten Einzug hielt und mit zwei Grammys dekoriert wurde. Im Oktober 1962 blockierte dann die LP gleich für mehrere Wochen die Spitze der Charts. „(Moving)“, der zweite Longplayer, kam im Januar 1963 in die Läden und kletterte bis auf den zweiten Platz. Die ersten beiden Singles konnten den Erfolg ihrer Vorgänger nicht wiederholen, aber „Puff (The Magic Dragon)“, ein Kinderlied aus der Feder Peter Yarrows und seines Studienfreundes Leonard Lipton, sprang danach auf einen sensationellen zweiten Rang.
Als im November 1963 „In The Wind“ praktisch aus dem Stand das Debütalbum des Trios, das sich nochmals für eine Woche an die Spitze der LP-Charts verirrt hatte, von dieser verdrängte, befanden sich plötzlich alle drei LPs der Gruppe in den Top-6 der amerikanischen Hitparade, ein einmaliger Vorgang für einen Folk-Act.
Doch wie ließ sich das erklären? Neben der nötigen Portion Glück (die rechte Zeit, der rechte Ort... Sie wissen schon) war es eine Welle der Sympathie, die den Dreien entgegenschlug. Frei von jeglichen Skandalen oder Skandälchen, mit einem ausgeprägten Gespür für die passenden Songs und das entsprechende Gewand und mit einem Manager im Rücken, der nicht nur unablässig Auftritte organisierte, sondern auch über genügend Einfluß verfügte, die Singles im Radio rauf und runter spielen zu lassen, gelang die Eroberung Amerikas praktisch im Handstreich. Bereits Anfang 1964 geriet diese Position durch unerhörte Klänge aus England zwar ins Wanken, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Jung, adrett, mit guten Manieren; auf den ersten Blick konnte man zwei Bankangestellte erkennen, die mit der Sekretärin des Chefs ein paar Liedchen für die Weihnachtsfeier eingeübt hatten. Doch zum Glück trog diese flüchtige Einschätzung, denn offensichtlich liebten diese Leute ihren Job, und man war geneigt, zu glauben, was sie von sich gaben.
Wie schon bei den beiden Vorgängern fungierte Albert Grossman auch bei „In The Wind“ als Produzent. Und auch hier legte er die musikalische Verantwortung in die Hände eines Fachmanns: Milton Okun. Der arbeitete außerdem noch mit zwei anderen populären Folk-Gruppen, dem Chad Mitchell Trio und den Brothers Four, zusammen.
Das bewährte Konzept aus eigenen Songs, neu arrangierten Traditionals und Stücken von „Übervätern“ wie Woody Guthrie oder Pete Seeger wurde auch diesmal beibehalten. Musikalisch setzte Milt Okun ganz auf die harmonische Verschmelzung der drei Stimmen vor sparsamer und nachvollziehbarer Gitarrenbegleitung. Man begegnet Neuinterpretationen von schon damals sehr populären Liedern wie den Spirituals „Tell It On The Mountain“ und „All My Trials“, dem irischen „Polly Von“ (das häufig als „Polly Vaughn“ oder auch „Molly Vaughan“ kursierte), „Stewball“, einem englischen Stück über ein berühmtes Rennpferd, das Wein statt Wasser trank (und mich an den Gaul aus „Cat Ballou“ erinnert), Elizabeth Cottons „Freight Train“ und dem berührenden, wunderschönen Wiegenlied „Hush-A-Bye“ („All The Pretty Little Horses“). Was das Album jedoch auf eine ganz neue Ebene hebt, ist die Berücksichtigung von drei Songs eines damals noch wenig bekannten, jungen Songwriters. Als Insider der Folk-Szene mußte man schon mit anhaltender Taubheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen, daß in Person von Bob Dylan etwas ganz Besonderes, Aufregendes, Modernes und dennoch der Tradition Verbundenes auf den Plan getreten war. Da schien es nur logisch, daß Peter, Paul & Mary, die ihn auch persönlich kannten, seinen Stücken ihre Aufmerksamkeit schenkten. Es gab jedoch noch einen weiteren, nicht zu vernachlässigenden Grund. Seit dem 20. August 1962 war Albert Grossman auch Dylans Manager.
„The Freewheelin' Bob Dylan“ erschien zwar erst am 27. Mai 1963, aber „Blowin' In The Wind“, „Don't Think Twice, It's All Right“ und „Quit Your Lowdown Ways“, das es letztendlich nicht auf Dylans zweite LP schaffte, waren allesamt 1962 schon aufgenommen und auch von ihrem Schöpfer schon vor Publikum präsentiert worden. Milt Okun und seine Schützlinge waren also mit dem Material bestens vertraut, Grossman natürlich sowieso. Es scheint auch erwiesen, daß Dylan zumindest bei einigen Aufnahmen des Trios im Studio weilte. Ein wunderbares Foto Barry Feinsteins (einer der späteren Ehemänner von Mary Travers) zeigt Bob und Mary bei einem freundschaftlichen (?) Kuß und entstand wohl während eines solchen Besuches.
Ein Dylan-Song sticht aus dem Dreigestirn (und aus „In The Wind“) noch weit heraus: „Blowin' In The Wind“. Schon im April 1962 hatte Bob Dylan das Lied in Gerde's Folk City präsentiert, im Mai dann gab es die Live-Premiere in einer Radiosendung. Am 9. Juli folgte die Plattenaufnahme im Columbia Studio A in New York. Zu diesem Zeitpunkt stand Dylan noch beim Musikverlag Leeds Music unter Vertrag. Sein Produzent John Hammond hatte den Deal vermittelt. Grossman aber hatte andere Pläne. Einer seiner engsten Mitarbeiter, der mit allen Wassern gewaschene Artie Mogull, arbeitete für den Verlag M.Witmark & Sons und brachte es irgendwie fertig, Dylan aus dem Leeds-Vertrag herauszuboxen und drei Jahre für Witmark zu verpflichten. Die Unterschrift vom 13. Juli 1962 war kaum getrocknet, da ließ sich Grossman in seinem Managementkontrakt 50% der Einnahmen aus dem Verlagswesen zusichern. Konkret hieß das, daß von jedem Dollar, den Dylan einstrich, wenn ein anderer Künstler einen seiner Songs veröffentlichte, die Hälfte an den Manager ging. Wenn der jetzt also dafür sorgte, daß Peter, Paul & Mary (oder auch Odetta, ein weiterer seiner Schützlinge) Lieder seines neuen Goldesels einspielten (dabei war es unerheblich, ob der sie überhaupt jemals selbst aufgenommen hatte), verdiente er gleich doppelt daran. Und auch Milt Okun erwies sich als wertvolles Glied in der Kette. 1964 und 1965 veröffentlichten die Brothers Four unter seiner Regie recht erfolgreich fünf Coverversionen von Dylan-Songs auf Singles, LPs und EPs. Schon im Sommer 1962 wurde dem Chad Michell Trio eine Aufnahme von „Blowin' In The Wind“ vorgespielt. Die Herren waren begeistert, nahmen die Nummer sofort in ihr Live-Repertoire auf und scheiterten vorerst am Veto ihrer Plattenfirma, der der Text politisch zu riskant erschien. Gegen Ende des Jahres brachten sie ihn aber trotzdem auf der LP „In Action“ unter. Der ausgekoppelten Single blieb jedoch der Erfolg versagt. Anders der von Peter, Paul & Mary, die am 18. Juni 1963 erschien und in den ersten acht Geschäftstagen 320.000 Stück verkaufte. Das reichte für Platz 2 in den Charts und zwei Grammys obendrauf. Zwei, aus heutiger Sicht historische Auftritte befeuerten die Popularität des Songs noch weiter. Am 26. Juli sangen ihn Dylan, Peter, Paul & Mary, Joan Baez, Pete Seeger, Theodore Bikel und die Freedom Singers gemeinsam beim Finale des Newport Folk Festivals. Und einen Monat später war das Lied der Höhepunkt von Peter, Paul & Marys Auftritt beim March on Washington (wobei der Wind effektvoll mit Marys Haar spielte). Auch Dylan war an jenem Tag in Washington dabei. Und auch er sang „Blowin' In The Wind“. Leider ist es aber das einzige Stück seines kurzen Sets (4 Songs), von dem keine Aufnahme überliefert ist. Nur wenige Tage vorher hatte Columbia Records die Originalversion des Songs als Single veröffentlicht (B-Seite: „Don't Think Twice, It's All Right“). Sie verpuffte zwar, aber der Siegeszug war nun nicht mehr aufzuhalten. Durch die tatkräftige Schützenhilfe von „In The Wind“ (auch die zweite Singleauskopplung, „Don't Think Twice“, enterte die Top-Ten) gelangte „The Freewheelin' Bob Dylan“ nach einigen Startschwierigkeiten in den USA bis auf Rang 22.
„In The Wind“ wurde von Warner Brothers im November 1963 veröffentlicht und provozierte erneut die kritischen Stimmen aus dem Lager der Traditionalisten. Die üblichen Vorwürfe reichten von Verrat an den Idealen der Folkmusik über Ausverkauf und Kommerzalisierung bis hin zu einer verwässerten und blankpolierten Darbietung. Natürlich spielte das Album eine Menge Geld ein, und wenn Sie auf Ecken und Kanten stehen, sind Sie hier wirklich an der falschen Adresse. Auf der Habenseite stehen jedoch die exquisite Songauswahl, sparsame wie großartige Arrangements und die perfekte Harmonie dreier Stimmen, die bis heute ihresgleichen sucht. Man kann das „Mainstream“ nennen, für mich ist es einfach nur spektakulär.
Hinzu kam noch, daß das Trio, dessen Mitglieder ja aus der traditionell weit links einzuordnenden städtischen Folk-Szene stammten, sich vom Erfolg nicht korrumpieren ließ, sondern mit wachsender Popularität noch häufiger und deutlicher Stellung bezog und für die Bürgerrechtsbewegung jener Zeit zu einem wichtigen Sprachrohr wurde.
Noch ein Wort zu Albert Grossman, der für die Gralshüter des Guten und Wahren die Reizfigur schlechthin war. Bei aller geschäftstüchtigen Abgebrühtheit sorgte er doch dafür, daß seine Klienten ihr mehr als befriedigendes Auskommen hatten. Dafür hat man ja einen Manager. Und er hielt seinen Leuten bedingungslos den Rücken frei und mischte sich fast nie in künstlerische Belange ein. Wir erinnern uns, daß es Dylans Plattenfirma war, die aus Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen den „Talkin' John Birch Society Blues“ von „Freewheelin'“ strich, nicht sein Manager. Im Juli 1970 trennte sich Bob Dylan dann von Grossman. Er hatte genug gelernt.
Auf dem Coverfoto von „In The Wind“ (ebenfalls Barry Feinstein) kommen dem Betrachter Paul und Peter entgegen, rechts und links die Gitarren, Mary in der Mitte untergehakt. Es ist windstill. Ein Schnappschuß vom Auftritt in Washington hätte den Albumtitel wohl besser illustriert. Auf der Rückseite finden sich neben drei weiteren Fotos die liner notes. Sie stammen von Dylan höchstpersönlich, der damals durchaus noch für derartige Gefälligkeiten zu haben war und diesen Freundschaftsdienst in jenem Jahr bereits für die New World Singers und Joan Baez geleistet hatte.
Was Milt Okun und sein Toningenieur Bill Schwartau da vor über 50 Jahren im Studio eingefangen haben, ist schlicht große Kunst: die Herren rechts bzw. links, Marys meist etwas jenseitig wirkende Altstimme, die, wie von Grossman vorausgeplant, die eigentliche Faszination des Trios ausmacht, in der Mitte platziert. Zusammengehalten wird alles vom sehr zurückhaltend agierenden Edgar O. DeHaas am Bass. Nun mag es weit einfacher sein, drei akustische Instrumente und ebenso viele Stimmen angemessen zu präsentieren, als zum Beispiel ein Symphonieorchester oder eine experimentierfreudige Prog-Rock-Band. Aber wenn das so ein Kinderspiel ist, wieso bekommt man dann Platten wie diese so selten zu hören? Denke ich an vergleichbare Produktionen wie die schon erwähnte LP „In Action“ vom Chad Mitchell Trio oder „Sunny Side!“ des Kingston Trios (ebenfalls 1963), scheint „In The Wind“ von einem anderen, einem helleren Stern zu kommen. Die damals übliche und recht kompromisslose Kanaltrennung mag nicht jedermanns Sache sein, verschafft aber in unserem Fall dem Zuhörer im Vergleich zur Mono-Ausgabe einen wesentlich authentischeren Überblick über das Geschehen. Man wähnt sich mitten im Publikum, zumindest bei der originalen US-Pressung (Warner Bros. WS 1507). Ende letzten Jahres legte die Original Recordings Group aus Hollywood eine Neuauflage vor, die von keinem Geringeren als Bernie Grundman remastert wurde und auf vier Plattenseiten mit 45 RPM daherkommt. Gepresst wurde bei RTI. 180 Gramm waren da schon selbstverständlich. Lohnte der ganze Aufwand? Sehen Sie sich doch einfach meine Wertung an. Hier sitzen Sie wirklich mal in der ersten Reihe! Und Sie werden nicht glauben, was für wunderbare Details sich auf einer kleinen Folk-Platte entdecken lassen! Doch auch dieses grandiose Vergnügen hat einen Haken: den exorbitanten Preis. Das muß dann jeder mit sich selbst (oder derjenigen, die die Haushaltskasse verwaltet) ausmachen. Als ich neulich die Platte mit jemandem anhörte, der schon aufgrund seines Alters frei von nostalgischen Gefühlen gegenüber dieser Musik ist, fiel die kluge Bemerkung, daß man sein Geld auch für weitaus sinnlosere und vergänglichere Dinge ausgeben könne. Dem ist nichts hinzuzufügen.
In der Bildergalerie nutze ich die Vorteile einer eigenen Website und präsentiere noch einige passende Singles und EPs aus meiner Sammlung (alle in Mono). Ich hoffe, daß die allemal interessanter sind, als 241 verschiedene Arten von Tabakasche...
Musik: 8,0
Klang: 8,5 (USA, 1963)
Klang: 10 (USA, 2013)
Ronald Born, August 2014