Judy Collins – Judy Collins' Fifth Album (1965)
„I am yours. You are mine. You are what you are. You make it hard.“. Dies ist die Kernaussage von „Suite: Judy Blue Eyes“ von Crosby, Stills & Nashs Debütalbum. Stephen Stills schreibt sich in diesem Song den Frust über die Trennung von seiner Geliebten von der Seele. Ihr Name: Judy Collins. In einem späteren Interview äußerte er sich zum Grund für den Bruch ihrer Beziehung: „ … we were both too large for one house.“. 1969, als das Stück entstand, befand sich Judy Collins auf dem Gipfel sowohl ihrer Popularität, als auch kommerziellen Erfolges. Ihr Album „Wildflowers“ hatte in den USA Platz 5 der Charts und Gold-Status erreicht. Die ausgekoppelte Single „Both Sides Now“ kam in die Top-Ten und brachte Judy einen Grammy für die „Best Folk Performance“. Da Stephen Stills auch nicht gerade als zurückhaltender Typ bekannt war, und seine neue Band sich eben anschickte, aus dem Stand zur „Supergroup“ zu avancieren, konnte es schon mal etwas eng werden. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg.
Im Alter von 13 Jahren gab Judy Collins ihr Konzert-Debüt – als Pianistin - mit dem Denver Symphony Orchestra. Unter dem Einfluß des aufkommenden Folk-Revival kehrte sie der Klassik in den folgenden Jahren jedoch den Rücken und griff zur Gitarre. Über Chicago landete sie Anfang der 1960er fast zwangsläufig in den Clubs des New Yorker Greenwich Village, wo sie ein gewisser Jac Holzman hörte und für sein junges Label Elektra unter Vertrag nahm. Das hatte er 1950 gemeinsam mit Paul Rickolt und einem Startkapital von 600 Dollar aus der Taufe gehoben. Die (für Amerikaner) ungewöhnliche Schreibweise erklärte er einmal damit, daß er das „K“ verwendete, das seinem Vornamen abhanden gekommen war. Mehr oder weniger von Beginn an war Elektra auf Folkmusik spezialisiert. 1956 erschienen die ersten Platten von Josh White und Theodore Bikel, und erst ab Mitte der 60er trug man mit der Verpflichtung der Paul Butterfield Blues Band, von Love, MC5 und den Doors den dramatischen Veränderungen in der Musiklandschaft Rechnung.
Als 1961 und 1962 die ersten beiden LPs von Judy Collins erschienen, fanden sich darauf fast ausschließlich traditionelle Stücke wie „Wild Mountain Thyme“, „The Rising Of The Moon“ oder „Lark In The Morning“ in genretypischer Begleitung mit Gitarre, Bass und gelegentlichen Banjo-Klängen. Das Repertoire änderte sich 1963 auf „Judy Collins #3“ jedoch radikal. Hier finden sich Stücke von Woody Guthrie und Ewan McColl sowie „Turn! Turn! Turn!“ von Pete Seeger, der zu dieser Zeit auf der „Schwarzen Liste“ stand und von Rundfunk und Fernsehen boykottiert wurde. Und mit „Farewell“ (siehe auch The Hillmen) und „Masters Of War“ begann eine lang anhaltende Liaison mit den Songs von Bob Dylan.
Diese Tendenz setzte sich dann im folgenden Jahr auf dem, in der New Yorker Town Hall aufgenommenen, „The Judy Collins Concert“ fort. Zum erlauchten Kreis der von ihr ausgewählten Songwriter zählten nun auch Billy Edd Wheeler, John Phillips, Fred Neil und Tom Paxton. Mit einer einzigen Ausnahme hatte sie keines der Stücke dieser Live-Platte vorher schon einmal aufgenommen! Sie selbst begann erst einige Jahre später, eigene Lieder zu schreiben.
„Fifth Album“ sollte ihre letzte Platte werden, die auch für Puristen als reines Folk-Album durchgehen konnte. Als sie im August 1965 erschien, hatten Dylans „Bringing It All Back Home“ und „Mr. Tambourine Man“ der Byrds bereits ihren Siegeszug angetreten. Ihr Einfluß wurde jedoch erst 1966 auf Judys sechstem Album „In My Life“ spürbar. 2010 veröffentlichte Collector's Choice eine ganze Reihe ihrer LPs in digital remasterter Form auf CD. Man spendierte dabei jeder neue liner notes. Die für „Fifth Album“ besorgte Richie Unterberger gewohnt informativ wie unterhaltsam. Ich könnte Sie jetzt einfach darauf verweisen und zu den Vergleichen übergehen. Aber ein paar Ergänzungen fallen mir dann doch noch ein. Außerdem ist es nun wirklich nicht mein Anliegen, Sie zum CD-Kauf zu animieren! Einige der von Unterberger erzählten Anekdoten sind allerdings zu gut, als daß ich sie Ihnen hier vorenthalten mag.
Die Platte beginnt mit Richard Farinas „Pack Up Your Sorrows“. Der war ein sehr enger Freund von Judy Collins, und eines seiner Gedichte ziert die Coverrückseite von „Fifth Album“. Sein unglücklicher Tod im April 1966 war logischerweise ein schmerzlicher Verlust und trug nicht gerade dazu bei, ihre diversen gesundheitlichen Probleme, von Drogen- und Alkoholsucht über Depressionen bis hin zu Bulimie, mit denen sie bis weit in die 70er Jahre zu kämpfen hatte, zu mildern. Als Co-Autorin des Songs, den Farina auf einem Dulcimer begleitet, wird Pauline Marden, eine Schwester von Joan Baez, genannt. Richards Frau Mimi, eine weitere Schwester der Folk-Queen, taucht dann 1976 als Co-Autorin des Titelsongs von Collins' LP „Bread & Roses“ auf.
„The Coming Of The Roads“ stammt von Billy Edd Wheeler, den sie ja bereits im Vorjahr für sich entdeckt hatte. Sie war eine der Ersten, die dessen Songs einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machten, wenn auch nicht mit dem durchschlagenden Erfolg, der zwei Jahre später June Carter und Johnny Cash mit Wheelers „Jackson“ beschieden sein sollte.
Ihre feine Nase für herausragendes Material wenig bekannter Künstler sollte schon ein Jahr später Leonard Cohen, dessen „Suzanne“ und „Dress Rehearsal Rag“ sie für „In My Life“ aufnahm, erstmals ins Rampenlicht befördern.
Das dritte Stück, „So Early In The Spring“, ist ein Traditional alter Schule mit Eric Weissberg an der Gitarre. Der hatte Collins zu Beginn des Jahres bereits mit seiner Band The Tarriers auf einer Tournee durch Polen (!) und die Sowjetunion (!!) begleitet. Später sollte er unter anderem noch an Dylans „Blood On The Tracks“ mitwirken und sich mit „Dueling Banjos“ unsterblich machen.
„Tomorrow Is A Long Time“ ist dann das erste von drei Stücken Bob Dylans. Zu jener Zeit existierte noch keine offizielle Aufnahme des Songs von ihm selbst, aber zum Beispiel von Ian & Sylvia. Elvis folgte 1966. Am Bass wird Judy hier von Bill Lee begleitet, der diesen Job Anfang des Jahres auch schon für Dylans eigene Version von „It's All Over Now, Baby Blue“ übernommen hatte. Lee, Vater des Regisseurs Spike Lee, war in jenen Jahren ein viel beschäftigter Musiker und häufiger Gast auf Platten und Tourneen von Harry Belafonte, Odetta, Tom Rush, Carolyn Hester oder Tom Paxton. Auch auf Judy Collins' Debüt hatte er bereits mitgewirkt.
Auch „Mama You've Been On My Mind“ gehörte zu den damals noch unveröffentlichten Werken des neuen Helden der Folk-Bewegung, der allerdings längst schon wieder zu neuen Ufern aufgebrochen war. Joan Baez' Version des Stückes, in dem sie natürlich ebenfalls „Daddy“ statt „Mama“ singt, sollte erst im November (auf „Farewell Angelina“) folgen. Neben Bill Lee ist hier auch noch Danny Kalb zu hören, von dem sich Judy Collins gerade ihr Gitarrenspiel etwas aufmöbeln ließ.
Der letzte Song der ersten Seite, und für mich ihr Höhepunkt, war bei Erscheinen des Albums noch genauso unbekannt wie sein Schöpfer. Al Kooper, der Gitarrist, der auf „Like A Rolling Stone“ die Hammond-Orgel spielte, gab dem jungen Eric Andersen den Tip, daß Judy Collins noch Songs für ihr neues Album suche. Also schleppte Kooper ihn zu Judys Haus, wo Andersen zuerst bat, das Badezimmer aufsuchen zu dürfen. Dort schrieb er dann „Thirsty Boots“ auf einem Streichholzbriefchen zu Ende, spielte es anschließend vor, und Collins entschloß sich, es gleich am nächsten Tag aufzunehmen. Es ist das erste Stück der Platte, das deutliche Bezüge zur aktuellen Bürgerrechtsbewegung aufweist, dankenswerterweise gekonnt poetisch verarbeitet und unter Verzicht auf den Holzhammer. John Sebastian gibt hier eines seiner unzähligen Gastspiele mit der Mundharmonika.
In den folgenden Jahren nahmen diverse Künstler, vom Kingston Trio bis John Denver, das Lied in ihr Programm auf. Und 1970 nahm sich dann auch Bob Dylan die Nummer seines einstigen Kumpels für „Self Portrait“ vor. Nur fand sie am Ende nicht den Weg auf eine seiner umstrittensten Platten. Erst im April 2013 wurde „Thirsty Boots“ als Vorabsingle für „The Bootleg Series Vol. 10“ veröffentlicht und endlich auch außerhalb kleiner Sammlerkreise und vor allem legal zugänglich. Die Pionierarbeit hatte jedoch auch hier wieder Judy Collins geleistet.
Den Auftakt zur zweiten Seite bildet „Mr. Tambourine Man“, das ja bereits von den oben erwähnten LPs von Dylan sowie der Byrds her bekannt war. Jedoch lernte es Judy Collins vom Autor persönlich kennen. Im Schlepptau des Musikjournalisten Al Aronowitz besuchte sie an einem Wochenende das Haus von Dylans Manager Albert Grossman. Dylan selbst war, zusammen mit Sara, ebenfalls anwesend, wie auch Grossmans Frau Sally, die auf dem Cover von „Bringing It All Back Home“ ja im roten Kleid posierte. Als Judy zu Bett gegangen war, hörte sie einen Song, immer und immer wieder. Bob Dylan saß im Keller und spielte „Mr. Tambourine Man“. Im Gegensatz zu den Byrds singt Judy Collins alle Strophen des Liedes, wieder begleitet von Bill Lee. Als 1969 der Collins-Sampler „Recollections“ herausgegeben wurde, entschied man sich bei Elektra, „Turn! Turn! Turn!“ nochmals als Single an den Start zu bringen. Für die B-Seite wählte man „Mr. Tambourine Man“ aus. Die identische Kombination findet sich übrigens auch auf diversen Single-Reissues der Byrds.
„Lord Gregory“ entstammt der berühmten Sammlung „English And Scottish Popular Ballads“ von Francis James Child aus dem 19. Jahrhundert. Collins kannte es möglicherweise vom Album „Folk Roots, New Routes“, das Shirley Collins (nicht verwandt) und Davy Graham 1964 eingespielt hatten. Shirley trägt darauf „Lord Gregory“ völlig unbegleitet vor. Und auch ihre Namensvetterin entschied sich für diese sehr traditionelle Variante, nur nicht ganz so konsequent. Ein gewisser Bob Sylvester steuerte dann doch noch ein sehr gefühlvolles Cello bei.
Im Februar 1965 erschien, ebenfalls bei Elektra, „I Ain't Marching Anymore“, das zweite Album des Songwriters Phil Ochs. „In The Heat Of The Summer“ stammt von dieser Platte, die auch noch weitaus deutlichere „Protestsongs“ zu bieten gehabt hätte. Aber Judy Collins entschied sich für ein subtiles Stück, das die aktuellen Rassenunruhen in zahlreichen Städten des Landes zwar thematisiert, aber nicht beim Namen nennt, durch gelungene sprachliche Bilder jedoch dennoch eine realistische Szenerie entwirft.
Die verträumte Ballade „Early Morning Rain“ hatten vor Judy bereits Ian & Sylvia sowie Peter, Paul & Mary aufgenommen. Ihr Autor, Gordon Lightfoot, veröffentlichte das Stück erst ein Jahr später auf seiner ersten LP. Er stand übrigens ebenfalls bei Dylan-Manager Grossman unter Vertrag.
Von Gil Turner, damals eine der einflußreichsten Personen im Greenwich Village und Mitherausgeber des Broadside-Magazins, stammt die Bürgerkriegshymne „Carry It On“, hier lediglich begleitet von Richard Farinas Dulcimer.
Das Vorgängeralbum „The Judy Collins Concert“ war mit 14 Stücken (davon zwei über sechs Minuten lang) restlos vollgepackt. Und trotzdem war offensichtlich noch Material von diesem grandiosen Konzert übrig geblieben. Nur so läßt es sich erklären, daß Malvina Reynolds' „It Isn't Nice“ mit einem Jahr Verspätung hier als letztes Lied auftaucht. Die Mutter aller Bonus-Tracks?
„Judy Collins' Fifth Album“ ist eine typische Folk-Platte jener Tage. Und doch gibt es einige Punkte, die sie zu etwas Außergewöhnlichem machen. Zuerst wären da Judys schon erwähnter erlesener Geschmack und ihr Gespür für neue, außergewöhnliche Songs. Neben Eric Andersen und Leonard Cohen sollten ihr wenig später auch Joni Mitchell, Sandy Denny und Randy Newman zu Dank verpflichtet sein. Mehr noch als auf die Melodie legte sie auf den literarischen Gehalt der Texte besonderen Wert. Und es lohnte sich immer, einen von ihr aufgenommenen Song ein zweites Mal anzuhören.
Ihre musikalischen Begleiter gehörten immer zur ersten Garde der Session-Profis, und mit Mark Abramson hatte sie einen langjährigen Begleiter gefunden, der ihre Platten sowohl produzierte als ihnen auch aufnahmetechnisch den letzten Schliff gab. Und dann wäre da noch ihre markante, sehr angenehme Stimme, die zwar nicht über den verschwenderischen Umfang einer Joan Baez verfügte, aber alle Anforderungen dennoch mühelos meisterte. Lag es an ihrer einst klassischen Ausbildung, daß sie nie wie eine der zahllosen Sängerinnen aus den Folk-Clubs klang? Vielmehr hatte ihr Gesang zuweilen etwas Majestätisches mit einer erkennbaren Schwäche für das europäische Kunstlied und französisches Chanson. Beide sollten in ihrer weiteren Karriere noch eine Rolle spielen.
Besonders frühe Ausgaben von Elektra-Platten genießen einen hervorragenden Ruf. Und alle drei Exemplare vom „Fifth Album“ werden diesem auch gerecht. Da wäre zuerst die US-Ausgabe von 1965 (EKS-7300), mit 191 Gramm Gewicht ein richtiges Brett. Sie ist eine der letzten mit dem goldenen Label. Meine zweite US-Pressung hat noch dieselbe Katalognummer, jedoch schon das rote Label mit dem weißen „E“. Bis in das Jahr 1968 hinein logierte Elektra Records unter der New Yorker Adresse 51 West 51 Street, die auch häufig auf den Labels und immer auf der Rückseite der Cover abgedruckt war. Dann erfolgte der Umzug, und die neue Anschrift lautete 1855 Broadway. Nun steckt meine „rote“ Elektra, die es nur noch auf 125 Gramm bringt, noch in einem Originalcover, also auch mit der alten Anschrift, obwohl sich die neue ja schon auf dem Label findet. Das ist aber für US-Platten nichts Ungewöhnliches. So lange noch Restbestände an Hüllen vorhanden waren, wurden diese auch weiterhin verwendet. Die dritte Platte kommt aus England (EKS 7300) und ordnet sich mit 150 Gramm in der goldenen Mitte ein. Auf deren Label ist deutlich der Vermerk zu erkennen, daß sie bei Polydor hergestellt wurde. Das war allerdings erst ab 1968 der Fall, legt also die Vermutung nahe, daß es sich um eine Nachauflage handelt. Nur kam es damals nicht selten vor, daß Platten aus Übersee in Europa mit zum Teil erheblicher Verspätung veröffentlicht wurden. Vorher waren sie, wenn überhaupt, nur als teure Importe zu haben. Bewegte sich die Nachfrage jedoch in Regionen, die eine eigene Auflage sinnvoll erscheinen ließ, traten die Bänder dann doch noch den Weg über den Großen Teich an. Da auf einer 1968 in England erschienenen Zusammenstellung mit dem Titel „Fantastic Folk“ (Elektra EUK 259) neben Songs von Phil Ochs, Tom Rush, David Blue und der Incredible String Band auch „Pack Up Your Sorrows“ vom „Fifth Album“ zu finden ist, nehme ich mal an, daß die Platte wirklich erst in jenem Jahr auf der Insel herauskam.
Ihrer gleichaltrigen US-Schwester steht sie in nichts nach. Sie klingt sehr ausgewogen, hat beim angenehm warmen Bass sogar leichte Vorteil. Das Hören beider Scheiben macht einfach Spaß! Nur, gegen die Erstausgabe sehen sie dennoch alt aus. Diese strahlt eine überlegene Ruhe aus, bei gleichzeitig herausragenden dynamischen Qualitäten. Näher werden Sie Judy Collins nicht kommen!
Musik: 7,5
Klang: 9,0 (USA, 1965)
Klang: 8,0 (USA, 1968)
Klang: 8,0 (England, 1968)
Ronald Born, August 2013