Eric Clapton – No Reason To Cry (1976)


Dem geneigten Stammleser muß ich wohl nichts mehr zu Eric Clapton erzählen. Seine beeindruckende Karriere von ihren Anfängen 1963 bei den Roosters, über Casey Jones' Engineers (jeweils gemeinsam mit Tom McGuinness), die Yardbirds, John Mayalls Blues Breakers, Cream, Blind Faith, die Plastic Ono Band, Delaney and Bonnie, Derek & The Dominoes sowie sein nicht unumstrittenes Solo-Werk ist mehr als ausreichend und detailliert dokumentiert worden. Auch auf seine Kollaboration mit den Beatles selbst, aber auch mit Lennon und seinem lebenslangen Kumpel George Harrison, die Zusammenarbeit mit Pete Townshend, J.J. Cale, Duane Allman, Phil Collins und wie sie alle heißen, will ich hier gar nicht näher eingehen. Das alles wurde, wie auch sein turbulentes Liebesleben, Drogen- und Alkoholsucht, „Clapton is God“-Kritzeleien an Londoner Häuserwänden, private Tragödien und Triumphe mit akustischen Versionen seiner bekanntesten Nummern schon reichlich ausgebreitet. Daß er der einzige Musiker ist, der gleich drei Mal in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurde (1992 mit den Yardbirds, ein Jahr später mit Cream und 2000 als Solokünstler), steht sicherlich auch schon irgendwo. Nur eine unbedeutende Randnotiz scheint jedoch sein 1976er Album gewesen zu sein. Höchste Zeit also, es zu beleuchten.


Als im Januar 1982 „The Last Waltz“ in die DDR-Kinos kam, konnte ich mein Glück kaum fassen! Ich saß in einem alten Plüschsessel und ließ die Parade meiner Idole gleich mehrmals an mir vorbeimarschieren. Als sich irgendwann die erste Aufregung gelegt hatte, begann ich mich aber doch zu fragen, aus welchem Grund wohl der eine oder andere eingeladen worden war. Clapton gehörte dazu. Ich war gerade 17 geworden und hatte keine Ahnung.

Plakative Sätze erzählen zwar nie die ganze Wahrheit, bringen aber im besten Fall das Wichtigste mit einem lauten Knall auf den Punkt. Und so würde ich heute dem ahnungslosen Kinogänger von damals erwidern, daß das Abschiedskonzert von The Band an Thanksgiving 1976 im Winterland von San Francisco nichts anderes war als die Fortsetzung der Sessions zu „No Reason To Cry“, nur mit etwas aufgemöbelter Gästeliste. Neben The Band, Bob Dylan und natürlich Eric Clapton waren auch noch Carl Radle und Ron Wood an beiden Veranstaltungen beteiligt. Die im Film zu sehenden Interviews mit den Band-Mitgliedern wurden im Shangri-La Studio in Malibu aufgezeichnet. Dieses Studio (vorher ein Bordell, heute die Hexenküche von Rick Rubin, mit Dylans altem Tourbus im Garten) gehörte damals The Band, und dort wurde auch „No Reason To Cry“ eingespielt.

Als die Kanadier 1994 in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurden, erzählte Eric Clapton in seiner Laudatio, daß er, nachdem er „Music From Big Pink“ gehört hatte, unbedingt Mitglied in dieser Band werden wollte, die Tatsache, daß sie mit Robbie Robertson bereits über einen ausgezeichneten Gitarristen verfügte, dabei tapfer ignorierend. Im März 1976 kam er seinem heimlichen Wunsch dann so nah, wie nie zuvor oder danach.

Der Produzent und Toningenieur Rob Fraboni hatte das Shangri-La Studio nach den Wünschen von The Band eingerichtet. Deren Album „Northern Lights – Southern Cross“ eröffnete im Sommer 1975 die lange Reihe an Platten, die seitdem dort entstanden sind. Diese umfasst Werke von Kinky Friedman bis Metallica. Auch das Doppelalbum, das 1975 Robbie Robertsons etwas eigenwillige Sicht auf „The Basement Tapes“ präsentierte, wurde hier abgemischt. Für ihre aktuellen Produktionen griffen so unterschiedliche Musiker wie Black Sabbath, Eminem, ZZ Top, Jake Bugg (der gleich sein Album nach dem Studio benannte), U2, Yusuf oder Damien Rice auf die wohl einmalige Atmosphäre zurück. Bevor Rick Rubin den Laden 2011 für angeblich zwei Millionen Dollar erwarb, produzierte noch Adele ihren Bestseller „21“ dort. Das Video zu „Rolling In The Deep“ gewährt einen seltenen Einblick in die heiligen Hallen. Aber Achtung: es gibt zwei verschiedene Videos. Das, welches mit der rauchenden Künstlerin beginnt, ist das richtige!

Doch zurück ins Frühjahr 1976. Für sein viertes Soloalbum (Live-LPs und Sampler nicht mitgezählt) scharte Clapton eine beeindruckende Anzahl namhafter Künstler um sich. Neben den bereits erwähnten finden sich auch die Namen von Georgie Fame, Yvonne Elliman, Jesse Ed Davis, Chris Jagger oder Billy Preston auf dem Cover. Wer genau was zu welchem Stück beisteuerte ist leider nirgendwo vermerkt. Vielleicht wußte das hinterher auch niemand mehr so genau. Man muß halt ein bißchen raten. Dabei macht es einem aber zumindest The Band sehr leicht. Robertsons Gitarre und die Orgel von Garth Hudson lassen sich sofort identifizieren. Außerdem verfügte die Kapelle ja über gleich drei herausragende Stimmen, die auch im Background noch für mehr Aufsehen sorgten, als so mancher Leadsänger.

Wenn die LP mit „Beautiful Thing“, einer Gemeinschaftsproduktion von Richard Manuel und Rick Danko, beginnt, klingt das auch gleich so, als hätte sich The Band Clapton und ein paar seiner Freundinnen eingeladen. „Carnival“ ist dann eine von drei Eigenkompositionen Claptons. Der gilt ja nun nicht als der größte Songwriter unter der Sonne. Wer jedoch „Wonderful Tonight“, „Lay Down Sally“, „Tears In Heaven“ oder „Layla“ in seinem Portfolio hat, muß sich in dieser Hinsicht bestimmt nicht mehr rechtfertigen. Seine eigentliche Stärke lag ja ohnehin in der Bearbeitung teils uralter Vorlagen (hier u.a. der „County Jail Blues“ aus dem Jahr 1941) und von Stücken zeitgenössischer Autoren. „Sign Language“ ist so eine Nummer. Auf der Platte (und auch auf später erschienenen Zusammenstellungen wie „O Rock De Eric Clapton“ oder „Crossroads“) wird der Song Bob Dylan allein zugeschrieben. In einem Interview mit Roger Gibbons im Mai 1987 erzählte Clapton jedoch, daß der Text zwar von Dylan stamme, er aber die Akkorde beigesteuert habe. Wie auch immer. Im Booklet zu „The Bootleg Series Volumes 1-3“ von 1991 berichtet er dann, daß Dylan damals wohl aus Neugier im Studio vorbeischaute und in einem Zelt im Garten kampierte. Ron Wood ergänzte, daß Dylan bei der Gelegenheit Clapton auch seinen unveröffentlichten Song „Seven Days“ vorspielte und anbot. Als der verzichtete, schlug Ronnie zu und machte aus der Nummer seinen Signature-Song.

Sign Language“, in dem der Erzähler versucht, mit seiner (Ex) Geliebten zu kommunizieren, während er ein Sandwich verspeist und Link Wray aus der Jukebox hört (ich tippe auf „Rumble“, das Dylan einmal als das beste Instrumentalstück aller Zeiten bezeichnete), singen Clapton und der Autor im Duett, während Robbie Robertsons Gitarre die Akzente setzt. Die Legende berichtet von mehreren Anläufen, um das kurze Stück endlich im Kasten zu haben. Nicht nur Eric Clapton hatte damals ein Alkoholproblem. So skurril die Nummer auch anmuten mag, sie erregt sofort die Aufmerksamkeit des Hörers und hat den meisten Songs der Platte somit einiges voraus. Der schon erwähnte „County Jail Blues“ schlurft dann auch allzu routiniert dahin, bevor das letzte Stück der ersten Seite zu großer Form aufläuft. „All Our Past Times“ ist ein Gemeinschaftswerk von Clapton und Rick Danko. Die Herren teilen sich in den Gesang, den Rest erledigen die Männer von The Band gewohnt souverän. Daß Clapton den Song auch beim „Last Waltz“-Konzert spielte, ist nur konsequent. Leider kam er aber nicht in die Endauswahl für den Film und das Dreifach-Album. Dort entschied man sich für „Further Up On The Road“, eine Nummer, die Bobby „Blue“ Bland 1957 in die Charts gesungen hatte und die Bestandteil des Repertoires von Claptons Tournee 1974/75 war (zu hören auf „E.C. Was Here“). Als dem Gitarrengott gleich zu Beginn der Gurt seines Instruments Probleme bereitet, übernimmt Robertson gedankenschnell das Solo, als hätte er nie etwas anderes gespielt. „All Our Past Times“ wurde dann 2004 auf dem 4-CD-Set von „The Last Waltz“ nachgereicht. Und lassen Sie sich nicht vom Film oder den Original-Alben irritieren. Die Reihenfolge der auftretenden Künstler wurde (aus dramaturgischen Gründen?) geändert. In Wirklichkeit spielte Neil Young direkt nach Clapton. Als Young die Bühne betrat, muß das für das Publikum gewirkt haben, als käme jetzt der Chauffeur, um Sir Eric zurück auf seinen Landsitz zu kutschieren.


Seite zwei legt mit „Hello Old Friend“ geschmeidig los. Der Song wirkt aus heutiger Sicht wie eine Vorlage für „Lay Down Sally“ und wurde auch als erste Single ausgekoppelt (mit „All Our Past Times“ in verschiedenen Schreibweisen als B-Seite). Platz 24 in den USA war die beste Platzierung. „Double Trouble“ von Otis Rush hatten bereits die Paul Butterfield Blues Band und auch die Bluesbreakers von John Mayall (mit Claptons Nachfolger Peter Green) aufgenommen. Hier ist „Slowhand“ ganz in seinem Element, und die Nummer entwickelte sich zu einer festen Größe seiner Live-Auftritte.

Innocent Times“ überrascht mit dem durchgehenden Gesang von Marcy Levy, die, wie auch bei „Lay Down Sally“, als Co-Autorin genannt wird. War für wohlwollende Hörer bis zu diesem Punkt noch ein dünner roter Faden zu erkennen, reißt der nun endgültig. Für mich ist dieser Gospel eine Fehlbesetzung. Auf dem folgenden „Hungry“ singt Levy dann mit Clapton im Duett. Das geht schon viel besser. Es groovt endlich ordentlich, reichte aber nur für die B-Seite der zweiten Single „Carnival“. Fahrlässig! Den Schlußpunkt setzt „Black Summer Rain“, eine von Claptons unscheinbareren Balladen, die von Garth Hudsons Orgel getragen wird. Yvonne Elliman und Marcy Levy singen backing vocals, wo dieser Job doch förmlich nach Richard Manuel, Levon Helm und Rick Danko schreit! Und hier manifestiert sich auch das Dilemma der ganzen Platte. Komplett und ausschließlich auf diese Jungs zu setzen, hätte der Chemie aus meiner Sicht nur gut getan. So sind einfach zu viele Köche vertreten, von den Küchenhilfen mal ganz zu schweigen. Wenn man sich zum Beispiel das 1972er Debüt von Bobby Charles (der ebenfalls bei „The Last Waltz“ zugegen war) anhört, auf dem außer Robertson alle Musiker von The Band mitwirkten, unterstützt von weiteren Profis wie Dr. John, Ben Keith oder Geoff Muldaur, bekommt man eine Ahnung, was aus „No Reason To Cry“ bei mehr Konsequenz hätte werden können. So bleibt es bei einer durchaus hörenswerten LP, die trotz fehlender Hits in England bis auf Rang 8 und in den USA auf Rang 15 vorstieß, aber heute fast vergessen scheint. Beim Erscheinungsdatum reichen die Angaben im Netz von April (definitiv zu früh) bis zum 1. Oktober 1976 (definitiv zu spät). Da das Album Anfang September in die englischen Charts einstieg, scheint eine Veröffentlichung im August realistisch.


Warum „No Reason To Cry“ die einzige Clapton-LP ist, von der ich gleich mehrere Exemplare besitze, muß ich hier sicher nicht mehr erklären. Der Superstar-Status des Künstlers sowie seine damals dank der Bee Gees extrem erfolgreiche Plattenfirma RSO (mit dem potenten Vertriebspartner Polydor) sorgten dafür, daß die Scheibe selbst in Irland, Österreich, auf den Philippinen und in Uruguay auf Vinyl gepresst wurde. In meiner Sammlung finden sich hingegen eher herkömmliche Exemplare aus den USA (RSO RS-1-3004, 1976), Deutschland (RSO 2394 172, 1976), England (RSO 2479-179, mit geprägtem „Limited Edition Special Price“-Sticker, Ende 1970er), Jugoslawien (RSO / RTB 2394 172, mit Preisaufdruck „KCS. 100.-“ auf der Coverrückseite, was für einen Verkauf auch in der Tschechoslowakei spricht, 1977) sowie der CSSR selbst (Supraphon 11 13 2526, 1979, mit völlig anderem Cover und damals 20 Kronen billiger als die jugoslawische Ausgabe).

Rob Fraboni, Mädchen für alles im Shangri-La, produzierte, während der junge Bernie Grundman für das Mastering verantwortlich zeichnete. Will man das Adjektiv „nett“ vermeiden, kann man das Ergebnis auch „solide“ nennen. Die drei LPs aus westlicher Produktion unterscheiden sich nicht nennenswert. Knapp dahinter geht die Tschechin durchs Ziel, die sich ein paar zusätzliche Zischlaute leistet. Der Belgrader LP mangelt es dann schon deutlicher an Dynamik und Feinschliff.

Wenn Sie darüber nachdenken, sich neben „461 Ocean Boulevard“ und „Slowhand“ eine weitere Solo-LP Claptons ins Regal zu stellen, ist der Erwerb von „No Reason To Cry“ der logische nächste Schritt. Wenn Sie auf The Band und „The Last Waltz“ stehen, diese LP aber nicht besitzen, wird es sowieso höchste Zeit.


Musik: 7,0

Klang: 7,5 (USA, 1976)

Klang: 7,5 (Deutschland, 1976)

Klang: 6,5 (Jugoslawien, 1977)

Klang: 7,0 (CSSR, 1979)

Klang: 7,5 (England, Ende der 1970er)


Ronald Born, November 2014