Joan Baez – Diamonds & Rust (1975)
Der Oktober 1971 beschert Joan Baez den bis dahin größten kommerziellen Erfolg ihrer Karriere. Ihre Version von The Bands Südstaatenepos „The Night They Drove Old Dixie Down“ erreicht Platz 3 der US-Single-Charts und Platz 6 in England. Das muß Aufsehen in der Chefetage von A&M Records erregt haben, und Anfang des Jahres 1972 unterschrieb Joan Baez nach mehr als zehn Jahren bei Vanguard einen Plattenvertrag bei dem aufstrebenden Label aus Hollywood. War ihr erstes Album („Come From The Shadows“) für die neue Firma noch recht erfolgreich, blieb „Where Are You Now, My Son?“, auf dem sich Aufnahmen einer Bombardierung Hanois zu Weihnachten 1972 über eine ganze Plattenseite erstreckten, in den Niederungen der LP-Charts stecken. Es folgte „Gracias A La Vida“, hauptsächlich auf Spanisch gesungen und als „Botschaft der Hoffnung“ für das chilenische Volk unter Pinochet gedacht. In Lateinamerika begeistert aufgenommen, wurde Baez' Aktionismus in den USA nur noch argwöhnischer beobachtet. War es die Plattenfirma, die jetzt ihr „Recht“ auf eine mehrheitsfähige Produktion einklagte? Wie auch immer, „Diamonds & Rust“ enthält sich jedes politischen Kommentars und bringt A&M mit Platz 11 und Gold-Status endlich den erhofften kommerziellen Erfolg.
Und mit dem Titelstück beginnt die Platte ja auch sehr verheißungsvoll. In den wirklich informativen liner notes schreibt ein gewisser B.G. (ich vermute, es handelt sich um den executive producer Bernard Gelb), daß sie den Song im November 1974 schrieb. In einem Interview mit Mike Ragogna erklärte sie später, daß sie, nachdem sie mit dem Schreiben begonnen hatte, einen Anruf von Bob Dylan bekam, der ihr den gerade fertiggestellten Text von „Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts“ vorlesen wollte. Nur war dieser Song im November '74 längst im Kasten (zumindest die ursprüngliche Version). Na gut, vielleicht ging es ja um den überarbeiteten Text. Auf jeden Fall wurden bei Mrs. Baez wohl während des Gesprächs nostalgische Gefühle geweckt, und „Diamonds & Rust“ entwickelte sich in eine andere Richtung, als eigentlich vorgesehen. Fakt ist, es geht um Dylan, und Fakt ist auch, daß es ihr bester selbst geschriebener Song ist! Hören Sie sich bei Gelegenheit mal die Version von Judas Priest („Sin After Sin“, 1977) an. Auch die von Blackmores Night ist im Rahmen der Möglichkeiten annehmbar, aber beiden fehlt natürlich der direkte persönliche Bezug, der beim Hören des Originals erst richtig für Gänsehaut sorgt. Besser wird es leider nicht mehr. Dabei hatte sich Joan Baez so viel vorgenommen und auch ein paar alte Zöpfe abgeschnitten. Als Kontrollfreak bekannt, gab sie den beteiligten Musikern ausdrücklich freie Hand bei der Umsetzung eigener musikalischer Vorstellungen. Keine schlechte Idee bei Hochkarätern wie den legendären Session-Gitarristen Dean Parks und Larry Carlton, den Crusaders Joe Sample und Wilton Felder, Red Rhodes an der Pedal-Steel oder dem Pianisten Larry Knechtel, der schon Elvis, den Doors und den Beach Boys unter die Arme gegriffen hatte. Den Rhythmus gab Drummer Jim Gordon vor, dessen Session-Diskografie sich wie ein Rock-Lexikon liest. Nur leider kamen auch zu gefällig arrangierte Streicher und Synthesizer zum Einsatz, so daß all die grandiosen Musiker letztendlich nur ihren Beitrag zu einer perfekten Klangtapete leisteten. Zur Erinnerung: die Aufnahmen fanden im Januar 1975 statt. Für mich klingt die Platte, als wäre sie eine Dekade später eingespielt worden. Und das ist ganz bestimmt kein Kompliment.
Weiter geht es mit Jackson Brownes „Fountain Of Sorrow“, dem besten Song seines, im Jahr zuvor erschienen Albums „Late For The Sky“. Das Stück nimmt den Schwung der Vorlage auf, die Begleitung ist gediegen, wo David Lindley noch beim Original für Bodenhaftung sorgte. Mit Stevie Wonders Ballade „Never Dreamed You'd Leave In Summer“ konnte nicht viel schief gehen. Joan Baez singt wie immer makellos, das Arrangement ist sehr geschmackvoll und die Melodie sowieso großartig. Die nächste Eigenkomposition ist „Children And All That Jazz“. Sie beginnt, als hätte die Autorin etwas zu viel Joni Mitchell gehört. Gerettet wird die Nummer von einem ambitionierten Jazz-Piano.
Mitten in die Aufnahmesessions platzte am 19. Januar 1975 das neue Dylan-Werk „Blood On The Tracks“. Joan Baez war dem Vernehmen nach begeistert und griff sich gleich „Simple Twist of Fate“. Das dürfte somit auch die erste Coverversion des Stückes sein. Diese kommt betont rockig daher und platziert sich auf Anhieb im Vorderfeld der vielen Dylan-Adaptionen von dessen ehemaliger Freundin und Wegbereiterin. In der vierten Strophe imitiert Baez dann Dylans Gesang, was sie bis heute gelegentlich noch auf der Bühne tut. Man kann das vielleicht einmal witzig finden, danach ist es nur noch dämlich. Wenn heute vom großen Einfluß von „Blood On The Tracks“ auf ganze Künstlergenerationen die Rede ist, darf nicht unerwähnt bleiben, daß es leider für den Fortgang der Sessions für „Diamonds & Rust“ keinerlei Bedeutung zu haben schien.
Seite 2 startet mit einer Überraschung. Wer hätte damals schon ein Stück der Allman Brothers auf einer Joan-Baez-LP erwartet? „Blue Sky“ (im Original auf „Eat A Peach“, 1972) wurde die erste Single-Auskopplung (Nr. 57 in den USA). Das Stück bleibt klischeehaft, auch wenn es versucht, ordentlich zu rocken. Oder gerade deshalb.
„Hello In There“ von John Prines Debütalbum nehme ich hier mal aus der Wertung. Es ist kein schlechter Versuch, aber wenn man sich anhört, was Natalie Merchant im Duett mit Michael Stipe 1990 in Glasgow daraus gemacht hat (Billy Bragg begleitete an der Gitarre und brauchte mal wieder nur ein paar schlichte Akkorde), spürt man schnell, was hier fehlt: Glaubwürdigkeit. Und man merkt Merchant und Stipe in jeder Sekunde an, daß sie diesen Song wirklich lieben, während Joan Baez sich diesbezüglich zumindest mal nicht in die Karten schauen läßt. Da dieser Vergleich mit einem Trio, das scheinbar nach meinen geheimsten Wünschen zusammengestellt wurde, etwas unfair ist, gehe ich nahtlos zum nächsten Song, „Jesse“ von Janis Ian, über. Anrührend singen kann sie ja, und steht damit dem Original und auch der Version von Roberta Flack in nichts nach. Das „Synthesized Horn Solo“ am Schluß entschuldige ich mal mit „Zeitgeist“, obwohl es eigentlich nicht zu entschuldigen ist. Aber es stimmt schon mal auf das ein, was jetzt kommt: „Winds Of The Old Days“. Es ist nicht ihr erster Song, der sich mit Bob Dylan auseinandersetzt und auch nicht ihr letzter. Aber leider ihr schlechtester. Als sie im Dezember 1973 während einer Australien-Tour las, daß Dylan die erste Tournee seit 1966 plant, war ihr klar, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis die Reporter sie wieder mit den immer gleichen Fragen nerven würden. Als vorweggenommene Antwort schrieb sie daraufhin dieses Lied. Dabei liest sich der Text auf dem Papier noch ganz annehmbar, und der Dylanologe freut sich über die Zeile „Ghost of Johanna will visit you there“. Nur musikalisch ist dieser äußerst simple Walzer eher eine Zumutung. Ist das wirklich dieselbe Künstlerin, die „Diamonds & Rust“ oder von mir aus auch „To Bobby“ (auf „Come From The Shadows“) geschrieben hat?
Das folgende „Dida“ kannte man in einer anderen Aufnahme schon von „Gracias A La Vida“. Joni Mitchell, deren Band hier die Begleitung übernahm, singt im Background in der Art, wie sie es später auch bei Neil Youngs „Helpless“ tat (zu hören und zu sehen auf „The Last Waltz“). Ich würde das gerne eine Jazz-Fingerübung nennen, aber es klingt eher nach Tanzorchester.
Dafür ist der Abschluss mehr als versöhnlich. Da überspringt die Baez den nominell größten Stolperstein mit Leichtigkeit. Das schon unendliche Male totgesungene „Danny Boy“ (hier im Medley mit Stephen Fosters „I Dream Of Jeannie“) singt sie, nur von Larry Knechtels Piano begleitet, so anrührend wie überzeugend.
Sollten Sie sich jetzt fragen, wieso ich über diese Platte schreibe, wo ich sie und Joan Baez ja offensichtlich nicht mag, sind Sie im Irrtum. Zumindest zum Teil. Ich verehre Joan Baez als Künstlerin und Person, aber deshalb muß ich nicht alles toll finden, was sie im Laufe ihrer langen Karriere so gemacht hat. Und diese Platte gehört dazu. Dabei hat sie gerade zu Beginn und am Ende großartige Momente. Unterm Strich aber bleibt ein fader Beigeschmack. Die von vielen vertretene Ansicht, dies sei ihr bestes Album, kann ich noch nicht mal im Ansatz nachvollziehen. Aber ihre, meiner Meinung nach wirklich guten Platten werden hier noch gebührend behandelt werden. Versprochen! Wenn Sie also nicht jedes ihrer Alben im Regal stehen haben müssen, empfehle ich Ihnen die „Diamonds & Rust“-Single (Sie müssen sie ja nicht unbedingt umdrehen...). Nicht verschweigen will ich, daß das Album ebenfalls häufig gerade wegen seines Klangs hoch gelobt wird und in entsprechenden Listen auftaucht. Auch das kann ich nicht ganz nachvollziehen, gebe aber gern zu, daß mir unvoreingenommenes Hören in diesem Fall nicht gelingen will. Dennoch stehen zwei Ausgaben zum Vergleich an, die originale Holland-Pressung (A&M AMLH 64527, 1975) sowie eine Half-Speed Superdisc von Nautilus (NR 12, USA, 1980). Um Fragen vorzubeugen, verweise ich auf die Labelabbildung, die zeigt, daß es nicht die DBX-kodierte Ausgabe ist, was natürlich einen Vergleich nicht zugelassen hätte. Diese hat auch das Nautilus-Logo oben links auf dem Frontcover, die mir vorliegende nicht. Ich kann es kurz machen. Ich höre zwischen dem Mastering von Mike Reese und dem Remastering von Jack E. Hunt kaum nennenswerte Unterschiede, auch ist die Nautilus-Scheibe nur knapp 20 Gramm schwerer. Ich würde sogar dem Original ein etwas offeneres Klangbild attestieren, das mir persönlich besser gefällt. Interessant wäre vielleicht noch die MFSL-Ausgabe (MFSL-1-238, 1995), aber ich befürchte, daß der eventuell zu erwartende Mehrwert dieser sehr teuer gehandelten Pressung in keinem guten Verhältnis zum Preis steht.
Musik: 6,5
Klang: 8,5 (Holland, 1975)
Klang: 8,0 (USA, 1980)
Ronald Born, Juni 2013