Über mich
Als Dylans „Bringing It All Back Home“, „The Paul Simon Song Book“, „Mr. Tambourine Man“ der Byrds oder „Rubber Soul“ von den Beatles erschienen, war ich schon da! Ja, diese LPs, die mir später so großartige Momente bescheren sollten, waren bei meiner Geburt noch nicht einmal aufgenommen. Wenn also die musikalische Prägung schon im Mutterleib beginnt, kann ich mich heute leider nicht auf diese Werke berufen. Meine Mutter hätte sie wohl sowieso nicht gehört. Radio war das Tor zur Welt, und da liefen während ihrer Schwangerschaft „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ von Paul Kuhn oder Siw Malmkvists „Liebeskummer lohnt sich nicht“, mit etwas Glück auch „Shake Hands“ oder „Pretty Woman“. Nein, „Looky-Looky“ von Frank Schöbel kann ich ausschließen, die heimischen Sender wurden bei uns meist nur für den Wetterbericht angewählt.
Meine musikalische Sozialisierung fand im Osten statt. Durch den stark erschwerten Zugriff auf entsprechende Tonträger fiel dem Radio hier die entscheidende Rolle zu. Werner Reinke und Thomas Gottschalk hörte ich intensiver zu, als meinem Vater. Im Fernsehen waren „Disco“ und später „Rockpalast“ absolute Pflichtveranstaltungen. Sie sehen schon, ich komme nicht aus Dresden.
Irgendwann „erbte“ ich einen Plattenspieler Ziphona Türkis, und das Spiel konnte beginnen. Mit dem, meinem Vater abgeschwatzten Tonbandgerät (ein polnisches ZK 120T) konnte ich nun außerdem zu jeder Tages- und Nachtzeit Songs aus dem Radio aufnehmen. Limitierender Faktor waren die sehr teuren Bänder, so daß ich praktisch ständig ältere Aufnahmen wieder überspielte, und das dann in einem eigens angelegten Büchlein korrigieren mußte. Am Anfang fand das noch in einer Art putziger Lautschrift statt, später setzte sich dann ein immer nachvollziehbarer werdendes Englisch durch. Das Buch liegt noch in irgendeiner Kiste, aber sparen Sie sich die Frage! Ich werde es nie irgendjemandem zeigen!
In jeder freien Minute hörte ich diese Bänder, und zwar so intensiv, daß ich heute noch jedes Mal eine kurze Schrecksekunde lang erstaunt bin, wenn z.B. nach Cat Stevens' „Rubylove“ „If I Laugh“ kommt (wie es sich ja für „Teaser And The Firecat“ auch gehört) und nicht „Black Rose“ von Thin Lizzy. Diese Reihenfolge auf meinem Band hat sich aber offensichtlich unauslöschbar in mein Bewußtsein gebrannt.
Als ich mit 16 eine Lehre antrat und aus meinem Dorf in eine Großstadt zog, traf ich zum ersten Mal jemanden mit einer richtigen Plattensammlung. Heute würde man dieser scheinbar wahllosen Anhäufung von Scheiben diverser Stilrichtungen diese Bezeichnung nicht mehr zugestehen, aber damals war ich völlig überwältigt. Denn fast alle Platten waren aus dem „Westen“. Der Typ, bei dem ich dann so manchen Abend bei Musik und Mocca-Likör verbrachte, verfügte über ausgezeichnete Verbindungen und kam an Exemplare heran, die ich bis dahin nur vom Hörensagen kannte. Natürlich waren die Dinger unanständig teuer und er, der kein Auto besaß, sagte immer, sein Lada stände im Regal. Der Herd für meine bis heute nicht therapierbare Vinyl-Infektion muß dort in dieser kleinen Wohnung gesteckt haben. Fortan begann ich, Flohmärkte aufzusuchen (immer schon im Morgengrauen, sonst hatte man keine Chance), selbst Kontakte zu knüpfen und mich vor Rundfunkgeschäften anzustellen. Immerhin konnte man bei den dort verkauften, aber eher ungeliebten Lizenzprodukten von Amiga ordentlich Geld sparen. Für eine sogenannte Original-LP waren jedes Mal 100 bis 120 Mark fällig, für Doppelalben das Doppelte. Sagt ja schon der Name. Woher ich damals das Geld nahm, kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. Was ich aber bei fast jeder der damals gekauften Platten noch genau sagen kann, ist der Preis und wo bzw. von wem ich sie erworben habe. Zu groß war die Freude, endlich „Ummagumma“ in den Händen zu halten (hatte ein Freund 1984 für 220 Mark für mich besorgt und noch am gleichen Tag über 150 km per Motorrad angeliefert), als daß ich das je vergessen könnte. Oder Springsteens „The River“. Die kaufte ich 1985 über einen sogenannten „Schallplattenring“ für 260 Mark (ohne Textblatt!). Die meisten dieser Scheiben waren Nachpressungen. Der Zustand war nur selten neuwertig, endloses Abspielen auf Anlagen, denen man heute kein Vinyl mehr anvertrauen würde (bei mir war das damals die PA 2030 von RFT), tat ein Übriges. Heute ist damit kein Staat und erst recht kein Geld mehr zu machen. Aber die Erinnerungen und Emotionen sind unbezahlbar, gerade auch, weil wir damals der Musik so einen immensen Wert beimaßen. Ich trauere dieser Zeit aus den verschiedensten Gründen nicht nach, aber diese selbstverständliche Bereitschaft, ein halbes Wochenende auf Bahnhöfen und in schlecht beheizten Reichsbahnwagen 2. Klasse zu verbringen, um einen Freund zu besuchen und mit dem dann wieder und wieder seine neue Jethro Tull-LP zu hören, vermisse ich doch sehr. Auch bei mir.
Zum ausgeprägten Sammler wurde ich erst viel später. Heute habe ich mich auf ganz bestimmte Singles spezialisiert (dazu an anderer Stelle mehr). Meine LPs, die hier im Mittelpunkt stehen werden, höre ich inzwischen fast ausschließlich im Wohnzimmer und über eine andere Anlage als die 45er und CDs. Das hat weder religiöse noch gesundheitliche Gründe, sondern ist das Quentchen Snobismus, das ich mir einfach leiste. Wenn man über etwas so Diffiziles wie persönliche Höreindrücke schreiben will, also eine sehr subjektive Angelegenheit, bei der einem oft genug die Worte fehlen, ist es für den Leser von Vorteil, zu wissen, wie man Musik hört, wenn es schon nicht gelingt, ihm nahe zu bringen, was man hört. Meine Anlage, oder Kette, ganz wie Sie wollen, beginnt mit einem Linn Axis im Originalzustand (also mit Akito-Tonarm und K9-System), den ich aus einem mehr als 20 Jahre währenden Dornröschenschlaf erweckt habe. Als Phonovorstufe fungiert die V-LPS von Musical Fidelity, als Vorverstärker ein RC-971 von Rotel. Das Herzstück ist eine Röhren-Endstufe, die mir ein guter Freund gebaut hat. Für alle, die es immer ganz genau wissen wollen: sie besteht u.a. aus vier russischen KT 66 (Gold Lion) und zwei speziell für diesen Verstärker gewickelten Ausgangsübertragern. Viel mehr kann ich dazu nicht sagen und tarne meine Unwissenheit hinter dem Wort „Betriebsgeheimnis“. Die Leistung beträgt ca. 25 Watt pro Kanal, der Klang (schließlich das Wichtigste) ist „typisch Röhre“ und in meinen Ohren phänomenal. Erst hörbar machen das Ganze zwei Boston A 360, die, zugegeben, etwas suboptimal aufgestellt sind. Aber bei einem Raum mit 20qm und vier (!) Türen kommt man um Kompromisse nicht umhin. Für alle, die sich noch nie näher mit der technischen Seite des Musikhörens befaßt haben: in meiner Anlage findet sich nichts, wofür ein Audiophiler den Begriff „High End“ hervorkramen würde (außer vielleicht an einem besonders großzügigen Tag). Doch ich bin absolut zufrieden, und manchmal habe ich beim Hören sogar ein glückliches Lächeln im Gesicht. Mehr kann man nicht verlangen. Mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand (Was hatten Sie doch gleich für die neuen Alufelgen bezahlt?) läßt sich im Einsteigersegment der Hörgenuß auf ein ganz neues Level heben. Nehmen Sie nur den oben erwähnten Phono-Vorverstärker. Der kostet nicht mehr als der Zauberkünstler auf Ihrer letzten Familienfeier, kann im Gegensatz zu diesem aber wirklich zaubern und ist nicht nach zwei Stunden schon wieder verschwunden.
Jetzt wissen Sie so ungefähr, wie ich Musik höre. Was ich höre, möchte ich auf diesen Seiten mit Ihnen teilen und verweise darauf, daß alle von mir besprochenen Platten von mir selbst gekauft oder im Tausch erworben wurden (wenn nicht von Freunden zu feierlichen oder weniger feierlichen Anlässen geschenkt bekommen), ich also keinem Hersteller oder Vertrieb in irgendeiner Weise verbunden bin.