AC/DC – Dirty Deeds Done Dirt Cheap (1976)

 

Nun bin ich ganz bestimmt kein Metal-Experte, aber ab und an brauche auch ich mal ordentlich was auf die Ohren. Da mir, was das aktuelle Geschehen betrifft, völlig der Überblick fehlt, greife ich in diesem Fall gerne auf Bewährtes zurück. Im Februar-Heft des deutschen Rolling Stone findet sich eine Liste der „100 besten Hardrock/Metal-Alben“. Ich liebe solche Listen! Sie sind natürlich subjektiv aber auch extrem unterhaltsam. Man kann sich in seinem erlesenen Musikgeschmack bestätigen lassen und auf der anderen Seite wunderbar aufregen. Und selbst diese Liste enttäuscht da nicht. Von den genannten Alben besitze ich gerade mal ein gutes Dutzend, mit dem Löwenanteil bei Led Zeppelin und Deep Purple. Bei der Liste der besten Jazz-LPs (Oktober 2013) waren es sogar noch weniger. Aber auch wenn mich diese Musikrichtungen nur am Rande interessieren, bin ich gerade richtig sauer! So findet sich, neben ein paar anderen fragwürdigen Nennungen, in der aktuellen Liste die Platte einer niedersächsischen Schülerband, deren Name mir gerade nicht einfallen will. Gebetsmühlenartig wird immer wieder ins Feld geführt, daß diese Kapelle schließlich im Ausland hohes Ansehen genießt, vor gewaltigen Menschenmassen auftritt und weit mehr Platten verkauft, als zu Hause. Das spricht nun eher für das deutsche Publikum und sollte nicht als Beleg für Qualität mißverstanden werden. Das Ausland nimmt uns ja auch unseren Atommüll ab. Sorry, ich wollte hier eigentlich gar nicht polemisieren. Denn bestimmt hat auch die Musik dieser Band ihre Berechtigung, und immerhin ist die Wahl jener LP durch eine 65-köpfige Jury (auch wenn in dieser die Niedersachsen mit zwei aktiven und einem ehemaligen Mitglied überproportional vertreten waren) ausreichend legitimiert. Alles schön und gut. Doch wenn dann „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ ungenannt bleibt, kann mit den Relationen etwas nicht stimmen! Nehmen wir nur einmal die erste Seite: „Dirty Deeds“, „Love At First Feel“, „Big Balls“, „Rocker“, „Problem Child“! Wieviele rotzige Breitseiten muß man denn noch abfeuern, wieviel Porzellan denn noch zerdeppern, um Gehör und Einlaß in den erlauchten Kreis zu finden!?

 

Als die LP im September 1976 in Australien in die Läden kam, waren AC/DC dort nach zwei erfolgreichen Platten und spektakulären Live-Auftritten schon eine angesagte Band. Im Rest der Welt tat man sich hingegen noch schwer. Im Mai 1976 war mit „High Voltage“, das eine Mischung aus Stücken des gleichnamigen Debüts und der ebenfalls nur in Australien erschienenen LP „T.N.T.“ enthielt, schon mal eine Duftmarke abgegeben worden, allerdings ohne größeren Eindruck zu hinterlassen. Doch Atlantic Records, die seit dem Frühjahr für das internationale Geschäft der Gruppe verantwortlich waren, wollten nun Nägel mit Köpfen machen. Man verlegte den Wirkungskreis der Band nach England, wo sie nach Auftritten in Londoner Clubs bald auch im ganzen Land tourte. Es folgten ein Ausflug nach Europa (als Vorgruppe von Rainbow) und im Sommer ein Auftritt beim renommierten Reading Rock Festival. Im Herbst ging es erstmals in die USA, und während man sich dort noch weigerte, die Platte herauszubringen, erschien „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ im Dezember in fast allen anderen westlichen Ländern in leicht veränderter Form. Neben einer anderen Titelreihenfolge und gekürzten Fassungen von „Dirty Deeds“ und „Ain't No Fun (Waiting Round To Be A Millionaire)“ wurden „R.I.P. (Rock In Peace)“ sowie „Jailbreak“ gegen „Rocker“ (vom australischen „T.N.T.“-Album) und „Love At First Feel“ ausgetauscht.

 

Außerdem bekam die LP ein völlig neues Cover. Während für das Original eine Comic-Zeichnung verwendet wurde (der LP-Titel war ja einem Comic entlehnt), beauftragte man für die internationale Ausgabe Storm Thorgersons Agentur Hipgnosis mit dem Design, die 1976 außer für AC/DC auch für Led Zeppelin, Black Sabbath, The Alan Parsons Project und Genesis Cover entworfen hatte. Stammkunde Pink Floyd hatte in jenem Jahr gerade keine neue Platte am Start. Auch heute meinen noch manche, die Hülle wäre weit origineller, als der Inhalt. Doch im Zusammenhang mit Originalität wurde der Name AC/DC eh nur höchst selten genannt. Aber wenn es um kompromisslosen Rock'n'Roll, dreckig und laut, ging, kam man schon damals nicht an ihnen vorbei. Die zweite Seite setzt den brachialen, boogie- und bluesgetränkten Stil fort. „Prächtiges Gewurzel“, wie ein Freund sagen würde. Auch die patentierten Riffs waren schon in die Hirnrinde tätowiert. Erst bei „Ride On“ gehen die Jungs etwas vom Gas. Und natürlich ist das alles machohaft und sexistisch. Was dachten Sie denn? Wir reden schließlich von Hardrock. Aber für eine augenzwinkernde Ferkelei wie „Big Balls“ war auch etwas nötig, das man in diesem Genre sonst nur selten findet: Humor. Dabei fehlt der Musik auf dieser Platte jegliches Pathos, ohne das die härteren Produktionen jener Zeit eigentlich nicht auskamen. „Dirty Deeds“ klingt eher wie eine Punk-Version der damals gängigen Hardrock-Ware. Das sicherte der Band das Überleben in einer Phase, da die Dinosaurier reihenweise ausstarben. Und neben fehlendem Bombast trug noch etwas zum bis heute anhaltenden Image der „Jungs von nebenan“ bei: AC/DC mögen auf ihren Tourneen alle möglichen und unmöglichen Dinge mitgeschleppt haben, ein Friseur war aber ganz bestimmt nicht dabei.

 

Die Besetzung von 1976 werden nicht nur diejenigen als klassisch bezeichnen, für die Brian Johnson bis heute „der Neue“ ist (ein Phänomen, über das auch Ron Wood Bücher schreiben könnte): Malcolm und Angus Young, Sänger Bon Scott, Mark Evans am Bass und Schlagzeuger Phil Rudd (nach dem Ausstieg von Evans 1977 der einzige echte Australier in der Band). Produziert wurde das Album, wie auch schon die beiden Vorgänger, von Harry Vanda und George Young. George, der große Bruder der kleinen AC/DC-Gitarristen, spielte in den 60er Jahren bei den Easybeats. Leadgitarrist war damals Harry Vanda. Den Hit „Friday On My Mind“ schrieben sie gemeinsam. Als sich die Easybeats 1970 auflösten, machten Vanda und Young als Produzenten und Songschreiber gemeinsame Sache. Und so war es nur logisch, daß sie sich bald auch um die Band der „Nesthäkchen“ kümmerten. 1978, als AC/DC so langsam richtig Fahrt aufnahmen, gelang ihnen dann mit „Love Is In The Air“ für John Paul Young (weder verwandt noch verschwägert) ein ganz großer Wurf.

 

AC/DC hatten bei Musikkritikern lange keinen guten Stand. Das scheinbar komplette Fehlen einer musikalischen Weiterentwicklung wurde ihnen schwer angekreidet. Den sensationellen Erfolg von „Back In Black“ nahm man 1980 mit dem gleichen ungläubigen Kopfschütteln zur Kenntnis, wie die Wahl eines ehemaligen Schauspielers zum US-Präsidenten. Erst mit den Jahren begann man, die Konstanz im Schaffen der Band zu schätzen. 2003 wurde die gewachsene Anerkennung mit der Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame praktisch von Amts wegen bestätigt.

Wenn ich mir heute zum Beispiel „Black Ice“ anhöre, kommt der Gedanke, daß sie eigentlich noch immer die gleiche Musik machen wie damals, als ich 15 war, fast automatisch. Und ich erliege für zwei Plattenseiten der angenehmen Illusion, keinen Tag gealtert zu sein. Ein spontanes Luftgitarrensolo scheint dann immer noch im Bereich des Möglichen zu liegen! Gleichzeitig wünsche ich mir, auch andere Bands, die ich damals bewundert habe, hätten so lange und ohne größere Peinlichkeiten durchgehalten. Hey, natürlich weiß ich, daß es ziemlich albern ist, als fast 60-jähriger gestandener Ehemann in einer Schuluniform mit kurzen Hosen herumzuwirbeln. Aber solange das nur auf der Bühne passiert, kann man es getrost unter Imagepflege einsortieren.

 

Im Laufe ihrer langen Karriere haben sich AC/DC an so ziemlich jedem Metal-Klischee abgearbeitet. In einem Genre, das von ordentlich Radau, Rüpeleien, Testosteron und Übertreibungen lebt, läßt sich das gar nicht vermeiden. Und genau dafür werden sie ja auch von ihrer treuen Gefolgschaft geliebt. „Keine Überraschungen“ bedeutet ja immer auch „keine bösen Überraschungen“. So einfach erklärt sich manchmal Erfolg. Der Vergleich mit dem VW Käfer (ohne Blumenvase!) scheint da gar nicht mehr so weit hergeholt, unglaublicher Erfolg in Südamerika inklusive. Was man der Band aber gar nicht hoch genug anrechnen kann, ist das Fehlen schwülstiger „Power-Balladen“ in ihrem Repertoire. Bon Scott oder Brian Johnson spitzen ihre Lippen, um ein unsägliches Liedchen über wechselnde Winde (welchen Ursprungs auch immer) mit einer Pfeifeinlage zu beginnen? Undenkbar!

Somit wären wir wieder bei der zügellosen Kraftmeierei der hier zu verhandelnden LP. Den Amerikanern war das womöglich zu viel des Guten. Erst, als im Sog der Highway-To-Hell-Tour im Sommer 1979 und dem Tod von Bon Scott im Februar 1980 bei „Back In Black“ auch in den USA alle Dämme brachen, entschied man sich bei Atlantic für eine reichlich verspätete Veröffentlichung von „Dirty Deeds“. Die Platte kletterte bis auf Platz 3 der Charts und lag damit sogar einen Rang besser als „Back In Black“.

 

Und genau diese US-Pressung (Atlantic SD 16033) fand vor etlichen Jahren den Weg in meine Sammlung. Die Texte stehen auf der Innenhülle. „Parental Advisory“-Sticker wurden erst fünf Jahre später eingeführt, so daß dieser Ritterschlag durch die Zensurbehörde dem Album leider versagt blieb. Kein Mensch erwartet von so einer Platte einen audiophilen Ohrenschmaus. Das hat leider häufig genug Hardrock-Produzenten verleitet, ihren Job allzu sorglos zu erledigen. Hauptsache, es kracht! Bei einem so professionellen Duo wie Vanda & Young war das aber nicht zu befürchten. Natürlich kracht es auch hier ordentlich, aber eben gut abgestimmt und aufgeräumt. Der etwas dünne Sound wird bei meinem zweiten Exemplar gehörig angedickt. Das Remastering der Platte (Columbia 5107601) stammt von 2003 und wurde erstmals für das 16-LP-Box-Set verwendet. Zuständig war George Marino von Sterling Sound. Erschienen ist meine wohl 2009 und heute noch unverändert erhältlich. Und so und nicht anders sollte das Werk in meinen Ohren auch klingen! Man achte nur mal auf die bass drum am Anfang von „Big Balls“. Die war vorher kaum zu hören, genauso wie dieses seltsame Geräusch nach „... if your name is on the guest list“. Das „Made in the EU“ läßt sich durch den „Grünen Punkt“ auf der Umverpackung recht konkret eingrenzen. Dem 180-Gramm-Brett wurde eine völlig neue Innenhülle, leider ungefüttert, mit diversen Farbfotos und einem Text von David Wild spendiert. Unterm Strich haben wir es hier mit einer sehr gelungenen und würdigen Neuauflage zu tun. Allein schon zu hören, wie „Squealer“ am Ende plötzlich aus dem Schatten der Klassiker tritt, lohnt die Anschaffung. Und wer braucht schon den Platz auf einer Liste, die von „Appetite For Destruction“ angeführt wird?!

 

Musik: 8,0

Klang: 7,0 (USA, 1981)

Klang: 8,0 (Deutschland, 2009)

 

Ronald Born, März 2014