Dire Straits – Communiqué (1979)

 

Manchmal hatte ich das Gefühl, nur Thomas Schmidt (Redakteur des LP-Magazins) und ich würden diese Platte wirklich schätzen. Als ich neulich zwei Freunde unabhängig voneinander darauf ansprach, versicherten mir beide, daß das eine tolle Scheibe wäre, und daß sie die auch häufiger auflegen würden. Ich war überrascht, aber man hat sich in den letzten Jahren halt kaum über die Dire Straits unterhalten. Wir reden heute also über das bekanntlich „schwierige zweite Album“. Nach dem sensationellen Überraschungserfolg des Erstlings waren die Erwartungen entsprechend hoch. Was die Verkaufszahlen betraf, konnte eigentlich kaum etwas schief gehen, zu groß war die Neugier der sprunghaft angewachsenen Fangemeinde. Sollte die Karriere aber nicht schon nach zwei Veröffentlichungen wieder vorbei sein, mußte auch Qualität geliefert werden. Und die wurde geliefert. In Deutschland stieg das Album in der Woche seines Erscheinens auf Platz 1 der Charts (bis dahin ein Novum), in England kam es, wie schon „Dire Straits“, in die Top 10. Eine gewichtige Rolle dürfte dabei die Promotion-Tour gespielt haben, die sich mit Unterbrechungen von Februar bis Dezember über Europa und Nord-Amerika erstreckte. Als die Platte Mitte Juni in Deutschland in den Läden stand, waren schon 15 ausverkaufte Konzerte von Hannover bis Freiburg bejubelt worden. Der Auftritt in Köln am 16. Februar 1979 wurde sogar im Rahmen der Rockpalast-Reihe ausgestrahlt. Es war übrigens das erste Mal, daß ich die Band „live“ sah. Ich liebte zwar „Sultans Of Swing“, kannte aber sonst kaum etwas. Nach dieser Fernsehnacht war ich erklärter Fan. Und schon damals zeigte sich, daß Deutschland ein sehr gutes Pflaster für die Band war. Wenn man sich die entsprechenden Jahrescharts ansieht, folgten hinter „Communiqué“ „Pyramid“ von Alan Parsons Project, der Dauerbrenner „Wish You Were Here“ von Pink Floyd, Supertramps „Breakfast In America“ und „Gone To Earth“ von Barclay James Harvest. In den USA oder England, wo die zweite LP der Dire Straits bis auf Platz 11 bzw. 5 vorstieß, tummelten sich an der Spitze außerdem noch die Bee Gees, Abba oder ELO. Für mich ist es ziemlich offensichtlich, daß sich die Leute einfach wieder nach guter und handgemachter Rockmusik sehnten. Einen günstigeren Zeitpunkt hätten sich die Jungs um Mark Knopfler für ihren Start im Musik-Zirkus gar nicht wählen können.

 

Zur Platte selbst: aufgenommen Ende 1978 auf den Bahamas, produzierten diesmal die alten Hasen Barry Beckett und Jerry Wexler. Und die taten gut daran, den ungeschliffen wirkenden Sound des Debüts beizubehalten und lediglich etwas zu verfeinern. Damit wurde der klangliche Wiedererkennungswert der Marke „Dire Straits“ mehr oder weniger festgezurrt.

Wie der Kontakt zu Bob Dylan hergestellt wurde, ist nicht ganz geklärt. Auf jeden Fall waren Wexler und Beckett auserkoren worden, das nächste Dylan-Album („Slow Train Coming“) zu produzieren. Wohl auf ihre Veranlassung hin besuchte der zu jener Zeit etwas orientierungslose Superstar am 28. März 1979 das Konzert der Dire Straits im Roxy in Los Angeles. Als einen Monat später (die Dire Straits legten gerade eine Tournee-Pause ein) im Muscle Shoals Studio in Alabama die Aufnahmesessions für „Slow Train Coming“ begannen, waren auch Drummer Pick Withers und Mark Knopfler als Gitarrist und Band-Leader mit von der Partie und prägten den Sound der Platte maßgeblich. Ich kann mich noch erinnern, daß ich meiner Mutter einmal „Precious Angel“ vorspielte und sie fragte, ob ihr irgendwas auffalle. „Klingt wie der Typ von den Dire Straits.“. Meine Mutter! Als die Platte zwei Monate nach „Communiqué“ erschien, wurde sie vor allem wegen der Texte kontrovers diskutiert, kletterte aber in den USA und in England auf die dritte bzw. zweite Chartposition. Bis heute zählt das Werk zu den am besten aufgenommenen und produzierten LPs Dylans. Womit ich die Kurve zu den Dire Straits so langsam wieder kriege. Hören Sie sich mal beide Scheiben im Vergleich an!

 

Bei „Communiqué“ wurde im Gegensatz zum ersten Album sofort das Fehlen der ganz großen Songs bemängelt. Da ist was dran, aber was hatte man denn nach „Sultans Of Swing“ erwartet? „Lady Writer“ war ganz offensichtlich die Aufgabe zugefallen, den Nachfolge-Hit zu geben. Es blieb bei einem etwas blassen Versuch, der auch in den Charts nicht weiter in Erscheinung trat. Aus heutiger Sicht ist mir das unerklärlich, da ich dem Song durchaus Hitpotential bescheinigen würde. Einzig an „Sultans Of Swing“ kommt er natürlich nicht heran. Aber schließlich war auch „Get Off Of My Cloud“ ein Nummer-1-Hit für die Stones, obwohl er seinem Vorgänger „Satisfaction“ keinesfalls das Wasser reichen konnte. Aber wir sind ja bereits auf Seite 2 des Albums. Los geht es natürlich mit „Once Upon A Time In The West“, das zumindest in der zweiten Strophe auch einen Bezug zum gleichnamigen Spaghetti-Western (hierzulande den Insidern als „Spiel mir das Lied vom Tod“ bekannt) zuläßt. Natürlich hätte so auch die dritte Seite des Debüts beginnen können. Der zurückgelehnte Stil, geprägt von der bluesigen Fender a la domestiziertem J.J.Cale, wurde nahtlos weitergeführt. „News“ unterstreicht das noch (wenn auch nicht im Titel). „Where Do You Think You're Going“ beginnt völlig harmlos, steigert sich dann aber zu einem beklemmenden Stück über häusliche Gewalt, mit einer seidenweichen Gitarre als beängstigendem Kontrast. Großartig! Musikalisch ist dann beim Titelsong wieder alles beim Alten. Der Text ist etwas geheimnisvoll (oder tut zumindest so). Geht es um eine Aufarbeitung Knopflers journalistischer Vergangenheit? Mag sein. Auf „Lady Writer“ folgt „Malen nach Zahlen“, hier „Angel Of Mercy“ benannt, bevor mit „Portobello Belle“, einer kleinen aber feinen Alltagsbeobachtung, ein weiterer Höhepunkt der LP wartet. Waren Sie schon mal zum Flohmarkt in der Portobello Road? Die besungene Schönheit entstammt offenbar einer sehr kinderreichen Familie.

 

Mir scheint, als würde das etwas mystische „Follow Me Home“ auf der Insel oder an dem Strand spielen, den der Einhand-Segler, der im vorangegangenen Song („Single-Handed Sailor“) noch in die Dunkelheit entschwand, inzwischen erreicht hat. Nicht ganz schuldlos an diesem Bild ist das eingespielte Meeresrauschen zu Beginn und am Ende des Songs. Ehrlich gesagt bin ich kein Freund solch naturalistischer Spielereien, da könnte ich ja gleich Pink Floyd hören. Und deren Gimmicks haben mich zuletzt als Teenager beeindruckt. Wem es nicht gelingt, nur mit Hilfe von Worten und einer Melodie eine Geschichte zu erzählen oder eine Atmosphäre zu erschaffen, der sollte in die Filmbranche wechseln.

 

Unter dem Strich finden sich auf „Communiqué“ zwei, drei sehr gute Songs. Der Rest ist Durchschnitt, was nicht abwertend gemeint ist. Denn wenn man sich das komplette Werk dieser Band, die seit gut 20 Jahren nichts Neues mehr veröffentlicht hat, aber nie offiziell aufgelöst wurde, ansieht, scheint das eine gute Quote zu sein.

 

Drei „Communiqué“-LPs stehen bei mir im Regal: die deutsche Ausgabe von 1979 (Vertigo 6360 170), eine jugoslawische Pressung (Philips / RTB LP 5964), ebenfalls aus dem Jahr 1979, sowie eine holländische Nachpressung (Vertigo 800 052-1) aus den 80er Jahren mit Barcode auf der Coverrückseite. Bis auf die jugoslawische stecken die Platten in den originalen Innenhüllen. Das große Bandfoto erinnert sehr an das vom ersten Album. Wobei das damals noch von der Sorte war, über die man sich päter bei Klassentreffen schier kaputt lacht, während diesmal vier Herren zu sehen sind, die wissen, daß sie bereits berühmt sind (und das allerdings noch nicht besonders ernst nehmen). Die jugoslawische Pressung hat einen gedruckten „Platinasta“-Sticker auf dem Cover und den 10.11.79 als Veröffentlichungsdatum neben der Matrix-Nummer. Bei discogs findet man mehrere Varianten dieser Lizenz-Ausgabe. In der DDR waren sogenannte Jugo-Pressungen nicht ungewöhnlich, da sich viele diese Platten aus ihrem Ungarn-Urlaub mitbrachten. Auf Floh- und Plattenmärkten auftauchende indische Ausgaben populärer Scheiben stammen übrigens meist aus der selben Quelle.

Ich würde jetzt gerne schreiben, daß die deutsche Original-Ausgabe einfach nur grandios klingt, detailreich, raumgreifend, Bass, Schlagzeug, alles sehr präsent, die Gitarren sowieso und in einer eigenen Liga spielt. Doch das stimmt nur zur Hälfte. Die klanglichen Attribute haben ihre Gültigkeit, jedoch gelten sie genauso auch für die Nachpressung aus Holland. Das wirft nun meine Theorien über Platten aus den 1980ern zwar über den Haufen, ist aber nicht unter den Teppich zu kehren. Selbst die jugoslawische Vertreterin schlägt sich, von ein paar Defiziten bei der Dynamik und einem leicht erhöhten Grundrauschen abgesehen, recht achtbar. Wenn also Ihr Original schon ein paar Partys zu viel auf dem Buckel hat, können Sie bedenkenlos zum holländischen Ersatz greifen. Und wenn Ihr Urlaub in Ungarn damals so gut war wie die mitgebrachte LP, können Sie durchaus zufrieden sein.

 

Musik: 7,5

Klang: 8,5 (Deutschland, 1979)

Klang: 7,5 (Jugoslawien, 1979)

Klang: 8,5 (Holland, 1980er)

 

Ronald Born, Mai 2013