Johnny Rivers – Slim Slo Slider (1970)

 

Wahrscheinlich hatten Sie sich schon gedacht, daß ich zu den Typen gehöre, die, bevor sie eine ihnen unbekannte Platte kaufen, deren Rückseite und (so vorhanden) die Innenhülle genau studieren. Wenn ich dann einen interessanten Song entdecke, und in der Besetzungsliste womöglich noch ein Name auftaucht, der für Qualität bürgt, ist meine Neugier geweckt und der Kauf meist nur noch Formsache. Dafür bin ich keiner, der stundenlang Plattenspieler oder CD-Player von Plattenläden belagert. In der Regel höre ich zumindest in LPs gar nicht rein, vorausgesetzt, sie machen optisch einen guten Eindruck. Das hebe ich mir für zu Hause auf (Vorfreude!). Auch räumt mir mein Händler vor Ort ein Umtauschrecht ein, das ich aber fast noch nie in Anspruch nehmen mußte. Denn auch wenn die Formel „Tolle Songs plus tolle Musiker gleich tolle Platte“ gelegentlich einfach nicht aufgeht, zu jeder guten Sammlung gehören auch ein paar abschreckende Beispiele! Die jetzt vorliegende Scheibe gehört aber definitiv nicht dazu! Als sie mir zum ersten Mal in die Hände fiel, und ich las, daß zwei Songs von Van Morrison und zwei von Gram Parsons drauf sind, gespielt unter anderem von James Burton, Joe Osborn und Larry Knechtel, war mir klar, daß es schon sehr dumm laufen müßte, damit sich diese Platte als Enttäuschung herausstellt. Daß mich der Sänger nicht hängen lassen würde, war eh klar.

 

Johnny Rivers begann Anfang der 60er Jahre, in kleineren Clubs eine Art Rock'n'Roll-Revival-Show aufzuführen. Im neueröffneten Whisky a Go-Go in Hollywood erregte er dann die Aufmerksamkeit von Lou Adler und Imperial Records. Die schnitten seine Auftritte mit und veröffentlichten im Februar 1964 „Johnny Rivers At The Whisky-A-Go-Go“ (Recorded Live, Very Live!). Im Herbst folgte „Here We A Go Go Again!“. Als das Konzept zu lahmen begann, sattelte Rivers um. „Rocks The Folk“ brachte 1965 eher seichte Versionen bekannter Folk-Songs. Da rockte nicht viel. Ende 1966 wandte sich dann die LP „Changes“ mit dem Nummer-1-Hit „Poor Side Of Town“ an ein eher erwachsenes Publikum. Neben Joe Osborn, der schon bei den „Whisky“-Platten mitwirkte, tauchten hier auch Schlagzeuger Hal Blaine und der Pianist Larry Knechtel auf. In dieser Zeit begann Rivers , sich auch mehr und mehr für die geschäftliche Seite des Business zu interessieren. Selbst kein begnadeter Songwriter, gründete er einen eigenen Musikverlag (Rivers Music) sowie ein Plattenlabel (Soul City Records), das hauptsächlich nach Talenten Ausschau hielt und arbeitete als Produzent für andere Künstler. Mit The 5th Dimension sollten sich auch schon bald große Erfolge einstellen.

 

Compilations nicht mitgezählt, ist „Slim Slo Slider“ Johnny Rivers' 11. Album in sieben Jahren. Und für mich ist es sein bestes. Da ich ein ausgemachter Fan von Coverversionen bin, bietet sich hier natürlich eine wahre Fundgrube. Im Gegensatz zu den Vorgänger-Alben finden sich auf diesem keine von ihm selbst verfasste Songs, dafür aber gleich fünf aus dem Bestand seines Verlages.

Das Titelstück gehörte natürlich nicht dazu. Während Van Morrison zwei Jahre zuvor sein Meisterwerk „Astral Weeks“ mit „Slim Slo Slider“ ausklingen ließ, eröffnet Rivers seine gleichnamige Platte zunächst einmal mit einer knapp einminütigen Version. Es folgt „Wrote A Song For Everyone“ von John Fogerty, das schon im Jahr zuvor auf CCRs drittem Album „Green River“ zu finden war. Im Mai 2013 veröffentlichte Fogerty dann eine, mit prominenten Gästen gespickte CD mit Neuaufnahmen seiner Klassiker, die er nach eben jenem Song benannte. Bei Johnny Rivers wird aus dem, im Original recht rustikalen und nach brackigem Wasser riechenden Stampfer eine zivilisierte Soul-Nummer, deren Bläsersätze aber gekonnt auf die sumpfigen Wurzeln verweisen. Das Slide-Solo von James Burton ist das Sahnehäubchen.

 

James Hendricks war ein enger Freund Rivers' und schrieb Songs für dessen Verlag. Begonnen hatte er in einem Folk-Trio mit Cass Elliot und Tim Rose, aus dem bald The Mugwumps hervorgehen sollten, die wiederum Geburtshelfer sowohl für The Lovin' Spoonful als auch The Mamas & the Papas waren. Bei deren Geburt war Hendricks aber nicht mehr zugegen, sondern wandelte auf weniger erfolgreichen Solopfaden. Seinen Song „Summer Rain“ jedoch machte Johnny Rivers Anfang 1968 zum Hit. Im August 1969 erreichte dann „Muddy River“, ein eingängiger Popsong ebenfalls aus seiner Feder, als Vorab-Single Platz 41 der US-Charts. Als „Slim Slo Slider“ erschien, war die nächste Nummer, Tony Joe Whites „Rainy Night In Georgia“, in der Interpretation von Brook Benton gerade zum Top-Hit avanciert. Deren Dramatik erreicht Rivers zwar nicht, das Arrangement gibt sich jedoch trotz Streichern und Background-Chor bodenständiger. Womöglich war die zeitliche Überschneidung mit Bentons Überraschungserfolg die Ursache, daß Rivers seine Version gar nicht erst auf Single herausbrachte.

Dafür dürfte das folgende Stück damals nur ausgesprochenen Insidern bekannt gewesen sein. Es stammte von Gram Parsons, der Anfang 1970 gerade die Flying Burrito Brothers verlassen hatte. „Brass Buttons“, ein verstörendes Lied über die Alkoholsucht seiner Mutter, hatte er jedoch schon Jahre vorher geschrieben. Veröffentlicht wurde es erst 1974 auf „Grievous Angel“ (ebenfalls mit James Burton an der Gitarre), vier Monate nach seinem tragischen Tod. Ebenfalls 1974 erschien ein Song auf Rivers' LP „Road“, den dieser in tiefer Trauer um Parsons verfaßt hatte: „Artists And Poets“. Die darin gestellte Frage „Now that he's gone will his songs live on?“ wurde inzwischen eindeutig beantwortet. Und Johnny Rivers trug seinen Teil dazu bei.

Die erste Seite wird mit „Glory Train“, einem weiteren Stück von James Hendricks, abgeschlossen. Diese unheilschwangere Nummer mit starken religiösen Bezügen veröffentlichte der Autor ein Jahr später selbst auf seinem Debüt (ebenso wie „Muddy River“). Einen Teil der exzellenten Musiker, die diese Stücke für Johnny Rivers einspielten, übernahm er gleich.

 

Nicht weniger religiös, aber in etwas beschwingterer Gospel-Atmosphäre, geht es auf der zweiten Seite weiter. „Jesus Is A Soul Man“ war 1969 bereits ein Hit für Lawrence Reynolds, der es gemeinsam mit Jack Cardwell geschrieben hatte. Nach Rivers versuchten sich auch Roy Clark (1972) und Conway Twitty (1973) daran.

Apple Tree“ ist dann ein weiterer obskurer Song von Gram Parsons, den dieser nie selbst veröffentlichte. Wie auch „Brass Buttons“ gehörte er zum Katalog von Rivers Music.

Schon auf Van Morrisons „Moondance“ gehörte „Into The Mystic“ zu den Höhepunkten. Und auch auf „Slim Slo Slider“ macht es eine ausgesprochen gute Figur. Man bedient sich in weiten Teilen des originalen Arrangements, inklusive Saxophon und dräuender Streicher, dem Gesang fehlt natürlich die wilde Intensität Van Morrisons, dafür kommt er ohne Manierismen aus.

 

Resurrection“ stammt von Bob Rays Album „Initiation Of A Mystic“ (1970). Der Kalifornier Ray war ein waschechter Folkie mit psychedelischem Touch. Diesen hatte er sich womöglich eingefangen, als er für Donovans „Season Of The Witch“ den Bass spielte. Ebenfalls 1966 wirkte er gemeinsam mit Joe Osborn und Larry Knechtel auf dem ersten Longplayer der Grass Roots mit. Es scheint wahrscheinlich, daß diese beiden Johnny Rivers auf die ungewöhnlichen Songs Rays aufmerksam machten. Allerdings ist „Resurrection“ hier weder ein Folksong, noch spielt es mit psychedelischen Modetrends. Sparsam begleitet, steht eine wundervolle Melodie ganz im Vordergrund, von Rivers sehr feinfühlig interpretiert.

 

Nach dem, von John Phillips von The Mamas & the Papas geschriebenen, Welthit „San Francisco“ veröffentlichte Scott McKenzie noch im selben Jahr (1967) sein erstes Soloalbum. Danach wurde es etwas ruhiger um ihn. 1970 erschien dann mit „Stained Glass Morning“ sein zweites und letztes Werk, das ausschließlich eigene Stücke enthielt. Eines davon, „1969“, das hier aber „Enemies And Friends“ heißt, pickte sich Johnny Rivers für seine Platte heraus. Neben dem Gesang ist es auch ein Verdienst der Begleitmusiker, daß die eher schlichte Nummer hier über wesentlich mehr Raffinesse verfügt, als das Original.

Das Titelstück rahmt das Album ein. Während es am Anfang nur kurz angedeutet wird, kommt es am Ende auf immerhin drei Minuten Spielzeit. Der Text beschränkt sich auf die erste Strophe (plus kleiner Hommage an „Astral Weeks“), die Musik klingt, als stamme sie aus Bob Dylans Western-Soundtrack zu „Pat Garrett & Billy The Kid“.

 

Nun spielen sicherlich nicht alle Songs der Platte in der selben Liga wie die zwei von Van Morrison. Was die Scheibe jedoch trotzdem weit über Mittelmaß hinaushebt, ist die musikalische Umsetzung. Die Arrangements hinterlassen einen sehr durchdachten Eindruck, der Einsatz von Streichern und Bläsern wirkt absolut schlüssig, niemals aufgesetzt. Und daß hier die allererste Garde US-amerikanischer Begleitmusiker versammelt war, hatte ich ja bereits angedeutet. James Burton, Ronnie Tutt und Jerry Scheff hatten eigentlich als Mitglieder von Elvis Presleys Live-Band alle Hände voll zu tun. Die anderen Herren, Hal Blaine, Larry Knechtel, Joe Osborn und Jim Horn, entstammten der sogenannten wrecking crew, einer losen Vereinigung von Studio-Profis, die damals so ziemlich alles begleitete, was an der Westküste Rang und Namen hatte. Der Pianist Knechtel zum Beispiel spielte den Bass auf „Mr. Tambourine Man“ der Byrds und das Klavier auf „Bridge Over Troubled Water“. Und Blaines Schlagzeug kann man nicht nur auf „Eve Of Destruction“, „Good Vibrations“ oder „I Got You Babe“ hören, sondern ebenfalls auf Sinatras „Strangers In The Night“. Diese illustre Schar präsentiert sich auf „Slim Slo Slider“ als homogenes Ensemble, frei von jeglichen Egotrips und auf den Punkt konzentriert.

 

Meine beiden Exemplare, eine US-Pressung (Imperial LP-16001) und eine deutsche (Liberty LBS 83 383 I), jeweils aus dem Erscheinungsjahr, wiegen ordentliche 140 bzw. 147 Gramm. Die Klappcover (angeraut bei Imperial, laminiert bei Liberty) suggerieren schon einen hochwertigen Inhalt. Und so überrascht dann auch die Klang- und Pressqualität nicht mehr wirklich. Hervorragende Raumdarstellung, einen wunderbar differenzierten Sound und die deutlich herausgestellte Stimme des Sängers haben beide zu bieten. Der deutschen Ausgabe würde ich sogar noch einen Tick mehr Dynamik attestieren. Eine runde Sache.

Mal im Vertrauen: haben Sie ein Exemplar von Cat Stevens', ebenfalls 1970 erschienener, LP „Mona Bone Jakon“ zur Hand? Dann halten Sie doch einfach mal die beiden Coverrückseiten nebeneinander...

 

Musik: 8,0

Klang: 8,5 (USA, 1970)

Klang: 8,5 (Deutschland, 1970)

 

Ronald Born, Juli 2013