John Cougar Mellencamp – The Lonesome Jubilee (1987)
Ich gebe gerne zu, daß es an Thomas Schmidt liegt, mit dem mich offensichtlich noch mehr verbindet, als die Wertschätzung für „Communiqué“, daß ich mich jetzt und hier mit dieser Platte beschäftige. Im LP-Magazin schrieb er kürzlich anläßlich der Vorstellung einer neuen Phonovorstufe von Reußenzehn, daß er mit deren Hilfe seiner geliebten „Lonesome Jubilee“ doch noch ein wenig auf die Sprünge helfen konnte. Ich hatte die Scheibe längere Zeit nicht gehört, konnte mich auch nicht an größere Probleme erinnern. Also war der nächste Schritt der zum Regal.
Aber der Reihe nach. Der deutschstämmige Mellencamp wuchs in Indiana auf, gründete mit 14 seine erste Band und versuchte Mitte der 1970er Jahre mehrfach, in der New Yorker Musikszene Fuß zu fassen. Dort geriet er schließlich an Tony DeFries (siehe David Bowie), der ihm einen Plattenvertrag mit MCA besorgte und 1976 eine erste LP produzierte. Da dem Manager „Mellencamp“ zu deutsch klang, verpasste er seinem Schützling ohne dessen Wissen den Namen Johnny Cougar. Nachdem sich das Debüt miserabel verkaufte, ließen MCA und DeFries den Künstler wieder fallen. Das kleine Label Riva Records übernahm für die nächsten sieben Alben und machte aus Johnny den Posterboy John Cougar. 1982 setzte der gegen den Willen der Plattenfirma eine rockigere Gangart durch, was ihm mit „American Fool“ und den darauf enthaltenen Top-Hits „Jack & Diane“ und „Hurts So Good“ einen Grammy und den Durchbruch brachte. Das 83er Album „Uh-Huh“ führte dann erstmals auch seinen richtigen Namen (ergänzt durch das etablierte „Cougar“) und präsentierte mit Kenny Aronoff (Drums), Mike Wanchic und seinem Schulfreund Larry Crane an den Gitarren, Keyboarder John Cascella sowie Toby Myers am Bass eine versierte und kraftstrotzende Begleitband, die ihm für die nächsten Jahre zur Seite stehen sollte. Mit diesen Jungs im Rücken war Mellencamp musikalisch endgültig in jenem Metier angekommen, das man „Heartland Rock“ nannte. Und natürlich wurden jetzt auch Parallelen zu weiteren Vertretern gezogen, vor allem zu Bob Seger, den Mellencamp selbst als Vorbild sah, und natürlich Bruce Springsteen. Schnell haftete eine so bösartige wie unpassende Bezeichnung an ihm wie Teer: der Springsteen für Arme. Schrieb der Boss etwa Songs über und für den gutsituierten Wohlstandsbürger!?
Etwa zu jener Zeit begann sich John Mellencamp, passend zu seinem gestärkten Selbstbewußtsein, auch politisch zu engagieren. 1985 rief er gemeinsam mit Willie Nelson das Hilfsprojekt „Farm Aid“ ins Leben, das bis heute mehr als 45 Millionen Dollar für um ihre Existenz kämpfende Farmer einspielte. Im gleichen Jahr erschien die LP „Scarecrow“, die in den USA und Kanada jeweils Fünffach-Platin einspielte und Mercury Records bewog, den Musiker unter Vertrag zu nehmen.
Auf der sich anschließenden Tournee reifte der Gedanke, dem nächsten Album einen bodenständigeren, akustischeren Sound zu verpassen. Im September 1986 begannen die Aufnahmesessions in Mellencamps zwei Jahre zuvor eingeweihtem eigenen Studio in Belmont, Indiana. In den folgenden neun Monaten nahm man so viele Songs auf, daß es auch für ein Doppelalbum gereicht hätte. Aber letztendlich erwiesen sich mehrere Stücke als ungeeignet für die bewußte Abkehr vom bisherigen Mainstream-Rock. Für die zehn Nummern, die ins Konzept passten, verstärkte man sich mit der noch unbekannten Geigerin Lisa Germano, die später neben einer Solokarriere auch die Beteiligung an Platten von Iggy Pop, David Bowie oder eels vorweisen konnte. Und auch die angestammten Bandmusiker verließen die ausgetretenen Pfade und griffen zu Pedal Steel, Mandoline, Akkordeon, Dobro, Banjo oder Autoharp. Springsteen saß zu jener Zeit übrigens mit Drumcomputern und Synthesizern in New Jersey, um eine (allerdings sehr gelungene) neue Platte aufzunehmen. „Back to the roots“ war für ihn noch kein Thema.
Während Mr. Bruce auf „Tunnel Of Love“ hauptsächlich erst mal Beziehungsprobleme verarbeitete, kümmerte sich „The Lonesome Jubilee“ verstärkt um die Leute „da draußen“, die vom geplatzten „amerikanischen Traum“ desillusionierte untere Mittelschicht. Das geschieht ohne jegliche Anbiederei. Mellencamp kommt sehr glaubwürdig als einer rüber, der aus eigener Erfahrung genau weiß, wovon er da singt. Das schwarz-weiße Coverfoto zeigt ihn dann auch neben einem älteren Arbeiter im Blaumann (Frühstückspause?). Auf der Rückseite ist übrigens eine wunderschöne Jukebox von Seeburg abgebildet (könnte eine 1954er 100 „R“ sein). Falls Sie sich jetzt wundern: dieser Hinweis ist personenbezogen.
Das Album erschien im August 1987 und stieg in den USA bis auf Platz 6. In Kanada gelang sogar der Sprung an die Spitze. Vier Singles wurden ausgekoppelt, wovon die ersten beiden („Paper In Fire“ und „Cherry Bomb“) jeweils die Top-Ten erreichten. Aber auch „Check It Out“ sowie „Rooty Toot Toot“ schlugen sich noch achtbar. Daß Hochkaräter wie „Down And Out In Paradise“ oder „Hard Times For An Honest Man“ gar nicht für das Gerangel um Chartplätze ausgewählt wurden, und das grandiose „We Are The People“ sein Dasein auf einer B-Seite fristen mußte, unterstreicht nur die Ausnahmestellung des Albums im Katalog Mellencamps. Hier finden sich mehr hervorragende Rocksongs, als zum Beispiel auf „Lucky Town“ und „Human Touch“ zusammen. Produziert haben das Ganze John Mellencamp und Don Gehman, der auch als Toningenieur agierte. Und sie haben eigentlich einen sehr guten Job abgeliefert. Trotz der vielen verschiedenen Instrumente, die häufig auch noch gemeinsam zum Einsatz kamen, ist kein Klangbrei entstanden, sondern ein sehr organischer, immer übersichtlicher Sound. Nur, woran liegt es, daß das alles trotz der unbändigen Kraft der Songs etwas schwach auf der Brust wirkt, diese sehr potente Scheibe quasi nicht zum Höhepunkt kommt? Es fehlen ganz einfach Bässe, denn ab den Mitten ist alles da.
Mein erstes Exemplar (eine englische Pressung, Mercury MERH 109) brachte ich vor vielen Jahren für sehr moderate drei irische Pfund aus Dublin mit. Zu diesem Preis hätte ich mir damals in einem Hostel zum Beispiel für drei Nächte ein Kopfkissen ausleihen können! Dann lieber das Haupt auf der zusammengerollten Jeansjacke gebettet und später zu Hause die Platte aufgelegt. Die ging sofort in die Beine, und meine Begeisterung verhinderte für eine ganze Weile, daß mir auffiel, daß sie weniger Staub aufwirbelte, als man ihr zugetraut hätte. Irgendwann trudelte dann ein Exemplar aus Holland ein (Mercury 832 465-1). Hier wurde das Defizit „untenrum“ noch etwas deutlicher. Und da ich es nun wissen wollte, mußte natürlich noch ein amerikanisches Original her (Mercury 832 465-1 Q-1). Das Mastering (DMM) besorgte Stephen Marcussen von Precision Laquer in Hollywood. Der hatte sein Handwerk im Studio 55 beim legendären Richard Perry gelernt. Doch auch so ein versierter Ingenieur kann nur mit dem Material arbeiten, das ihm vorgelegt wird. Da überrascht es nicht mehr, daß auch die US-Pressung im Tieftonbereich keine Bäume ausreißt. Das geringe Gewicht aller drei Scheiben (98 bis 107 Gramm) ist auch nicht gerade eine Hilfe. Da kann die remasterte MFSL-Ausgabe von 1995 immerhin auf stolze 200 Gramm verweisen. Aber bringt sie auch klanglich eine Verbesserung? Sie wird recht selten angeboten und ist ziemlich teuer (Tendenz steigend). Ich würde sie wohl nicht kaufen, ohne sie vorher schon mal gehört zu haben.
Aber lassen Sie sich jetzt nicht zu sehr von mir beeinflussen. Ich betreibe hier gerade Nörgelei auf hohem Niveau. Die Platte läßt sich, den Songs sei Dank, durchaus auch ohne neuen Phono-Preamp genießen.
Nerven Sie auch all diese unnötigen Anglizismen, die mehr und mehr unsere Sprache unterwandern? Aber leider finde ich im Deutschen kein einziges Wort, das die Musik, die man auf „The Lonesome Jubilee“ zu hören bekommt, so auf den Punkt beschreibt wie „catchy“. Von „fucking catchy“ ganz zu schweigen!
Musik: 9,0
Klang: 7,5 (USA, 1987)
Klang: 7,5 (England, 1987)
Klang: 7,0 (Holland, 1987)
Ronald Born, September 2014