Fleetwood Mac – Rumours (1977)

 

Rumours“ ist das ideale Konsens-Album. Wann immer eine Party veranstaltet wurde, bei der Leute unterschiedlichsten Alters und mit teils divergierendem Musikgeschmack aufeinandertrafen, gab es in Sachen Musikauswahl nichts Verläßlicheres, um die Gemüter zu beruhigen und die Stimmung zu retten. Danach konnte lediglich noch die gewählte Lautstärke zu Diskussionen führen. Warum das so war und noch ist, läßt sich mit einem schlichten Verweis auf die großartige Musik nur ungenügend erklären. Legen Sie doch mal bei passender Gelegenheit die nicht weniger grandiosen „Electric Ladyland“ oder „Bitches Brew“ auf, und beobachten Sie die Reaktion Ihrer Gäste!

Fleetwood Mac waren im ersten Teil ihrer Karriere bekanntlich eine englische Bluesband, die, befeuert vom gerade grassierenden Boom, beachtliche Erfolge feierte. Und schon damals tappten sie in die Falle, zerstritten sich heillos, verschlissen eine enorme Zahl an Musikern (vor allem Gitarristen), führten aufreibende Prozesse. Der Einzige, der Mitte der 1970er Jahre von der Urbesetzung noch übrig war, war Drummer Mick Fleetwood. Nein, John McVie gehörte weder bei den ersten Konzerten noch bei den Aufnahmen zur ersten Single schon zur Band. Als Peter Green und Fleetwood im Frühjahr 1967 John Mayalls Bluesbreakers verließen, um ihre eigene Band zu gründen, sträubte sich McVie, ihnen zu folgen. Auch seine Verankerung im Bandnamen konnte ihn vorerst nicht umstimmen. Neben dem Gitarristen Jeremy Spencer wurde erst einmal Bob Brunning am Baß verpflichtet, mit der Maßgabe, seinen Platz zu räumen, sollte es sich McVie doch noch anders überlegen. Wenige Wochen später war es dann so weit.

Um den Jahreswechsel 1974/75 bestand die inzwischen nach Kalifornien übergesiedelte Band nach einem erneuten Aderlass noch aus Fleetwood, McVie und dessen Frau Christine. Als Mick Fleetwood die Sound City Studios in Van Nuys als möglichen Ort für neue Aufnahmen inspizierte, kam der Zufall zu Hilfe. Der Toningenieur spielte ihm einen Titel vom 1973 erschienenen Album eines Duos vor, dessen männliche Hälfte sich gerade in einem anderen Teil des Studios aufhielt. Lindsay Buckingham erklärte sich nach einem kurzen Gespräch bereit, unter der Bedingung bei Fleetwood Mac einzusteigen, daß seine Freundin und musikalische Partnerin Stevie Nicks ebenfalls mit von der Partie sein würde. Und so geschah es, daß zwei abgebrannte Amerikaner, deren Debüt-LP grandios gefloppt war, und die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielten, die kommerziell erfolgreichste Phase in der Bandgeschichte einläuteten.

Im Juli 1975 erschien mit „Fleetwood Mac“ das erste Album der neuen Formation, zu dem Buckingham und Nicks gut die Hälfte der Songs beisteuerten. Drei Hit-Singles und die Spitzenposition in den US-Album-Charts bescherten der Band innerhalb eines Jahres Superstar-Status. Europa jedoch zierte sich noch, dem neuen Kurs zu folgen. Mit „Rumours“ brachen dann aber auch hier alle Dämme.

 

So positiv sich der Einstieg von Buckingham und Nicks auf die musikalische Entwicklung auswirkte, so viel Unruhe brachte er in das ohnehin fragile Bandgefüge. Erotische Verwicklungen und jede Menge bewußtseinsverändernder Substanzen hinterließen schnell ihre Spuren. Christine McVie reichte die Scheidung ein, Mick Fleetwoods Ehe ging ebenfalls den Bach runter, Nicks gab Buckingham den Laufpaß (oder umgekehrt) und der Beleuchter der Band prahlte öffentlich mit Bettgeschichten, in denen die beiden Sängerinnen eine tragende Rolle spielten. Da verwundert es schon eher, daß man überhaupt noch zum Songschreiben kam, weniger, daß dabei eine manchmal recht schonungslose Aufarbeitung betrieben wurde. John McVie nannte die so entstandenen Stücke später einmal „eine Art Extrakt aus den Tagebüchern unseres damaligen Lebens“. Natürlich barg eine solche Konstellation für Außenstehende ein enormes Unterhaltungspotential, aber es war letztendlich die musikalische Verpackung, eine schon auf dem Vorgänger angedeutete Mischung aus Westcoast-Sound, akustischem Folk und eingängigem Rock, die auch Leute aufhorchen ließ, die wenig Interesse an Klatschgeschichten aus der Glamourwelt des Pop hatten. Die ganze Platte durchweht eine Art gepflegter Tristesse, von mir aus auch romantische Traurigkeit. Und dieses Gefühl stellt sich nicht nur bei den Stücken ein, die von der Engländerin Christine McVie stammen, sondern auch bei denen der etwas jüngeren und sich lockerer gebenden Amerikaner. Es gab ja hier kein dominierendes Songwriter-Gespann oder den genialen Schreiberling, der dann häufig auch als Leadsänger auftrat. Jeder der drei Genannten verarbeitete die Geschehnisse mehr oder weniger allein und durfte dann seine Vorwürfe, Befürchtungen und Gedanken bitteschön auch selbst vortragen. Einzig „The Chain“ (die Fessel) fällt in die Kategorie „Gruppentherapie“. Aber es gibt durchaus auch optimistische Momente, wie Christine McVies „Don't Stop“ oder Stevie Nicks' „Dreams“. Vor allem im Vergleich zum Vorgängeralbum fällt auf, wie Christine McVie als Songwriterin gewachsen ist, wie ihre Lieder erwachsen geworden sind. Stevie Nicks kann da substantiell nicht mithalten, aber ihr bleibt ja noch ihr elfenhafter Kleinmädchen-Charme. Und Lindsay Buckingham verläßt sich ganz auf seine musikalischen Fähigkeiten und originellen Ideen. Die Raffinesse seines Gitarrenspiels bei „Never Going Back Again“ zum Beispiel hat schon ganze Generationen ambitionierter Nachahmer frustriert. Überhaupt gibt die musikalische Seite von „Rumours“ wesentlich mehr Anlaß zur Freude. Auf der Basis von größtenteils akustischen Gitarren und Piano/Keyboard werden die durchweg sehr gelungenen Arrangements mit Congas, Maracas, Clavinet, Dobro oder einfach mal mit schlichtem Händeklatschen unterfüttert, aber nie überladen. Die Herren an Schlagzeug und Bass halten sich im Hintergrund, was jedoch keinesfalls bedeutet, daß sie sich zurückhalten. Mehr als zehn gemeinsame Jahre als Rhythmus-Abteilung machen sich nun bezahlt. Sie bilden das Korsett, bestimmen Tempo und Drive mit traumwandlerischer Sicherheit. Hören Sie sich nur einmal an, wie sie „The Chain“ nach gut zwei Dritteln in den Schleudergang katapultieren!

 

Es klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber alle Beteiligten tragen ihren Teil dazu bei, daß „Rumours“ eben mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile. Seine mystische Aura hat sich bis heute erhalten, aber auch die Songs haben den test of time längst bestanden. Und bei kaum einer Platte fällt es mir so schwer, Favoriten hervorzuheben. Sorry, das war gelogen! „Oh Daddy“, in dem Christine McVie allen Welt- und Liebesschmerz auf ihren schmalen Schultern trägt, während um sie herum demonstriert wird, wozu Mehrspurbänder erfunden wurden, ist einfach ein Ereignis. Und Lindsay Buckinghams „Go Your Own Way“, das als erste Single ausgekoppelt wurde und außer in Holland Mühe hatte, überhaupt an den Top-Ten zu kratzen, spielt als Pop-Song in einer Region, in der die Luft schon richtig dünn wird, und wo sonst außer englischen und schwedischen Songwriter-Duos kaum noch jemand anzutreffen ist.

Erstaunlich ist, daß auch die drei weiteren Singles (neben „Dreams“ noch „Don't Stop“ und „You Make Loving Fun“) außer in Nordamerika nicht wirklich viel Staub aufwirbelten, die LP aber eben auch noch in England und Australien auf Platz 1 vorstieß (in Deutschland Platz 6) und sich unzählige Wochen in diversen Charts festsetzte. Da haben wir sie wieder, die Summe und ihre Bestandteile.

 

Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wer das, bei Veröffentlichungen selbst in Guatemala, Indien oder Rußland, immer so genau wissen soll, aber bis heute wurden von „Rumours“ kolportierte 40 Millionen Exemplare verkauft. Spätestens hier drängt sich nun die Frage auf, ob das das perfekte Pop-Album ist. Sie haben 10 Sekunden Zeit für einen besseren Vorschlag! Und kommen Sie mir jetzt nicht mit „Thriller“!

 

Die Produktion, die von der Band gemeinsam mit den Tontechnikern bewerkstelligt wurde, ist erstklassig, ohne ein Gramm überflüssiges Fett. Jedes Instrument, jede Stimme bekommt den angemessenen Platz zugewiesen, die Balance ist stimmig, die Raumaufteilung großzügig und der Klang absolut natürlich. Kein Detail wird unterschlagen, alles fügt sich organisch zum großen Ganzen. Von überlieferten Problemen mit mißlungenen Masterbändern oder gar komplett neu eingespielten Schlagzeug-Passagen ist rein gar nichts zu hören.

 

Der deutschen Originalausgabe (Warner Bros. WB 56 344) liegt ein Faltblatt mit Texten und Fotos bei. Sie setzt alles, worauf bei der Produktion viel Zeit und Hingabe verwendet wurde, sehr authentisch um. Pure Freude macht sich breit!

1979 war man dann in der DDR der Auffassung, die Platte der eigenen Bevölkerung nicht länger vorenthalten zu können. Frontcover und das große Bandfoto auf der Rückseite wurden, im Gegensatz zur tschechischen Supraphon-Ausgabe aus dem gleichen Jahr, die einfach „Fleetwood Mac“ hieß und nur ein simples Schriftcover spendiert bekam, übernommen. Die ersten Exemplare erschienen noch mit dem weinroten Label mit silberner Schrift. Gerade 1979 begann jedoch die Umstellung auf blaue Labels mit schwarzer Schrift, weil die silberne Farbe einfach zu teuer wurde (ein Umstand, dem man auch bei Vertigos Ufo-Label Rechnung tragen mußte). Es kann also gut sein, daß meine LP ebenfalls noch 1979 in den Handel kam. Leider klingt sie recht blaß, das Frequenzspektrum ist deutlich eingeschränkt, das Gewicht von 123 Gramm ist die einzige Gemeinsamkeit mit der Schwester von „drüben“. War der Erwerb damals für die meisten Leute hier die einzige Möglichkeit, die Musik komplett und zu jeder Zeit hören zu können, gibt es heute keinen vernünftigen Grund mehr, sich diese Ausgabe zu kaufen.

Etwas unübersichtlich wird es bei meinem neuesten Exemplar. Obwohl sich sowohl auf dem Label als auch dem Cover der Verweis auf 2009 findet, deutet alles darauf hin, daß dieses, auf 45rpm abzuspielende Doppelalbum erst 2011 veröffentlicht wurde. Fast zeitgleich gab es auch eine US-Version, die angeblich vom ehrenwerten Steve Hoffman gemastert wurde. Davon spricht bei der europäischen Ausgabe niemand mehr. Auch gehen die Meinungen auseinander, ob die nun bei Pallas oder (wahrscheinlicher) Optimal Media gepresst wurde. Wie auch immer, das aufwendige, dicke Klappcover (die Fotos vom Faltblatt wanderten auf die Innenseite) und das glänzende Frontfoto wirken schon mal sehr edel, die Qualität der Platten (je 180 Gramm) ist tadellos, der Preis wirklich moderat. Dem Klang, der irgendwie einen „vornehm bedeckten“ Eindruck hinterläßt, fehlt allerdings etwas die Brillanz und Frische des Originals. Da ich kein „Rumours“-Sammler bin, muß ich Ihnen die Antwort darauf, ob das beim US-Pendant auch der Fall ist, wohl für immer schuldig bleiben.

Die Platte weist bis heute keinerlei Spuren von Patina auf, als wäre der Begriff „zeitlos“ für sie erdacht worden. Ich empfehle, sie ruhig etwas über Zimmerlautstärke zu hören. Ihr Nachbar wird ausnahmsweise nichts dagegen haben.

 

Musik: 9,0

Klang: 9,0 (Deutschland, 1977)

Klang: 6,5 (DDR, 1979)

Klang: 8,5 (Europa, 2011)

 

Ronald Born, November 2013