Jim Croce – I Got A Name (1973)

 

Zwei Männer satteln schweigend ihre Pferde und reiten aus der Stadt in Richtung der Berge, die am Horizont aufsteigen. Bald erreichen sie die Schneegrenze und passieren eine Büffelherde. Noch immer fällt kein Wort, nur ein Lied untermalt die majestätischen Bilder : „I Got A Name“. Ich bin überzeugt, daß Quentin Tarantino nichts tut, ohne sich vorher ernsthaft Gedanken darüber zu machen. Und so ist es mit Sicherheit auch kein Zufall, daß gerade dieser Song die beschriebene Szene aus „Django Unchained“ begleitet. Djangos neuen Sattel schmückt ein kunstvoll verziertes „D“ als Zeichen dafür, daß er nun kein namenloser Sklave mehr ist. He's got a name!

Das erste Stück Jim Croces, das ich bewußt wahrnahm, war jedoch wenig überraschend „Time In A Bottle“. Ich hatte im Intershop den K-tel-Sampler „San Francisco Dreams“ gekauft, um meine damalige Freundin zu beeindrucken. Schließlich war „unser Lied“ enthalten. Obwohl es sich dabei nicht um „Time In A Bottle“ handelte, hätte es das natürlich auch sein können. Croces Songs sprachen besonders Mädchen an, was schnell dafür sorgte, daß männliche Plattenhörer ihn in eine Ecke abschoben, in der schon Typen wie John Denver und James Taylor standen. Für ernsthafte Sammler - ja ebenfalls meist männlich - war er dadurch nie wirklich ein Thema. Da ich aber schon bei den beiden Genannten keine Berührungsängste kannte, wurde Jim Croce bald für eine Weile zu einem meiner Favoriten, und ich begann, sobald das möglich war, seine Platten zu kaufen. Außerdem stellte ich zu jener Zeit fest, daß mir seine Stimmlage sehr entgegen kam. Die Melodien waren, zumindest auf den ersten Blick, recht einfach gehalten, und so hatte ich erstaunlich schnell ein paar seiner Songs drauf, was den Mädels offensichtlich gut gefiel.

 

Jim Croce wurde in Philadelphia als Kind italienischstämmiger Eltern geboren. Schon sehr früh erwachte sein Interesse an Musik, und mit fünf Jahren begann er, Akkordeon zu spielen. Später an der Uni, wo er Psychologie und Deutsch studierte, lernte er Tommy West kennen, der The Spires, eine der damals sehr populären Vokalgruppen im Stil der Brothers Four, anführte. Croce stieg ein, und 1963 veröffentlichte die Villanova University eine LP der Spires mit altbekannten Songs wie „Greenback Dollar“ oder „This Land Is Your Land“. Das genügte offensichtlich, um die Truppe im Rahmen eines Austauschprogramms in den Mittleren Osten, nach Afrika und sogar Jugoslawien zu schicken. Zurück in Philadelphia, lernte Jim dann bei einem Hootenanny seine spätere Frau Ingrid kennen. Es begann die übliche Tour durch Kneipen und Studentenclubs, wobei Croce, der ständig neue Songs wie ein Schwamm aufsog, mit einem riesigen Repertoire aufwarten konnte und kaum eine Nummer von Cisco Houston und Woody Guthrie, seinen Favoriten, ausließ. Seine Familie machte sich hingegen Sorgen, er könnte sich womöglich ganz und gar für die Musik entscheiden, anstatt einer „richtigen“ Beschäftigung nachzugehen. Anläßlich seiner Hochzeit mit Ingrid bekam er von seinen Eltern $500.- unter der Bedingung geschenkt, sie für die Produktion einer Platte zu verwenden. Was zunächst wie die Kapitulation vor den Ambitionen ihres Sohnes schien, war in Wirklichkeit der Versuch, ihn durch den für sicher gehaltenen Flop auf andere Karrieregedanken zu bringen. Das privat veröffentlichte „Facets“, mit einem spartanischen Cover und elf Songs, darunter Traditionals und Nummern von Gordon Lightfood und Buffy Sainte-Marie, zeigt auch erste Versuche Croces als Songwriter. Vor allem „Gunga Din“, seine Adaption des berühmten Gedichts von Rudyard Kipling, ließ bereits aufhorchen. Alle 500 Exemplare (heute echte Raritäten) wurden mit Gewinn verkauft, was seinem Ehrgeiz einen neuen Schub verpasste. Doch er war kein Träumer, der sich in der Rolle des Bohémiens gefiel. Schon immer eher der bodenständige Typ, scheute er keinerlei harte Arbeit, um sich und seine Frau über Wasser zu halten. Da kam es nur gelegen, daß auch Ingrid eine passable Sängerin war. Schon bald traten die beiden als Duo auf, ohne jedoch größeren Eindruck zu hinterlassen.

 

Jims Freund Tommy West hatte nach dem Studium einen Job bei ABC Records in New York angenommen. Dort traf er auf Terry Cashman und Gene Pistilli, mit denen er bald eine eigene Produktionsfirma gründete. Jim & Ingrid Croce sollten die ersten werden, die man unter Vertrag nahm. Mit Demos, aufgenommen im Oktober 1968, versuchten Cashman, Pistilli & West, wie sie sich jetzt nannten, eine Plattenfirma zu finden. Anfang 1969 biß Capitol Records an, und das Duo-Album „Croce“, das später unter verschiedenen Titeln („Another Day, Another Town“, „Bombs Over Puerto Rico“) wiederveröffentlicht wurde, erschien im September mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Von ländlicher Tradition inspirierte Gesangspaare in der Art der frühen Ian & Sylvia waren nicht mehr gefragt, zumal die Lieder auf „Croce“ denen der kanadischen Vorbilder nicht das Wasser reichen konnten. Durch seine Produzenten hatte Jim Croce den Bassisten seines großen Idols Gordon Lightfood, John Stockfish, kennengelernt. Mit ihm tat er sich nun zusammen und schrieb Songs wie „Railroads And Riverboats“, die jedoch kaum jemand hören wollte. Der Vietnamkrieg und diverse politische Skandale hatten das Land gespalten, und den jungen Leuten stand der Sinn gerade gar nicht nach patriotischen Liedern. Ein ernsthafter Streit mit Stockfish veranlaßte Jim und Ingrid endgültig, ihre Sachen zu packen, und frustriert nach Philadelphia zurückzukehren. Dort arbeitete Croce auf dem Bau und bei einer kleinen Radiostation. In sein Songwriting flossen jetzt mehr und mehr Countryeinflüsse. Was er vom Leben in der Metropole hielt, die er gerade hinter sich gelassen hatte, brachte er später im berührenden „New York's Not My Home“ zum Ausdruck. Doch um überhaupt erinnerungswürdige Songs auf diesem neuen Niveau schreiben zu können, bedurfte es der Inspiration durch einen „Bruder im Geiste“, den er 1970 kennenlernte: den sechs Jahre jüngeren Maury Muehleisen. Der hatte gerade ein ebenfalls von Cashman und West produziertes Album veröffentlicht und suchte einen Rhythmusgitarristen. Croce und er freundeten sich schnell an und wurden unzertrennlich. Als unbestechlicher Kritiker und mit einem feinen musikalischen Gespür ausgestattet, lieferte Muehleisen die entscheidenden Impulse. Obwohl selbst mit enormem Talent gesegnet, regte er bald an, die Rollen zu tauschen und seinerseits Croce bei dessen neuen Songs zu begleiten. Wann hat es das je im von krankhaftem Ehrgeiz und Missgunst durchsetzten Musikgeschäft gegeben? Nach unzähligen gemeinsamen Auftritten schickte Jim Croce im Februar 1971 seinen alten Freunden in New York eine Kassette mit vier Songs. Die trauten ihren Ohren nicht, als sie zum ersten Mal „Operator“, „Time In A Bottle“, „A Long Time Ago“ und „Walkin' Back To Georgia“ hörten!

 

Im Herbst begannen die Aufnahmen zum ersten „richtigen“ Soloalbum. ABC Records hatte einen Vertrag für drei LPs geschlossen, die allesamt in den Studios der Hit Factory in New York eingespielt wurden. Das Team bestand im Großen und Ganzen immer aus den selben Leuten: Cashman und West als Produzenten, Bruce Tergesen als Toningenieur, Gary Chester am Schlagzeug, Joe Macho, der schon auf Dylans „If You Gotta Go, Go Now“ den Baß gespielt hatte, Tommy West als Keyboarder, natürlich Maury Muehleisen an diversen Gitarren und als Backgroundsängerin Ellie Greenwich. Die Ellie Greenwich, die mit ihrem Mann Jeff Barry unsterbliche Hits wie „Da Doo Ron Ron“ oder „River Deep, Mountain High“ geschrieben hatte. Gelegentliche Gastmusiker wie Steve Gadd oder Filmkomponist Michael Kamen (beide auf „I Got A Name“) sorgten für zusätzliche Klangtupfer. Schon wegen dieses eingespielten Teams lassen sich die drei Alben, die in einem Zeitraum von gerade einmal zweieinhalb Jahren entstanden, kaum getrennt betrachten. Auch die enthaltenen Songs bewegten sich auf einem stabilen, hohen Level und lassen sich klar in zwei gleichberechtigte Kategorien einordnen: Balladen und flottere Stücke. Daß Hochkaräter wie „Which Way Are You Goin'“ und „King's Song“ nicht berücksichtigt wurden, zeugt vom, durch Überangebot hervorgerufenen Luxus bei der Auswahl.

Gleich „You Don't Mess Around With Jim“ (April 1972) warf zwei erfolgreiche Singles ab und erreichte die Spitzenposition der amerikanischen und kanadischen Charts. „Time In A Bottle“ wurde zunächst nicht ausgekoppelt, erreichte aber durch den Einsatz im Fernsehfilm „She Lives!“ ein großes Publikum. Unablässige Tourneen folgten, und im Juli 1973 erschien „Life And Times“. Die vorab ausgekoppelte Single „Bad, Bad Leroy Brown“ wurde Croces erster Nummer-1-Hit. Jetzt wurde auch das Fernsehen aufmerksam, und Croce und Muehleisen traten zudem in Europa auf. Trotz positiver Resonanzen dort sollte Jim Croce ein rein amerikanisches Thema bleiben. In England erreichte keine einzige seiner Singles die Top 50, in Deutschland steht ein einsamer 38. Platz für „Leroy Brown“ zu Buche. Die LPs blieben gar völlig den Charts fern und das zu einer Zeit, als man in England James Taylor oder John Denver aus der Hand fraß. Im einst unverzichtbaren „Rock Lexikon“ von Barry Graves und Siegfried Schmidt-Joos, in dem es beim Eintrag zu Jim Croce etwas drunter und drüber geht, findet sich der treffende Satz: „Nur selten hatten die Klischees und Topoi aus der Alltagspoesie der US-Arbeiterklasse eine so frische, unideologische und überzeugende musikalische Umsetzung erfahren“. Vielleicht wollte das damals in England einfach niemand hören. Im Rest des Kontinents war dann wohl die Sprachbarriere schlicht zu hoch.

 

Mitte September wurden die Aufnahmen für „I Got A Name“ mit „Salon And Saloon“ abgeschlossen. Eine Woche später sollte das von Charles Fox und Norman Gimbel („Killing Me Softly With His Song“) geschriebene Titelstück als Single veröffentlicht werden. Einen Tag zuvor hatten Croce und Muehleisen an der University of Louisiana in Natchitoches einen Auftritt absolviert und wollten zum nächsten Gig nach Austin, Texas fliegen. Ob es am Wetter, der einsetzenden Dunkelheit oder einem Pilotenfehler lag, konnte nie abschließend geklärt werden. Jedenfalls streifte die Chartermaschine beim Start den einzigen Baum weit und breit und stürzte ab. An jenem 20. September 1973 starben neben Jim Croce (30) und Maury Muehleisen (24) auch alle fünf weiteren an Bord befindlichen Personen.

Nach seinem tragischen Tod setzte ein Interesse an Croces Musik ein, von dem er zu Lebzeiten nur träumen konnte. „I Got A Name“ erschien am 1. Dezember und kam bis auf Platz 2 der LP-Charts, während die gleichnamige Single die Top Ten erreichte. Auch „I'll Have To Say I Love You In A Song“ und „Working At The Car Wash Blues“ konnten sich hervorragend platzieren. Nur als 1975 auch noch „Lover's Cross“, für mich ein absoluter Höhepunkt des Albums, ausgekoppelt wurde, hatte das kollektive Vergessen bereits eingesetzt. Am 29. Dezember 1973 wurde „Time In A Bottle“, das er drei Jahre zuvor für seinen noch ungeborenen Sohn Adrian geschrieben hatte, und dessen Text nun eine besondere Dramatik aufwies, doch noch als Single ins Rennen geschickt. Es sollte sein zweiter Nummer-1-Hit werden. Und es war erst das dritte Mal, daß ein nach dem Tod des Interpreten veröffentlichtes Stück die Spitzenposition erreichte (zuvor: „[Sittin' On] The Dock Of The Bay“ von Otis Redding und „Me And Bobby McGee“ von Janis Joplin).

 

Auf den drei maßgeblichen Platten Jim Croces, also den ABC-Alben mit Maury Muehleisen, finden sich insgesamt 34 Songs. Ein leider recht schmales Vermächtnis. Doch liegt der prozentuale Anteil an auch heute noch faszinierenden Stücken weit über dem Durchschnitt. Lediglich die immer mal wieder eingesetzten Streicher sind aus meiner Sicht unnötig und wenig originell arrangiert. Das Produzenten-Duo Cashman und West verstand es sehr gut, Croce und Muehleisen von ihrer besten Seite zu präsentieren. Der Sänger besticht mit anrührender Stimme und absolut präzisem Rhythmusgefühl, während sein nahezu völlig vergessener Partner in einer gerechteren Welt heute an jeder Musikhochschule beim Seminar zu „songdienlicher Begleitung“ als Referenz herangezogen werden müßte. Und auch die Arbeit von Tonmann Bruce Tergesen ist bis heute beispielhaft. Das Mastering von „I Got A Name“ besorgte dann The Mastering Lab in Kalifornien, vermutlich sogar der legendäre Chef Doug Sax persönlich. Da alle drei Original-Alben heute sehr günstig zu haben sind, macht es keinen Sinn, sich ersatzweise irgendeinen der unzähligen „Best Of“-Sampler zuzulegen. Denn erstens versammeln die eh alle die immer gleichen Songs, und zweitens wird ihre Klangqualität immer bescheidener, je weiter sie sich vom Jahr 1973 entfernen und je kleiner und obskurer die veröffentlichenden Labels werden. Beschafft man sich hingegen noch das 1975 erschienene Doppelalbum „The Faces I've Been“ (Lifesong), das frühe Aufnahmen, Outtakes und eine ganze Seite mit witzig-launigen Ansagen, für die Croce einst berühmt war, enthält, ist man endgültig bestens versorgt. Lifesong war übrigens das Label von Cashman und West, das sich ab Mitte der 1970er Jahre des musikalischen Erbe Croces annahm.

 

Außerhalb Amerikas kümmerte sich zunächst Vertigo um die Verbreitung der drei LPs. Über die Gründe dieses Labels, in dessen Portfolio sich ja ansonsten recht schräge Kandidaten tummelten, gerade diesen eher konventionellen amerikanischen Songwriter unter seine Fittiche zu nehmen, kann ich nur spekulieren. Mit Black Sabbath wechselten 1973 ausgerechnet die Künstler zu WWA Records, die bis dahin fast im Alleingang für schwarze Zahlen gesorgt hatten. Offenbar versuchte man bei Vertigo mit Blick auf die sehr guten Verkäufe Croces in den USA, sich mit einem Angebot an das Mainstream-Publikum ein weiteres vermeintlich sicheres Standbein zu schaffen. Daß diese Rechnung nicht aufging, dürfte damals die Verantwortlichen unangenehm überrascht haben und läßt mich heute noch mit dem Kopf schütteln. Die Zeit des legendären Swirl-Labels war inzwischen natürlich abgelaufen, so daß „I Got A Name“ schon mit dem neuen Ufo-Label erschien.

Womit wir bei den Exemplaren aus meinem Regal wären. Die zwei vorliegenden US-Exemplare (ABC ABCX-797) wurden beide bei Columbia gepresst, wiegen mit etwa 110 Gramm ungefähr gleich viel und klingen auch gleich. Nur das Labeldesign ist abweichend, weshalb sie auch beide in der Bildergalerie zu sehen sind, aber gemeinsam gewertet werden. Schon beim ersten Stück, dem Titelsong, öffnet sich eine breite Bühne, die wohl in Zukunft und für immer mit einer weiten amerikanischen Landschaft, mit Jamie Foxx und Christoph Waltz verbunden sein wird. Vielen Dank, Mr. Tarantino! Und das meine ich so, wie ich es sage. Wahrscheinlich hat er in zwei Minuten mehr für die Bewahrung von Croces Erbe getan, als sämtliche Sampler und Neuauflagen der letzten zwei Jahrzehnte. Da allein mir schon ein Dutzend weiterer Künstler einfällt, die es vor dem endgültigen Vergessen zu retten gilt, ist es ein Ding der Unmöglichkeit, daß er, wie angekündigt, nur noch zwei Filme drehen will!

Die englische (Vertigo 6360 702) und auch die japanische Ausgabe (Philips RJ-5120) wiegen zwar 20 Gramm mehr als die amerikanische, klingen aber dumpfer, weniger hochauflösend. Beide verwenden außerdem ein anderes Foto für das Cover, die Engländerin prunkt mit Lederoptik, die Japanerin mit breitem, rotem Obi. Immerhin. Beide erschienen übrigens erst Anfang 1974. 2013 veröffentlichte das englische Label Demon Records eine „Limited 'Unchained' Edition“. Das nennt man dann wohl „Trittbrettfahrerei“. Ich verzichte. Schließlich habe ich ja meine US-Pressungen. Seit zwanzig Jahren.

 

Musik: 7,5

Klang: 8,5 (USA, 1973)

Klang: 7,5 (England, 1974)

Klang: 7,5 (Japan, 1974)

 

 

Ronald Born, Februar 2016